MusiktheaterJugendliche führen in Zülpich ein Stück über das Leben als queere Person auf

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Die Schauspieler des Projekts „Spotlight Experience“ stehen in einer Reihe und halten ihr Hand auf die Brust

Die jungen Schauspieler des Theaterprojekts „Spotlight Experience“ marschieren bei der Generalprobe des Stückes „Normal oder?!“ im Gleichschritt. Dabei singen sie: „Der Krieg stoppt nicht für die Liebe. Alle rufen still nach Freiheit.“

Das Musiktheaterstück „Normal oder?!“ erzählt davon, dass es nie leicht war, anders zu lieben – bis heute nicht, wissen die Schauspieler.

Ganz in Schwarz gekleidet, stürmt die 20-jährige Freya Tepel aus Zülpich in die Turnhalle der Euskirchener Jugendvilla. Die Tür schwingt nicht, obwohl es zu ihrem Auftritt gepasst hätte. „Frisch aus Berlin zurück“, ruft sie und erklärt, dass sie am Wochenende ein Vorsprechen an der Universität der Künste hatte.

Auch an der Ernst-Busch-Schauspielschule und der Folkwang-Universität habe sie sich beworben. Schauspielerin möchte sie werden und auf großen Theaterbühnen stehen. Damit ist es ihr ernst. Heute steht sie aber zunächst einmal auf dem Hallenboden des Euskirchener Jugendzentrums, denn die Generalprobe für das queere Musiktheaterstück „Normal oder?!“ steht an. Die nimmt Tepel mindestens genauso ernst. Wenn sie singt, kann man das an ihrem konzentrierten Gesicht sehen.

Ein Junge befragt seinen Großvater zum Leben und der Liebe

In dem Stück geht es um das Enkelkind Emmett, das seinen Opa besucht, um etwas über sein Leben, den Krieg und die Liebe zu erfahren. In Rückblenden erinnert sich sein Großvater Johann daran, wie er vom Bund eingezogen wurde, wie er immer ein bisschen zu weich war, für alles, was das Leben von ihm verlangte.

Er erinnert sich, wie er seine Homosexualität entdeckte und trotzdem eine Frau heiratete. Und dann erinnert er sich daran, wie er im Krieg seine große Liebe kennenlernte. Nur im Geheimen und dank der Toleranz seiner Frau Maria (Freya Tepel) durfte Johann diese Liebe auch ausleben.

Lucas Theisen hält seine Tochter auf dem Arm. Beide haben jeweils einen Arm ausgestreckt.

Gemeinsam mit seiner Tochter dirigiert Lucas Theisen die Gruppe.

„Das Stück haben die Jugendlichen selbst geschrieben“, erklärt Lucas Theisen, der mit seinem Mann Martijn Theisen die Initiative „Spotlight Experience“ gegründet hat. Seit zwölf Jahren stellen die Dürener Tanz-, Musik- oder Theaterprojekte auf die Beine, seit 2019 gibt es das Projekt Spotlight. „Am Anfang der Stückentwicklung steht nur der Titel“, sagt Theisen. „Um alles weitere kümmern sich die Jugendlichen.“ Sie entscheiden, worum es gehen soll, was gesungen wird, welchen Ton das ganze Stück haben wird.

Und der ist in der Welt von „Normal oder?!“ von Ernsthaftigkeit geprägt. In Schwarz-Weiß-Färbung erlebt der junge Johann in seiner Jugend eine Welt, in die er nicht zu passen scheint. Das ist ein Gefühl, das den jungen Schauspielern vom queeren Musiktheater nicht fremd ist. Freya Tepel sagt, dass das Theater für sie ein „Safe Space“ sei. Also ein Ort, an dem sie sich geschützt und sicher fühle.

Dieses Gefühl habe sie, so die bisexuelle junge Frau, leider zu Schulzeiten nicht empfunden. „In meiner Stufe gab es viele, die für meine Sexualität kein Verständnis gezeigt haben“, sagt sie. „Und das, obwohl gerade meine Generation schon sehr tolerant ist.“ Kurze Haare habe sie gehabt, „Transgender“ wurde sie genannt, erzählt sie.

Ich glaube, meine Mutter weiß, dass ich bisexuell bin. Gesprochen haben wir darüber nie.
Maximilian Mäurer, Hobby-Schauspieler

„Ich habe mich in meiner Schulzeit häufig unwohl gefühlt, nicht gehört und nicht gesehen.“ Dass Tepel sich aber traute, offen über ihre Sexualität zu sprechen, schreibt sie ihrer toleranten Familie zu. Andere Schauspieler der queeren Theatergruppe vermeiden das.

Der 20-jährige Maximilian Mäurer spielt den älteren Johann und sagt: „Ich glaube, meine Mutter weiß, dass ich bisexuell bin. Gesprochen haben wir darüber nie.“ Der 24-jährige Mike Hilger spielt den jüngeren Johann und sagt, er könne sich in den Soldaten, der seine Homosexualität verstecken muss, gut hineinversetzen: „So richtig okay war es zu meiner Schulzeit nämlich auch noch nicht, bisexuell zu sein. Deswegen kenne ich das Gefühl, sich verstecken zu müssen.“ Dabei sollte das eigentlich längst normal sein, ergänzt er.

Die queeren Schauspieler haben selbst Erfahrung mit Ausgrenzung gemacht

Seine eigene Sexualität hat Mike Hilger erst sehr spät verstanden. Da war er 18 Jahre alt. „Es war kurz nach der Aufführung unseres ersten Stückes.“ Doch eine Pubertät gehe natürlich nicht erst mit 18 Jahren los. Schon vorher hätten bei ihm unaufhörlich die Gedanken gekreist. Dass er auch auf Männer stehe, habe er lange als „normale Phase“ abzutun versucht. Er entschloss sich, über das „Problem“ so lange den Mantel des Schweigens auszubreiten, bis es sich von selbst erledigte.

