Abo

Exklusiv

Projekt
Schüler lernen in Kuchenheim zwischen Kühen und Hühnern – beeindruckende Fortschritte

7 min
Das Bild zeigt einen Schüler, der ein Kannichen streichelt, während es die Krallen geschnitten bekommt. Eine Katze schaut ebenfalls zu.

Maniküre ist auch bei Kaninchen wichtig. Die beruhigenden Streicheleinheiten gibt es von den Schülern gratis.

Acht Schüler der Matthias-Hagen-Förderschule in Kuchenheim haben im Birkenhof ein eigenes Klassenzimmer. Der Werdegang der Schüler überrascht alle.

Eine schwarz-weiße Katze schaut neugierig um die Ecke als ein Kaninchen die Krallen geschnitten bekommt, Stroh steckt in den Haaren, ein Hahn kräht lautstark dazwischen – und irgendwo im Hintergrund kauen Kühe zufrieden auf ihrem Heu. Nur wenige Meter daneben findet Unterricht statt – mitten im Stall, zwischen Tieren, Holz und manchmal dann doch nicht nur nach Erdbeeren duftender Landluft.

Was klingt wie ein außergewöhnlicher Ausflug, ist für acht Kinder der Matthias-Hagen-Förderschule in Kuchenheim längst Alltag geworden. Seit einem Jahr lernen sie auf dem Birkenhof, einem landschaftlichen Betrieb zwischen Kuchenheim und Palmersheim, auf dem die Schule einen festen Lernort eingerichtet hat. Fünf Pädagoginnen und Pädagogen begleiten die Klasse täglich – mit einem Ziel: Kindern, die traumatische oder besonders belastende Erfahrungen gemacht haben, wieder Freude am Lernen zu vermitteln.

Schulische Erfolge waren in dieser Form nicht zu erwarten

Das Projekt zeigt nach Angaben von Schulleiter Jan Schütz erste Erfolge. Erfolge, die in dieser Form wohl niemand der Beteiligten erwartet hat, und die Schütz bei jeder Gelegenheit als spektakulär bezeichnet. Es sei aber auch ein harter Weg gewesen, weil es ein solches Konzept wie den Birkenhof auf keiner Blaupause gegeben habe.

Und eins war klar: dafür musste man auch durchaus Lehrer begeistern. „Ich bin vom Schulleiter schon ein wenig in die Richtung geschubst worden“, sagt Janina Mager, Lehrerin an der Matthias-Hagen-Schule. Die Lehrerin, die zudem eine Ausbildung zur Schreinerin abgeschlossen hat, ist rund 15 Monate später sehr froh darüber, Teil des Projekts zu sein. „Jeder Tag ist anders. Ich will das alles nicht mehr missen. Und die Kinder in so einer besonderen Form sich weiterentwickeln zu sehen, ist erfüllend“, erklärt Mager, die zusammen mit Kollegin Ilona Zehnpfennig den „Lehrerpart“ in der Birkenhofklasse übernimmt.

Auf dem Birkenhof bei Kuchenheim wird ganzheitlich gelernt

Hinzukommen zwei Pädagoginnen des Schülergarten-Teams. Die Schülergarten gGmbH ist ein Träger der freien Jugendhilfe in Kerpen und unterstützt nicht nur die Förderschule am Birkenhof, sondern bietet auch die OGS an der Förderschule an. Zusätzlich neu im Team ist eine Natur- und Erlebnispädagogin. „Sie bringt eine neue Farbe und ganz viel Herzblut ein – als hätten wir sie uns gebacken“, sagt Schulleiter Schütz.

Das Besondere am Birkenhof: Lernen passiert hier ganzheitlich. Es geht nicht nur um Noten, sondern um Selbstwirksamkeit. Wer Verantwortung für Tiere übernimmt, erlebt Vertrauen und Verlässlichkeit. Wer Pflanzen zieht oder Projekte gestaltet, sieht, was aus eigener Arbeit entsteht.

Und natürlich darf auch der Spaß nicht fehlen. Freitags steht die beliebte „Strohzeit“ auf dem Plan – eine Belohnung für erfüllte Tagesziele. „Da können wir in die großen Ballen springen oder uns im Stroh wälzen“, erzählt Schüler Steffen (Name geändert) begeistert. Das motiviert – und schafft positive Erfahrungen mit Schule.

