UnfallpräventionTod eines 21-Jährigen geht Schülern im Kreis Euskirchen unter die Haut

Lesezeit 5 Minuten
Das Bild zeigt den Gedenkort einer jungen Frau, die in Euskirchen bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen ist. Vor dem Kreuz stehen Kerze und Blumen.

Wie schnell sich das Leben ändern kann, wird seit vielen Jahren im Crash Kurs NRW eindrucksvoll Schülern gezeigt.

Die Polizei im Kreis Euskirchen sensibilisiert mit der Veranstaltung Crash Kurs NRW junge Autofahrer für die Gefahren im Straßenverkehr.

David Giemkiewicz ist 21 Jahre alt. Er ist lebensfroh, spielt Fußball und fährt gerne Rennrad. Am 4. November 2010 bricht er zusammen mit zwei Trainingskollegen zu einer Rennradfahrt auf, die er nicht überlebt.

Als die Einsatzkräfte gegen 5.20 Uhr an der Unfallstelle auf der L162 eintreffen, ist David Giemkiewicz noch bei Bewusstsein. Genau wie die beiden Trainingskollegen. Dann wird er bewusstlos, muss reanimiert werden. Doch alle Versuche scheitern. Auf dem Weg ins Krankenhaus stirbt der 21-Jährige.

Tödlicher Verkehrsunfall: Mutter quälen auch 14 Jahre danach noch Fragen

Als seine Mutter Barbara nach Hause kommt, war die Polizei schon da. Davon erfährt sie von Nachbarn. Sie ruft die Polizei an, will wissen, warum die Beamten sie aufgesucht haben. Sie erfährt es nicht. Noch nicht. Nicht am Telefon. „Ich wusste sofort, dass etwas passiert ist“, sagt sie heute. Als die Beamten dann erneut in Niederelvenich eintreffen, bricht für Barbara Giemkiewicz eine Welt zusammen.

Fragen tun sich im Nachgang des Unfalls auf. Fragen, die teilweise eher belanglos erscheinen: Wo ist das Handy des Sohnes? Was ist mit dem Haustürschlüssel passiert? Aber auch Fragen, die Mütter wohl nie loslassen. „Warum kann ich mich minuziös an den Tag erinnern, aber warum habe ich nicht gespürt, dass mein Sohn gerade gestorben ist?“, nennt Giemkiewicz eine. Fragen, auf die es auch 14 Jahre später keine Antworten gibt.

Berufsschüler lauschen den ergreifenden Vorträgen sehr aufmerksam

Während die Mutter erzählt, ist es in der Aula der Marienschule in Euskirchen mucksmäuschenstill. Zwei junge Frauen bekommen von den Schilderungen nichts mehr mit. Sie haben schon vorher die Aula verlassen – zu nah sind ihnen die mit Musik unterlegten Bilder der Kreuze an den Straßenrändern gegangen.

Die anderen etwa 120 Schülerinnen und Schüler des Thomas-Eßer-Berufskollegs sind einfach nur still, einige haben glasige Augen. Der Fall des 21-jährigen David geht ihnen nahe – schließlich war er am 4. November 2010 in ihrem Alter.

Ziel ist es, die Zahl von Verkehrsunfällen – vor allem solche mit beteiligten jungen Erwachsenen – nachhaltig zu senken.
Jörg Meyer, Polizist

Es sind Schilderungen wie die von Barbara Giemkiewicz, die den Crash Kurs NRW so authentisch machen. Die Vortragsreihe ist das Verkehrsunfallpräventionsprogramm der Polizei in Nordrhein-Westfalen und richtet sich speziell an Schülerinnen und Schüler ab den 10. und 11. Klassen in weiterführenden Schulen sowie Berufskollegs.

