RettungsleitstelleHier landen jedes Jahr bis zu 40.000 Notrufe aus dem Kreis Euskirchen

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Nico Grocki, einer der Disponenten in der Rettungsleitstelle des Kreises Euskirchen, sitzt mit einem Headset auf dem Kopf an seinem Arbeitsplatz vor zahlreichen Monitoren.

Wer den Notruf 112 wählt, hat ihn oder einen seiner Kollegen an der Strippe: Nico Grocki arbeitet seit Februar 2023 als Disponent in der Leitstelle.

36 Disponenten nehmen in der Rettungsleitstelle des Kreises Euskirchen Notrufe an. Sie brauchen Fingerspitzengefühl und Ortskenntnis.

Es ist ruhig an diesem Vormittag in der Rettungsleitstelle des Kreises Euskirchen. Vier Bedienstete sitzen im Raum, jeder hat zahlreiche Bildschirme vor sich. Es herrscht eine konzentrierte Atmosphäre. Dann ertönt ein schrilles Telefonklingeln. Nico Grocki drückt eine Taste. „Notruf – Feuerwehr und Rettungsdienst. Wo genau ist der Notfallort?“

Grocki ist einer von aktuell 36 Disponenten, die in der Rettungsleitstelle des Kreises arbeiten. Wenn Menschen den Notruf wählen, melden sich die Disponenten am Telefon. Sie sind die Stimme der 112.

Die Disponenten müssen schnell herausfinden, was passiert ist

„Alle, die 112 wählen, sind in einer Ausnahmesituation“, sagt Markus Neuburg. Er ist Brandrat und Leiter der Rettungsleitstelle. Der 44-Jährige hat selbst neun Jahre als Disponent gearbeitet und weiß, welche Herausforderung der Job mit sich bringt. „Wir wissen nie, warum es klingelt und was sich hinter dem nächsten Anruf verbirgt.“ Vom eingerissenen Fingernagel über einen Herzinfarkt bis hin zu schlimmen Unfällen mit vielen Verletzten könne alles dabei sein.

Die wichtigste Aufgabe der Disponenten ist es, möglichst schnell herauszufinden, was und wo etwas passiert ist. Und das erfordere vor allem eins, sagt Neuburg: Fingerspitzengefühl. Denn die Menschen, die die 112 wählen, reagierten sehr unterschiedlich. Manche seien gefasst, andere stünden unter Schock. Wieder andere brüllten einen direkt an.

Ich habe auch schon Leute angeschrien.
Markus Neuburg leitet die Rettungsleitstelle des Kreises Euskirchen

Seiner Erfahrung nach liege bei den Anrufern, die am lautesten in den Hörer schreien, meist nicht der schlimmste Notfall vor, sagt Neuburg. Bei großen Unglücken stehe der überwiegende Teil der Anrufer unter Schock und sei ruhig. Aber, so Neuburg: „Das ist nicht zu 100 Prozent so.“

In jedem Fall müsse der Disponent die Gesprächsführung übernehmen, betont er. „Wichtig ist eigentlich immer, eine geschlossene Frage zu stellen.“ Das versetze den Menschen am anderen Ende der Leitung in die Lage, einfache und klare Antworten zu geben.

Nicht immer komme man dabei mit einem ruhigen, sachlichen Ton weiter. „Ich habe auch schon Leute angeschrien“, berichtet Neuburg. Denn das Wichtigste für die Disponenten ist, so schnell wie möglich die Hilfe zu schicken, die benötigt wird. In der Regel vergehen laut Neuburg in der Leitstelle des Kreises Euskirchen 90 Sekunden zwischen Anrufannahme und Alarmierung.

Nico Grocki leitete telefonisch Ersthelfer bei einem bewusstlosen Kind an

Damit ist die Arbeit der Disponenten aber noch nicht getan. Sie bleiben weiterhin Ansprechpartner für die Einsatzkräfte, falls weitere Einsatzmittel oder -kräfte benötigt werden. Und sie bleiben oft auch noch am Telefon. „Und zwar so lange wie nötig“, sagt Neuburg. Denn nicht selten müssen sie die Menschen übers Telefon auch in Erster Hilfe anleiten, zum Beispiel bei Reanimationen.