Das Bild zeigt eine Schülerin, die eine schulische Aufgabe löst.

Im Klassenraum neben dem Stall wird Mathe und Deutsch gepaukt.

Das Bild zeigt eine Schülerin, die mithilfe einer Schubkarre Mist wegfährt. An der Seite fressen Kühe Heu.

Die Schüler lernen nicht nur, sie helfen auch auf dem Bauernhof.

Das Konzept ist das Ergebnis eines mehrjährigen Entwicklungsprozesses, an dem Jugendamt, Schulaufsicht, Schulverwaltungsamt und das Team der Matthias-Hagen-Schule beteiligt waren. Drei Gruppen von Schülerinnen und Schülern sollen so besser erreicht werden: Kinder mit aktiver oder passiver Schulverweigerung, Kinder in langanhaltenden psychosozialen Krisen und solche, die ihre Schulfähigkeit (vorübergehend) verloren haben. „Wir mussten wirksamer werden – und das gelingt hier“, sagt Schütz. „In diesem Projekt steckt viel Arbeit, viel Liebe – und, ja, auch viel Bürokratie. Aber es lohnt sich, weil es um Kinder geht, die eine echte Chance brauchen.“

Das Projekt sei „absolutes Neuland“ gewesen, so Schütz, der mit der Familie Lanzerath einen Partner gefunden hat, den er nicht mehr missen will. „Wir werden, wo wir nur wollen, unterstützt“, berichtet der Schulleiter. Jüngstes Beispiel: eine Küche im Bauernhof, die auch von den Schülern mit den Pädagoginnen genutzt werden kann. Auch Hochbeete seien in Kooperation mit den Landwirten – und mithilfe der Schülerinnen und Schüler – aufgebaut und bepflanzt worden.

Allein die Altersunterschiede der Schüler sind eine Herausforderung.
Janina Mager, Lehrerin

Doch wer meint, dass alles rosarot ist, wird enttäuscht. „Allein die Altersunterschiede der Schüler sind eine Herausforderung“, sagt Lehrerin Janina Mager. Auf dem Hof lernen Oberschüler, die sich im Regelschulbetrieb verloren hatten, gemeinsam mit Zweitklässlern, die gerade aufblühen. Für jeden gilt: Der richtige Rahmen zählt. „Manche brauchen Rückzug, andere einfach mehr Zutrauen“, so Mager.

Aber man habe sich auch als Team zunächst einmal finden müssen. Schließlich habe es nur ein grobes Konzept gegeben – in der Theorie. Das Konzept habe mit Leben und Lerninhalten gefüllt werden müssen. „Am Anfang war vieles unklar“, so Mager weiter. „Wir kannten uns alle nicht, es gab keine fertige Blaupause. Wir mussten ausprobieren, was geht – mit den Kindern, mit dem Hof, mit uns.“

Nach ein wenig Fluktuation aufseiten des Schülergartens hat sich das Team aber längst gefunden. Und nach etwas mehr als zwölf Monaten hat sich das Projekt aus Sicht des Schulleiters bereits bewährt. „Es geht um Etappenziele und ums Dranbleiben“, so Schütz. „Es geht nicht um Beschäftigungstherapie, sondern um echte Bildung“, betont Schütz zudem: „Die Kinder arbeiten an Lernzielen, bekommen Noten, Zeugnisse, Schulformempfehlungen – aber in einem Umfeld, das ihnen Halt gibt.“

Die Kinder sollen nicht dauerhaft auf dem Hof bleiben, sondern gestärkt in ihre Klassen zurückkehren. Dafür arbeitet das Team eng mit den Lehrkräften der Stammschule zusammen. Übergänge werden vorbereitet, Rückkehrprozesse begleitet. „Bei manchen geht es schneller, bei anderen stufenweise. Wir wollen, dass das, was sie hier gelernt haben, überall abrufbar bleibt – nicht nur wegen des Birkenhofs, sondern wegen der eigenen Stärke“, erklärt Schütz. Was 2024 als Experiment begann, ist inzwischen ein Erfolgsmodell. Pädagogische Fachkräfte, Jugendämter und sogar Ausbilder für Lehrer interessieren sich für das Projekt.


