16 der in Indien angeworbenen Pflegefachkräfte befinden sich im Kreis Euskirchen in der Einarbeitung. Probleme gibt es mit den Führerscheinen.
PflegenotstandEinrichtungen im Kreis Euskirchen freuen sich über Unterstützung aus Indien

Im Kreis Euskirchen arbeiten derzeit 16 Pflegefachkräfte aus Indien. Der Kreis hat sie mithilfe einer Agentur für fünf Einrichtungen im Kreis angeworben. Eine davon ist die 34-jährige Soji Victor.
Copyright: Tom Steinicke
Soji Victor lächelt. „Das tut sie eigentlich immer“, sagt Kerstin Beissel, Pflegedirektorin im Marien-Hospital in Euskirchen. Victor sei eine „echte Frohnatur“, die dem Stationsalltag guttue – ebenso wie ihre beiden Landsfrauen, die seit rund einem halben Jahr als Pflegekräfte in Anerkennung im Marien-Hospital tätig sind. Der Grund: Der indische Pflege-Bachelor oder die dortige Ausbildung werden in Deutschland nicht vollständig anerkannt.
„Pflegefachkraft in Indien und Pflegefachkraft in Deutschland – das sind zwei völlig verschiedene Paar Schuhe“, erklärt Beissel. In der Anfangszeit werde daher jede Pflegekraft von einer erfahrenen Kollegin begleitet: „Wenn Tätigkeiten wie Blutdruckmessen einmal unter Aufsicht durchgeführt wurden, können sie anschließend selbstständig übernommen werden.“ Spätestens dann, so Beissel, seien die indischen Pflegenden eine echte Entlastung für die Station. Und Soji Victor? Sie lächelt – noch ein bisschen mehr als zuvor.
Schon heute wissen wir, dass allein in der Altenpflege bis zum Jahr 2045 rund 1200 Pflegekräfte fehlen werden – und das nur, um den derzeitigen Standard zu halten.
Die drei Frauen sind Teil eines Projekts des Kreises Euskirchen, der die Federführung für die Anwerbung von Pflegekräften aus Indien übernommen hat. Insgesamt 33 Fachkräfte sollen es sein – so groß ist der Bedarf, den fünf Pflegeeinrichtungen dem Kreis gemeldet haben. Mithilfe der Agentur „Care with Care“ sollen sie aus Indien in den Kreis Euskirchen geholt werden. 16 von ihnen sind bereits angekommen, wie Birgit Wonneberger-Wrede, Geschäftsbereichsleiterin Gesundheit und Soziales beim Kreis Euskirchen, berichtet. Sie arbeiten unter anderem im Kreiskrankenhaus Mechernich, in Marienborn in Zülpich oder in der Stiftung Evangelisches Alten- und Pflegeheim Gemünd (EvA).
Bis 2045 werden 1200 Pflegekräfte im Kreis Euskirchen fehlen
Während Soji Victor gut gelaunt über die Flure des Krankenhauses eilt und nach eigenem Bekunden besonders gern mit Patientinnen spricht, um ihr Deutsch zu verbessern, blickt Wonneberger-Wrede mit Sorge in die Zukunft.

Sucht den ständigen Austausch mit Corinna Gentges: Soji Victor. Sie verrichtet seit knapp einem halben Jahr ihren Dienst im Marinen-Hospital.
Copyright: Tom Steinicke
„Schon heute wissen wir, dass allein in der Altenpflege bis zum Jahr 2045 rund 1200 Pflegekräfte im Kreis fehlen werden – und das nur, um den derzeitigen Standard zu halten“, sagt sie: „Die Krankenpflege ist dabei noch gar nicht eingerechnet.“ Auch in diesem Bereich rechnet der Kreis mit einem Fehlbedarf von mehr als 1000 Kräften.
Hinzu kommt: In den kommenden 20 Jahren werden voraussichtlich elf weitere Senioreneinrichtungen mit jeweils mindestens 80 Plätzen benötigt. „Und damit halten wir lediglich das Niveau, das im Kreis Euskirchen ohnehin nur als Mindeststandard bezeichnet werden kann“, betont Wonneberger-Wrede.
Auch bürokratische Hürden bremsen
Die Kosten pro angeworbener Pflegekraft liegen – je nach Leistungsumfang – zwischen 15.000 und 25.000 Euro. Finanziert wird das ausschließlich von den teilnehmenden Einrichtungen. „Das ist ein erheblicher Aufwand an Geld, Zeit und Nerven“, sagt Wonneberger-Wrede: „Vor allem kleinere Arbeitgeber können sich das oft nicht leisten – obwohl das Projekt ursprünglich genau für sie gedacht war.“ Neben den finanziellen Belastungen bremsen auch bürokratische Hürden. „Die Anerkennungsverfahren für ausländische Abschlüsse dauern sehr lange“, erklärt Wonneberger-Wrede. Zuständig ist die Bezirksregierung Münster – und eine in einem anderen Bundesland bereits anerkannte Ausbildung gilt dort häufig nicht automatisch.
Führerschein verursacht Zusatzkosten von 3000 Euro pro Pflegekraft
Auch praktische Probleme erschweren den Start: Ein in Deutschland nicht anerkannter Führerschein verursacht zusätzliche Kosten von rund 3000 Euro pro Person. Ein weiterer zentraler Punkt ist die Sprache. „Pflegesprache ist etwas anderes als Alltagsdeutsch“, betont Wonneberger-Wrede: „Man muss sich sicher ausdrücken können, damit im Umgang mit Pflegebedürftigen keine Missverständnisse entstehen.“
Das bestätigt auch Corinna Gentges, stellvertretende Stationsleiterin und Praxisanleiterin im Marien-Hospital: „Die Sprachbarriere war zunächst hoch, ist aber innerhalb der ersten Monate deutlich geringer geworden.“
Die Sprachbarriere war zunächst schon hoch. Aber sie ist innerhalb der ersten Monate bereits deutlich geringer geworden.
Sowohl Pflegedirektorin Beissel als auch Wonneberger-Wrede hatten mit größeren Schwierigkeiten gerechnet. „Die Pflegenden sind sprachlich deutlich besser vorbereitet als gedacht“, lobt Wonneberger-Wrede. Die Sprachhürde sei nachvollziehbar – die Probleme mit den Führerscheinen hingegen seien frustrierend. „Daran kann man wirklich verzweifeln“, sagt sie. Trotz aller Herausforderungen zieht der Kreis Euskirchen eine positive Zwischenbilanz. „Wir wussten, dass es kein einfacher Weg wird“, sagt Wonneberger-Wrede. „Aber wir haben viel gelernt – etwa, wo wir schneller reagieren und besser unterstützen können.“
Kreisverwaltung Euskirchen plant Ausweitung des Pilotprojekts
Auch der krankheitsbedingte Ausfall der Projektkoordinatorin, die als Bindeglied zwischen dem Kreis und den Einrichtungen fungierte, ändert daran nichts. Die Kreisverwaltung hofft, dass die Stelle bald nachbesetzt werden kann.

