StraßenbauGrundstückseigentümer im Kreis Euskirchen besorgt wegen drohender Kosten

Lesezeit 5 Minuten
Eine Baggerschaufel steht an einer Straßenbaustelle, auf der wegen des Schnees nicht gearbeitet wird.

Die winterliche Ruhe trügt: Die Grundstücksbesitzer am Höhenweg in Vussem sind besorgt, denn die Baumaßnahme an ihrer Straße könnte für sie horrende Kosten bedeuten. Zwischen 25.000 und 200.000 Euro könnten fällig werden.

Ersterschließung oder Sanierung? Die Frage kann beim Straßenbau für die Bürger im Kreis Euskirchen einen Unterschied von vielen Tausend Euro bedeuten.

Eine Frage könnten sich Grundstückseigentümer bald öfters stellen, wenn Bautrupps anrücken, um im Auftrag von Stadt oder Gemeinde die Straße auf Vordermann zu bringen: Sanieren sie schon oder erschließen sie noch?

Denn für die Besitzer der Flurstücke ist dieser feine Unterschied alles andere als trivial. Es geht um ihr Geld – und es geht um sehr viel Geld. Fünfstellige Euro-Beträge sind die Regel. Je nach Größe des Grundstücks könnten auch sechsstellige Euro-Beträge auf dem Zahlungsbescheid stehen.

Maßnahmen in Mechernich könnten bis zu 200.000 Euro kosten

Was das bedeutet, erfahren derzeit die Grundstücksbesitzer am Höhenweg in Vussem und die am Spitzbergweg beziehungsweise am Betzelbend in Weiler am Berge. Für die Maßnahmen an ihren Straßen könnten sie mit Beträgen zwischen 25.000 und 200.000 Euro zur Kasse gebeten werden. Und im Kreis Euskirchen gibt es viele Höhenwege oder Spitzbergwege, wenn sie auch anders heißen.

In Mechernich etwa geht Bürgermeister Dr. Hans-Peter Schick von einigen Dutzend Straßen aus, deren Anwohner sich seit Jahrzehnten einer asphaltierten Straße mit Beleuchtung und allen gängigen Versorgungsanschlüsse erfreuen – und deren Erschließung aber nicht mit den Besitzern abgerechnet wurde. Wenn dann die Straße ausgebaut wird, handelt es sich gegebenenfalls finanztechnisch um eine Ersterschließung, bei der die Eigentümer zur Kasse gebeten werden könnten – und das nicht zu knapp.

Alle schauen nach Düsseldorf, Düsseldorf schaut nach Mechernich

So schauen nun alle gebannt nach Düsseldorf, wo das entscheidende Gesetz in Arbeit ist. Und Düsseldorf schaut nach Mechernich. Nachdem diese Zeitung mehrmals über die Sorgen der Bürger im Stadtgebiet berichtet hatte, haben sich Schick zufolge Mitarbeiter von Landesbauministerin Ina Scharrenbach (CDU) mit dem zuständigen Fachbereichsleiter der Stadt Mechernich, Lothar Hilgers, in Verbindung gesetzt. Sie wollten sich den Sachverhalt erklären lassen. „Eine Lösung hat das Ministerium nach dem Gespräch nicht genannt“, so Schick: „Das war aber auch nicht zu erwarten.“

Denn es geht nicht nur für die Betroffenen um viel Geld. Straßen, deren Erschließung noch nicht abgerechnet ist, dürfte es noch viele in ganz NRW geben. Der Bad Münstereifeler SPD-Ratsherr und Referent der Landtagsfraktion, Thilo Waasem, schätzt, dass gut die Hälfte der rund 500 Straßen in Bad Münstereifel betroffen sind. Dem widerspricht aber am Dienstag die Stadtverwaltung. Es gebe lediglich einige wenige Straßen, deren Ersterschließung noch nicht komplett abgerechnet sei.

Thilo Waasem (SPD) verweist auf Grudsatz des Verfassungsgerichts

Eine Lösung muss aber so oder so her. Denn sollten in den betroffenen Straßen mal die Bagger anrücken, könnte es teuer für die Besitzer von Haus und Hof werden, sofern in Düsseldorf keine andere Lösung gefunden wird. Die immer wieder spannende Frage dabei: Wer soll das bezahlen? Die Eigentümer vor Ort, die Allgemeinheit oder im Kompromiss beide? „Für die Landesregierung geht es auch um sehr viel Geld“, sagt Schick. Wenn sie die Kosten der Bürger übernehmen will, wird’s für den Finanzminister teuer. Waasem war zwar immer ein Gegner davon, dass die Eigentümer bei Sanierungen zur Kasse gebeten wurden.