So einen Fall hatte Grocki wenige Wochen nach seinem Start in der Leitstelle im Februar 2023. Ein bewusstloses Kind. Grocki ist seit 2008 Notfallsanitäter, er weiß, was in solchen Fällen zu tun ist. Doch die Arbeit vom Leitstellenpult aus ist anders als die draußen. „Viele Sinne stehen mir hier ja nicht zur Verfügung“, beschreibt Grocki es. Er konnte nicht selbst Hand anlegen, er musste den Anrufer per Telefon anleiten und erklären, wie das Kind beatmet werden musste. Innerhalb von zwei Minuten sei das Kind aber wieder stabil gewesen, sagt Grocki. Ein gutes Gefühl.

In der Leitstelle in Euskirchen gehen zuweilen auch Dankeskarten ein 

Alle Disponenten in der Leitstelle absolvieren neben einer feuerwehrtechnischen und einer rettungsdienstlichen Ausbildung noch zusätzlich eine Disponentenausbildung. Denn eine Reanimation am Einsatzort sei etwas ganz anderes als am Telefon, betont Neuburg: „Man muss sich die Einsatzstelle bildlich vorstellen.“

Handgriffe, die man draußen ohne nachzudenken mache, müsse man dann Schritt für Schritt erklären. Auch dabei sei Fingerspitzengefühl gefragt. Nicht jeder Mensch in einer Notlage sei tatsächlich fähig, auf Anleitung Erste Hilfe zu leisten, so Neuburg. Deshalb frage man immer, ob sich der Anrufer dazu in der Lage sehe.

Durch die Kommunikation mit den Einsatzkräften erfahren die Disponenten, was mit den einzelnen Notfällen passiert. Ob beispielsweise jemand ins Krankenhaus gebracht wird. Was darüber hinaus aus den Menschen wird, darüber erhalte man in der Leitstelle nur selten eine Rückmeldung, berichtet Neuburg. Hin und wieder schicke aber doch mal jemand eine Danke-Karte oder rufe an, um sich zu bedanken. Es seien auch schon Leute persönlich vorbeigekommen. Diese Wertschätzung tue gut, so Neuburg.

30.000 bis 40.000 Notrufe gehen pro Jahr in der Euskirchener Leitstelle ein

30.000 bis 40.000 Notrufe gehen pro Jahr in der Leitstelle des Kreises Euskirchen ein. An Silvester werde die 112 statistisch häufiger gewählt als an anderen Tagen, sagt Neuburg. Beim Böllern und Silvesterfeuerwerk sei halt die Wahrscheinlichkeit größer, dass etwas passiere. Die Weihnachtstage hingegen seien Tage wie andere. Oft seien sie sogar etwas ruhiger.

Wir können nicht sagen: Heute ist keiner mehr da.
Markus Neuburg

Dennoch muss die Leitstelle auch an Heiligabend und allen anderen Feiertagen besetzt sein. „Wir können nicht sagen: Heute ist keiner mehr da.“ Schließlich geschehen Notfälle jeden Tag, rund um die Uhr. Derzeit arbeiten laut Neuburg vier Disponenten im Tagdienst und drei im Nachtdienst. Nun soll es allerdings ein neues Dienstsystem geben. Künftig sollen fünf Disponenten im 24-Stunden-Dienst arbeiten sowie ein zusätzlicher Kollege im Tagdienst für Krankentransporte. Die reine Arbeitszeit betrage jetzt und in Zukunft zwölf Stunden, der Bereitschaftsdienst mache aber ein schnelles Reagieren auf außergewöhnliche Ereignisse möglich.