„Ziel ist es, die Zahl von Verkehrsunfällen – vor allem solche mit beteiligten jungen Erwachsenen – nachhaltig zu senken“, erklärt Jörg Meyer, Polizist, Verkehrssicherheitsberater und Leiter des Crash Kurs NRW im Kreis Euskirchen. Man könne Prävention nicht messen, sagt er: „Doch die Erfahrungen zeigen, dass die Bilder und Worte lange in den Köpfen der Schüler bleiben.“

Euskirchener Polizist verbringt ersten Arbeitstag im Leichenschauhaus

Tatsächlich schweigen die allermeisten der Schülerinnen und Schüler, als sie die Marienschule verlassen. „Es war einfach krass. Man macht sich keinen Kopf darüber, dass innerhalb einer Sekunde das Leben ein ganz anderes sein kann“, sagt Schüler Marco auf dem Weg zur Berufsschule.

Rainer Brück ist seit mehr als 30 Jahren im Kreis Euskirchen im Rettungsdienst tätig. „Als ich so alt war wie ihr jetzt, hatte ich das Gefühl, dass ich unverletzlich bin“, sagt er zu den jungen Erwachsenen während des 90-minütigen Vortrags. Längst wisse er, dass man das nicht ist. Dafür habe er in den vergangenen drei Jahrzehnten zu viel Leid auf den Straßen im Kreis Euskirchen miterlebt.

Das Bild zeigt eine Berufsschülerin, wie sie an einer Stellwand unterschreibt.

Einige Berufsschüler unterschrieben symbolisch eine Kooperationsvereinbarung mit der Polizei, sich im Verkehr an die Regeln zu halten.

An seinen ersten Arbeitstag bei der Euskirchener Polizei kann sich der Mechernicher Angelo Rubino noch gut erinnern. „Ich musste mit zu einer Leichenschau“, erinnert er sich. Im Februar 2013 war das. Wenige Tage zuvor verunglückt auf der L11 zwischen Satzvey und Mechernich eine 20 Jahre alte Frau tödlich. Sie kommt aus ungeklärter Ursache von der Fahrbahn ab und kollidiert mit einem Baum. Die Mechernicherin stirbt noch an der Unfallstelle.

Die seelischen Spuren sind nicht messbar

Die Beifahrerin, die Mutter der 20-Jährigen, übersteht den Unfall mehr oder weniger körperlich unverletzt. Die seelischen Spuren, die der Tod ihrer Tochter hinterlassen hat, sind nicht messbar. Auch bei Polizist Rubino hat der Unfall bis heute Spuren hinterlassen. Auch er gibt den Jugendlichen eine Botschaft mit auf den Weg. „Bitte setzt auch nicht mit Drogen oder Alkohol im Blut hinters Steuer. Bitte passt gegenseitig aufeinander auf“, mahnt er.

Ludwig Szopinski war ebenfalls viele Jahre bei der Polizei. Heute ist er ehrenamtlicher Mitarbeiter beim Kriseninterventionsdienst (KID) des Kreises Euskirchen. Seit 2000 sind die ehrenamtlichen Mitarbeiter des KID unter der Trägerschaft des Deutschen Roten Kreuzes im Einsatz. Szopinski erklärt den Schülern, dass der KID eine Art „Notfallsanitäter für die Seele“ sei. Anschließend spricht er Tacheles: „Ich habe keinen Bock bei euren Eltern zu klingeln, um ihnen zu sagen, dass ihr gestorben seid.“

Er könne sich noch an jeden Ort erinnern, an dem er Todesnachrichten überbringen musste – sei es als Polizist oder als KID-Mitarbeiter. „Das Erste, was man denkt, wenn ein Anruf vom KID kommt, ist: Scheiße, warum musste das Unglück passieren?“, so Szopinski: „Natürlich ahnen die Menschen, dass etwas Schreckliches passiert ist, sonst würde die Polizei ja nicht klingeln. Schon mal gar nicht, wenn Mitarbeiter des KID dabei sind.“

Was passiere, sobald man so klar wie möglich die Todesnachricht überbracht habe, könne man sich nur schwer vorstellen, wenn man nie in der Situation gewesen sei. „Also seht zu, dass ihr und eure Freunde und Familien nie in eine solche Situation kommt“, beschwört der 71-Jährige seine Zuhörer. „Das Leben ist keine Serie auf Netflix, kein Spiel auf der Playstation. Das ist die brutale Realität.“

KStA abonnieren