Von der Klasse auf dem Bauernhof auf die weiterführende Schule

Als Ronja (Name geändert) vor gut einem Jahr auf den Birkenhof kam, galt das Mädchen als kaum schulfähig. Sozial und emotional stark verwildert, zeigte sie laut Schütz extrem altersunangemessenes Verhalten: Sie verweigerte den Unterricht, versteckte sich unter dem Tisch, lief aus der Klasse und streifte ziellos durch das Gebäude. Immer wieder kam es zu Konflikten mit anderen Kindern. Im Bauernhofprojekt wandelte sich dem Schulleiter zufolge das Bild vollständig. Ronja zeigte sich offen, fröhlich und zugewandt. Aggressives Verhalten war kein Thema mehr. Stattdessen entwickelte sie Geduld, Durchhaltevermögen und die Fähigkeit, Frustrationen auszuhalten. Sie übernahm eigenständig Aufgaben im Team, arbeitete zuverlässig mit und wurde bald zu einer Art „Expertin“ für bestimmte Tätigkeiten.

Auch schulisch holte sie auf: Innerhalb eines Jahres schloss sie die Lernlücken der ersten beiden Klassen und arbeitet inzwischen zielgleich in der dritten Klasse mit. Heute nimmt sie voll am regulären Unterricht in der Matthias-Hagen-Schule teil, kommt in ihrer Klasse gut zurecht und braucht keine zusätzliche Begleitung mehr. Für die Zukunft ist laut Schütz der Übergang auf die Realschule Bad Münstereifel geplant – ein Weg, der vor einem Jahr noch kaum denkbar schien.

Das Bild zeigt die beiden Obengenannten im Gespräch.

Sind beeindruckt: Hannah Kuhl, Leiterin des Jugendamts beim Kreis Euskirchen, und Schulleiter Jan Schütz.

Auch bei Tim (Name geändert) schien der reguläre Schulalltag kaum mehr möglich. Selbst mit Schulbegleitung war die Teilnahme am Unterricht schwierig: Es verweigerte Aufgaben, reagierte oppositionell und verbal aggressiv, wenn er mit bestimmten Personen zusammenarbeiten sollte. Lehreranweisungen wurden häufig ignoriert. Immer öfter blieb das Kind zu Hause. Auf dem Bauernhof änderte sich das Bild erstaunlich schnell. In der neuen Umgebung fasste das Kind rasch Vertrauen – und zeigte während des gesamten Jahres keinerlei aggressives Verhalten mehr. Durch die enge Zusammenarbeit mit den Eltern wurde auch deren Erziehungskompetenz gestärkt, wodurch sich die häusliche Situation deutlich stabilisierte.

Im Verlauf des Projekts nahm der Schüler wieder regelmäßig am Unterricht teil, arbeitete zunehmend eigenständig und engagiert – eine Schulbegleitung war bald nicht mehr nötig. Heute besucht Tim die vierte Klasse, nimmt voll am Unterricht teil und kommt dort gut zurecht. Für das Schuljahr 2026/27 ist der Wechsel an die Gesamtschule Weilerswist vorgesehen – ein Schritt, der vor dem Bauernhofprojekt kaum denkbar gewesen wäre.

Bei Jason galt die Schulfähigkeit sogar schon als verloren

Neu auf dem Birkenhof ist Jason (Name geändert). Bei ihm galt die Schulfähigkeit zuletzt als verloren. Misstrauen gegenüber Lehrkräften, fehlendes Zutrauen in die eigene Leistungsfähigkeit und zahlreiche Konflikte außerhalb des Unterrichts bestimmten den Alltag. Dazu kam eine ausgeprägte motorische Unruhe, die konzentriertes Arbeiten kaum zuließ.

Im Bauernhofprojekt kam die Wende. Jason erscheint inzwischen regelmäßig und meist positiv gestimmt, ist offener und zugewandter geworden und kann positive Zuwendung zunehmend annehmen – und auch aushalten. Besonders ansprechend wirkt die tiergestützte Pädagogik: Der Kontakt zu Tieren beruhigt, fördert Empathie und stärkt das Selbstvertrauen.

Regeln und Unterrichtsinhalte werden nur noch selten verweigert. Die Einstellung zur Schule hat sich deutlich verbessert. „Die Klasse ist eigentlich voll cool! Wie viele Jahre kann man hier bleiben?“, sagt das Kind heute lachend. Der Weg zurück in den Schulalltag ist laut Schütz geebnet.