Die Mitarbeiter müssen jederzeit hochkonzentriert sein

Und auch, wenn es ein eher ruhiger Tag ist, müssen die Disponenten stets höchst konzentriert bei der Sache sein. Von einem Moment auf den nächsten kann ein schlimmer Notfall eingehen. „Das ist nichts für nebenbei“, beschreibt es Markus Neuburg. Eines ist ihm aber wichtig zu betonen: „Wir wünschen uns natürlich, dass möglichst wenig Notrufe eingehen, auch wenn Notrufe unser Job sind.“

Die erste und wichtigste Information, die ein Disponent bei einem Notruf in Erfahrung bringen muss, ist die nach dem Ort. Schließlich könne die Verbindung jederzeit abbrechen, erläutert Neuburg. Ortskenntnis ist deshalb das A und O für jeden Disponenten.

Nico Grocki hat sie, er ist im Kreis aufgewachsen und hat hier lange als Notfallsanitäter gearbeitet. „Ich kenne jeden Feldweg“, sagt er selbstbewusst. Das muss er auch, denn nicht immer treten Notfälle auf belebten Bundesstraßen oder in großen Ortschaften auf. Doch selbst die beste Ortskenntnis hilft einem wenig, wenn es Verständnisprobleme gibt.

Manchmal hilft auch in der Leitstelle nur Eifeler Platt

Neuburg erinnert sich an einen Fall aus dem Jahr 2004. Damals sei er als Disponent ans Telefon gegangen. „Ich steh' hier in Drommert“, habe der Anrufer am anderen Ende der Leitung gesagt. Neuburg war ratlos. Ein „Drommert“ kannten weder er noch das System. Mehrfaches Nachfragen brachte auch nichts. Neuburg ist eben Euskirchener und kannte damals nicht alle Ausdrücke des Eifeler Platts. Erst ein Kollege konnte die Situation auflösen und die benötigten Einsatzmittel nach Dreiborn schicken.

Auch deshalb sei es gut, dass man in der Leitstelle nicht alleine sitze. So können sich die Disponenten gegenseitig helfen. Manchmal geht die Zusammenarbeit auch über die Leitstelle hinaus. Ihn habe mal ein Notruf erreicht, bei dem es gar nicht um einen Notfall im Kreis ging, erinnert sich Neuburg. Eine Frau habe gemeldet, dass sie gerade mit ihrer Mutter in Hamburg telefoniert habe und diese währenddessen zusammengebrochen sei. Also habe er alle Informationen aufgenommen und das dann an die Kollegen in Hamburg weitergegeben.

Grundsätzlich werde jedem geholfen, der den Notruf wähle. Egal, ob im europäischen Ausland und einigen weiteren Staaten oder in der Eifel, egal, ob eingewachsener Zehennagel oder Massenkarambolage. Jeder, der die 112 wählt, hört die Stimme eines Disponenten: „Notruf – Feuerwehr und Rettungsdienst. Wo genau ist der Notfallort?“


112 nur in echten Notfällen

Jeder, der die 112 wählt, erhält Hilfe – das ist für Leitstellenleiter Markus Neuburg ein wichtiges Prinzip. Das sollte man aber nicht missbrauchen. Grundsätzlich sollte man die Nummer nur wählen, wenn ein echter Notfall vorliegt. Und nicht in den Fällen, in denen man selbst den Arzt aufsuchen kann. Ist die Praxis geschlossen und eine Behandlung der Beschwerden kann nicht bis zum nächsten Tag warten, ist die Telefonnummer 116 117 die richtige Wahl. Darunter erreicht man den hausärztlichen Notdienst.

Wer keinen Notfall hat, aber einen Transport mit dem Krankenwagen benötigt, ruft die 19222 (über das Handy mit Vorwahl) an. Auch diese Anrufe landen wie ein Notruf in der Leitstelle. Durch die unterschiedlichen Nummern können die Anrufe dort aber schon vorsortiert werden. Wählt jemand die 19222, ertönt in der Leitstelle beispielsweise ein spezieller Ton, berichtet Leitstellenleiter Markus Neuburg. So wissen die Disponenten gleich: Das ist kein Notfall.

Und es gibt noch eine Telefonnummer, unter der die Leitstelle zu erreichen ist: die Amtsleitung. Die wählen allerdings nur Menschen, die etwas Organisatorisches mit der Leitstelle zu besprechen haben. 

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