Dass aber Häuslebauer Erschließungsbeiträge zahlen müssten, ergebe schon Sinn. Denn warum sollten die Steuerzahler ihnen die Ersterschließung bezahlen? Waasem stört aber, wenn die vierten oder fünften Besitzer einer Immobilie Jahrzehnte nach der eigentlichen Erschließung eine Rechnung erhielten. Das widerspreche einem Grundsatz, den das Bundesverfassungsgericht entwickelt habe, so Jurist Waasem: „Demnach muss man für seine Lebenszeit überblicken können, was für öffentliche Belastungen auf einen zukommen können.“

Was geschieht in NRW mit der 25-Jahre-Regel?

Daher sei es bedauerlich, dass die (noch) gültige 25-Jahre-Regel, wonach Bürger für Maßnahmen, die länger als ein Vierteljahrhundert zurückliegen, nicht mehr belangt werden können, während der Aufstellung des Gesetzes verloren gehen könnte. Waasem vermutet, dass Städte und Gemeinden darauf drängten. Seine Erklärung: Wird die Erschließung nach Baugesetzbuch abgerechnet, sind die Eigentümer mit 90 Prozent der Kosten dabei, beim Kommunalabgabengesetz (KAG) im Schnitt mit 80 Prozent. Bei KAG springt das Land für die Bürger ein, der Kommune blieben 20 Prozent, nach Baugesetzbuch nur zehn. Für die teilweise hoch verschuldeten Städte   geht es also auch um viel Geld.

Die 25-Jahresfrist, die seit Juni 2022 gilt, führt laut dem Sprecher des NRW-Städte- und Gemeindebundes, Philipp Stempel, zu erheblichen Unsicherheiten in der Anwendung und NRW-weit zu Einnahmenausfällen in mindestens dreistelliger Millionenhöhe: „Einnahmen, mit denen die Kommunen geplant haben“, so Stempel.

Für die Akteure im Kreis bleibt da nur der gebannte Blick in die Landeshauptstadt. Zwar hatte die SPD in Mechernich im Sommer 2022 den Rat dazu bewegen wollen, per Beschluss die Kostenaufteilung   nach   KAG zu behandeln. Ein netter Versuch, denn die KAG-Beiträge der Eigentümer hätte dann ja das Land übernommen. Doch die Ratsmehrheit lehnte den SPD-Antrag ab, weil Bürgermeister Schick deutlich gemacht hatte, dass es seine Pflicht sei, einen rechtswidrigen Beschluss zu beanstanden. Die Musik spielt also woanders. Fragt sich nur, wer sie am Ende bezahlen muss.


Die Nettersheimer Lösung

Norbert Crump ist seinem inzwischen verstorbenen Vorvorgänger im Amt des Nettersheimer Bürgermeisters, Hermann-Josef Mießeler, sehr dankbar. Der habe nämlich 1987 alle Straßen erfassen lassen, die vor dem Inkrafttreten des Baugesetzbuches 1961 erschlossen worden waren, und als historische Straßen klassifiziert. Damit seien sie zu KAG-Straßen geworden, so Crump. Wird eine solche Straße saniert, wird die Maßnahmen nach dem Kommunalabgabengesetz abgerechnet.

Da das Land seit 2020 die KAG-Anteile der Eigentümer, die je nach Kommune bis zu 90 Prozent der Baukosten betragen können, übernimmt, sind diese fein raus. Laut Bürgermeister Crump handelt es sich um 85 Prozent der Straßen im Gemeindegebiet. „Damit hat Herr Mießeler dafür gesorgt, dass viele Bürger nicht bluten müssen“, so Crump.

Zum Nachahmen eignet sich dieses Verfahren für andere Städte und Gemeinden allerdings nur bedingt, wie der Mechernicher Bürgermeister Dr. Hans-Peter Schick erläutert: „Man kann nicht einfach historische Straßen deklarieren.“ Die müssten ja bis 1961 erschlossen worden sein. (sch)

KStA abonnieren