Mit dem Manta nach RomKaller Clique war beim deutschen WM-Sieg vor 30 Jahren dabei

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So weit die Adiletten in Rom trugen: Die Clique aus Kall gönnte sich auf der Spanischen Treppe eine kleine Pause.

  • Am 8. Juli 1990 gewann die Deutsche Fußballnationalmannschaft der Männer gegen Argentinien zum dritten Mal die Weltmeisterschaft.
  • Diese magische Nacht in Rom hat eine Clique aus Kall live miterlebt. Da zu einer Kult-Nacht auch ein Kult-Auto gehört, fuhren sie damals mit einem Manta bis in die Ewige Stadt.
  • „Es war einfach nur ein großes Abenteuer“, erinnert sich die damals 19-jährige Keldenicherin Claudia Arens.

Kreis Euskirchen – Notte magiche! Die magische Nacht, die Kratzstimme Gianna Nannini und Edoardo Bennato besingen – sie haben sie live erlebt. Junge Menschen aus Kall, die sich im Sommer 1990 auf den Weg machen, um dabei zu sein, wenn Matthäus, Häßler und Völler den Weltpokal in den Himmel heben. 30 Jahre ist das an diesem Mittwoch her – aber unvergessen! Es ist ein Sommermärchen, lange bevor von Sommermärchen gesprochen wird.

Etwa 48 Stunden vor dem Finale treffen sich die Freunde in Kall am Bürgerhof. Etwa zwölf junge Erwachsene packen Rucksäcke, Dosenbier und Zelte in den Kofferraum eines giftgrünen Opel Manta. Zu einer Kult-Nacht gehört schließlich auch ein Kult-Auto. Auch dabei eine gehörige Portion Optimismus, dass es zu Titelgewinn kommt und sie überhaupt mit dem Gefährt rechtzeitig in Rom ankommen. Getreu dem gesungenen Motto von Udo Jürgens und der Nationalmannschaft: Wir sind schon auf dem Brenner, wir brennen schon darauf.

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Nur noch wenige Meter vom Endspiel entfernt: Die Kaller Freunde posieren auf einer Brücke vor dem Stadion in Rom. Später wird Deutschland zum dritten Mal Fußball-Weltmeister.

„Es war einfach nur ein großes Abenteuer“, erinnert sich die damals 19-jährige Keldenicherin Claudia Arens drei Jahrzehnte danach. Sie habe schon Muffe gehabt. „Aber als mein Vater meinte, ,Mach’ dat, davon wirste noch in 30 Jahren erzählen‘, sind wir los.“ Der Papa sollte Recht behalten.

Die magische Nacht ist immer noch präsent

Wie zur Bestätigung steht WM-Maskottchen „Ciao“, ein Strichmännchen in den italienischen Nationalfarben und einem Fußball als Kopf, heute noch auf dem Schrank. Die Farbfotos sind fein säuberlich im Album eingeklebt und die Anekdoten von der Reise nach Rom und der magischen Nacht schon hundertfach erzählt. Auch ihre Freunde Britta Wagner, Jane und Peter Remlinger, Wolfgang Hamelmann, Wolfgang Hochgürtel und Dieter Hermanns müssen ihre italienischen Momente immer wieder zum Besten geben.

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Mit dem Manta ging es von Kall aus zum WM-Finale nach Rom.

Darin, so Arens, spiele der besagte giftgrüne Manta ihres heutigen Mannes Wolfgang eine bedeutende Rolle – nicht nur wegen der beklebten Italia-90-Motorhaube und des fehlenden Fuchsschwanzes, sondern auch, weil das Auto nach jedem Tankstopp zickt. „Wir mussten jedes Mal anschieben“, erinnert sich Arens. Eigentlich wäre der Wagen ein Trennungsgrund gewesen, fügt sie lachend hinzu. Dabei sitzt sie im Juli 1990 gar nicht in dem Manta, sondern mit zwei Freundinnen in einem anderen Auto.

Das mit dem Kolonne-Fahren klappt auch nicht so ganz, es führen halt viele Weg nach Rom. „Wir haben uns nur durch Zufall auf dem letzten Rastplatz, 50 Kilometer vor Rom, wiedergetroffen. Ich bin da damals schon recht blauäugig rangegangen“, gibt die Keldenicherin zu.

„Da war eine tolle Atmosphäre“

Etwas naiv verhält sich die Truppe dann auch auf dem Rastplatz. Für 200 Mark werden hier Final-Tickets angeboten, pro Stück. Sie lehnen ab. Sicher ist zwar sicher. Doch die Hoffnung, günstiger ins Stadion zu kommen, ist stärker. Also weiter, ohne Karten, in Richtung eines Campingplatzes vor den Toren der italienschen Hauptstadt. „Da war eine tolle Atmosphäre“, schwärmt Arens: „In zahlreichen Sprachen hat man sich über Fußball ausgetauscht, und das, ohne die Sprache des Gegenübers zu können.“

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Ciao: Claudia Arens, Didi Hermanns (l.) und Christian Arens.