Zum Alltag der indischen Pflegefachkraft gehört auch das Einsortieren von Medikamenten in den Schrank auf der Station.
Copyright: Tom Steinicke
Die Kreisverwaltung denkt bereits über eine Ausweitung des Projekts nach – ein entsprechender Kreistagsbeschluss steht allerdings noch aus. Wonneberger-Wrede kann sich vorstellen, künftig auch Auszubildende aus dem Ausland zu gewinnen. „Bei Auszubildenden dauert es zwar länger, bis sie einsatzbereit sind – rund vier Jahre inklusive Eingewöhnung und Ausbildung –, aber sie sind meist jünger und haben weniger familiäre Verpflichtungen“, erklärt sie. „Das macht die Integration oft leichter.“
Der Kreis will den Arbeitgebern im kommenden Jahr erneut anbieten, am Programm teilzunehmen – ob sie ausgebildete Fachkräfte oder Auszubildende bevorzugen, sollen die Einrichtungen selbst entscheiden. „Die Pflegekrise ist da – und sie wird sich verschärfen“, warnt Wonneberger-Wrede. „Umso wichtiger ist es, dass wir handeln. Dieses Projekt ist ein Schritt in die richtige Richtung – ein Baustein, der hilft, die Krise zu bewältigen, auch wenn der Weg kompliziert ist.“
Alltagshelfer unterstützen Fachkräfte beim Einleben in der neuen Heimat
Um den Einstieg für die indischen Pflegekräfte zu erleichtern, hat das Marien-Hospital gleich doppelt reagiert. „Den drei Frauen wurde mit Oliver Dreßen ein Integrationshelfer zur Seite gestellt“, berichtet Pflegedirektorin Beissel. Außerdem habe das Krankenhaus eine Alltagshelferin eingestellt. „Natürlich ist das eine zusätzliche Investition. Aber sie lohnt sich. Wenn die Pflegenden uns verlassen, wäre der Verlust viel größer“, betont sie.
Zwei der drei Pflegekräfte wohnen im Schwesternwohnheim direkt neben dem Krankenhaus, die dritte ist mit ihrem Mann in die Euskirchener Innenstadt gezogen. Der Mann studiert in Aachen und pendelt zwischen der Kaiserstadt und Euskirchen. Die Alltagshelferin unterstützt die Frauen im täglichen Leben – etwa bei Fragen, wo man einkauft, zum Friseur geht oder einen Hausarzt findet. Die gute Infrastruktur der Kreisstadt spiele dem Marien-Hospital beim Onboarding, also dem Ankommen in der neuen Region und der neuen Kultur, in die Karten, so die Pflegedirektorin.
Beim Marien-Hospital sollen die drei Pflegerinnen aus Indien nicht die letzten bleiben. „Wir warten auf acht weitere“, sagt Beissel. Wann die Verstärkung eintrifft, ist allerdings noch unklar. Sie sei jedoch froh, dass die neuen Mitarbeitenden nicht alle auf einmal gekommen sind: „So können wir Erfahrungen sammeln und das an die Nachzüglerinnen weitergeben.“
Auch wenn das Schwesternwohnheim eine gute Grundlage für Wohnraum biete, sei es nicht immer einfach, genügend Platz bereitzustellen. Bis die neuen Kreisbürgerinnen und Kreisbürger eigenständig als Pflegekräfte arbeiten dürfen, wird noch fast ein Jahr vergehen.
Kreis Euskirchen wirbt mit Imagefilm um ausländische Fachkräfte
Um den potenziellen Kandidaten rund um den Fachkräftemangel im Kreis Euskirchen einen Eindruck vom Leben in der Region zu vermitteln, hat der Kreis mithilfe einer Filmagentur einen Imagefilm produziert. Der 2.23 Minuten lange Film zeigt vor allem Highlights aus dem Kreis – vom kulturellen bis zum ÖPNV- Angebot.