Doch das tat es nicht. Deswegen vertraute sich er sich ein paar Freunden an, bei denen er sich sicher sein konnte, dass sie ihn nicht verurteilen würde. „Bei denen war ich safe“, sagt er. Nach und nach weihte er dann auch seine Familie ein: „Das lief aber leider nicht reibungslos.“ Vor allem seine Brüder hatten wenig Verständnis. „Du bist doch nicht wirklich bi“, hätten sie ihm immer wieder gesagt. Deswegen war Mike Hilger dazu gezwungen, sich nicht nur einmal, sondern gleich mehrfach zu outen – energisch und mit Nachdruck.

„Im Safe Space so sein, wie man ist“

Leicht ist ihm das nicht gefallen. Doch irgendwann begann er, mit den Augen zu rollen und sich innerlich abzuschotten. „Denkt, was ihr wollt. Es ist mein Körper, es ist mein Kopf und es sind meine Gefühle. Und über die weiß ich selbst am besten Bescheid“, habe er dann nur noch gedacht. Und: „Entweder ihr versteht es. Oder ihr versteht es nicht. Oder ihr versteht es irgendwann.“ Aber das liege nun – da er sich dazu geäußert habe – auch nicht mehr in seiner Verantwortung.

Ein „Safe Space“ ist für ihn ein Ort, an dem man sein darf, wie man ist. An dem das auch nicht hinterfragt werde. Und an dem man auch nicht „dumm angemacht“ werde. „In der Schule hat mir ein Ort wie dieser hier gefehlt“, sagt er. „So einen hätte ich gern viel früher für mich entdeckt. Tepel gibt ihm recht. „Ich finde, der Kreis Euskirchen hat einen noch viel größeren Bedarf an Safe Spaces“ – auch in anderen Nischen, denn schließlich sei nicht jeder ein Theaterfan.

Mike Hilger steht in einer Turnhalle und sieht konzentriert aus. In seiner Hand hält er ein Smartphone, auf das er nicht schaut.

Mike Hilger spielt den jungen Johann. Er konzentriert sich auf seinen Text.

Ein Gruppenbild der Schauspieler der Theatergruppe Spotlight Experience: Die jungen Leute freuen sich und recken ihre Arme in die Luft.

Am Ende einer Probe sind die Schaupieler und Schauspielerinnen meistens verschwitzt und glücklich.

Zwei Momente berühren Leiter Lucas Theisen immer besonders. Der eine: wenn der Funke überspringt und in den Jugendlichen durch die Teilnahme am Projekt plötzlich eine große Liebe für das Theater auflodert. Und wenn sie wie Tepel diesen Berufswunsch dann trotz aller Widrigkeiten auch verfolgen – besonders, wenn sie aus einem Umfeld kommen, in denen Theaterberufe eigentlich nicht zur Lebensrealität gehören.

Der andere: „Wenn Jugendliche vor mir stehen, mich anschauen, und sagen: Ich bin so froh, dass ich endlich mal jemandem sagen kann, was ich fühle.“ Theisens Augen füllen sich mit Tränen. Schließlich sei gerade das Leben im ländlichen Raum nicht so leicht für „Kids, die queer sind, Kids, die noch nicht wissen, was gerade mit ihnen passiert, und Kids, die sich einfach nur einmal ausprobieren wollen“.

So einen Raum fernab der Ballungszentren zu schaffen sei auch gar nicht so leicht, sagt er. Laufe man in der Schule mit Flyern für queeres Theater herum, traue sich niemand, den zu nehmen. Schließlich könnten alle anderen das dann auch sehen.

„Ich glaube fest, dass es auf dem Land nicht weniger queere Menschen gibt als in der Stadt“, sagt er. Aber er glaube auch, dass die Vernetzung schwieriger sei und dass die Hemmschwellen größer seien. Bringe in der Großstadt der Nachbar von obendrüber Männer mit nach Hause, dann nehme man das in einem Moment wahr, und habe es im nächsten auch schon vergessen. Die Weitläufigkeit des Landes und die engere Verbundenheit der Leute untereinander gäben Raum, die Gedanken länger um den schwulen Nachbarn kreisen zu lassen, überlegt er.

„Manche Dinge werden versteckt, aber auch die Dinge, die versteckt werden, sind Teil unseres Lebens“, sagt der 21-jährige Alan Kanani, der erst vor kurzem zu der Gruppe stieß. Darum, dass diese „versteckten Dinge“ es wert sind, gezeigt und angeschaut zu werden, gehe es für ihn in dem Stück „Normal oder?!“, sagt er. Und meint dabei nicht nur das Musikstück allein. Dann singt Freya Tepel die Zeile „Eine kleine Flamme verändert nicht die ganze Welt“ und ihre Stimme erfüllt die ganze Turnhalle der Jugendvilla.


Die Premiere des Stücks findet am Sonntag, 3. März, im Forum Zülpich statt

„Normal oder?!“ feiert seine Premiere am Sonntag, 3. März, 15 Uhr, im Forum Zülpich. Am Montag, 4. März, findet dort auch eine weitere Aufführung für Schulklassen statt. Eine Vorbestellung des kostenlosen Tickets über die Website wird erbeten, ist aber nicht erforderlich. Die Teilnahme ist kostenfrei.

Wer selbst Lust hat, einmal ein Theaterstück zu entwickeln oder bei einer Probe dabei zu sein, schreibt eine E-Mail an: info@spotlight-experience.com Weitere Infos über das Projekt "Spotlight Experience" befinden sich auf der Website.

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