Dann der Finaltag. Die Gruppe macht sich schon früh auf den Weg. Man will ja schließlich was sehen von der Ewigen Stadt. Doch während die Eifeler noch das Flair der Spanischen Treppe aufsaugen, blüht am Stadion bereits der Schwarzmarkt. Die Preise für Tickets steigen, je näher der Anpfiff rückt. Die Nachricht des Keldenichers Rainer Mendel, der damals schon Fan-Beauftragter des 1. FC Köln und bereits lange vor dem Finale in Rom ist, dass es noch zahlreiche Tickets gebe, bewahrheitet sich zwar, doch die Preise sind längst andere als jene, die der „Mittelsmann“ im Gespräch aus der Telefonzelle übermittelt hat.

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Das jedoch beschäftigt vorrangig die Männer in der Clique. „Uns hat nur Jürgen Klinsmann nervös gemacht, nicht aber, dass wir noch keine Karten hatten“, erinnert sich Claudia Arens, die seit vielen Jahren als Lehrerin an der Gesamtschule Weilerswist tätig ist. Und als dann auch noch der DFB-Mannschaftsbus an der Gruppe vorbeifährt, ist es um die Frauen endgültig geschehen. „Wir haben dann Geld in einen Topf geworfen, und die Männer haben uns Tickets besorgt. 290 Mark haben wir bezahlt. Ein Teil von uns sogar 320. Das war für uns Azubis und Studenten echt viel Geld“, berichtet Arens.

In ihrem Kopf schwirren damals die Zahlen umher: Wie viele Schichten muss sie jetzt im Bistro schieben, bis diese Eintrittskarte abgearbeitet ist? Aber man muss halt Prioritäten setzen. „In Urlaub ist in dem Jahr keiner mehr gefahren“, stellt Arens 30 Jahre später klar. Jeder einzelne Pfennig sei es aber wert gewesen, allein schon wegen der Atmosphäre im Olympiastadion von Rom: „Da hätte auch Kall gegen Dollendorf spielen können, und wir hätten das gut gefunden.“

Auch beim 4:1 in Mailand dabei

Der Kaller Wolfgang Arens war 1990 nicht nur beim WM-Finale im Stadion, sondern sah auch den 4:1-Sieg der deutschen Nationalmannschaft gegen  Jugoslawien in Mailand. Da entstand auch die Idee, nach Rom zu fahren, wenn das Team von Franz Beckenbauer das Finale erreichen sollte. Das tat es und traf in folgender Aufstellung auf die Argentinier. Tor: Bodo Illgner. Abwehr: Guido Buchwald, Andreas Brehme, Jürgen Kohler, Klaus Augenthaler, Thomas Berthold. Mittelfeld: Pierre Littbarski, Thomas Häßler, Lothar Matthäus. Angriff: Jürgen Klinsmann, Rudi Völler. Littbarski, der 1990 in Weilerswist lebte, sollte nach dem Willen einiger Politiker Ehrenbürger der Gemeinde werden. Er fühle sich  geehrt, sagte „Litti“, verzichtete  jedoch auf die Ehrung.  Viele Menschen, die Gutes für andere tun,  hätten es eher verdient, sagte er.  (tom/sch)

Doch an diesem Abend spielt Deutschland gegen Argentinien. Die Sympathien im Stadion sind klar verteilt. Die italienischen Zuschauer solidarisieren sich mit den Deutschen, haben doch Maradonna & Co. die Gastgeber im Halbfinale mit 4:3 nach Elfmeterschießen aus dem Turnier geworfen. Vor allem an Maradonna lassen die Italiener an diesem Abend kein gutes Haar. Sehr zur Freude von Arens und Co.

An das Spiel erinnert sich die 49-Jährige kaum noch. Es gibt ja schließlich so viel zu entdecken, zu erleben und gedanklich mitzunehmen. „Dass wir den Elfmeter mitbekommen haben, heißt schon was“, sagt sie schmunzelnd. Den verwandelt Andreas Brehme in der 85. Minute zum 1:0. Der Rest ist deutsche Fußballgeschichte. Die Clique bleibt lange im Stadion, sieht Teamchef Franz Beckenbauer alleine über den Rasen spazieren. Das Spiel schauen sie sich später auf Videokassette an. Auf dem Rückweg in die Eifel läuft übrigens „Un’estate italiana“, das Lied von der Notte magiche, in der Dauerschleife. Bis irgendwann das Band der Kassette reißt.

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