Gespielte GeschichteWie der „Kriegsheimkehrer“ ins Kommerner Freilichtmuseum kam

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Peter Drespa verkörpert einen Kriegsheimkehrer des Zweiten Weltkriegs im Freilichtmuseum Kommern. In der Kleidung der späten 1940-er Jahre kniet er vor einem Radio, das auf einem Küchenstuhl steht.

Peter Drespa gehört zum Team der gespielten Geschichte im Kommerner Freilichtmuseum. Er verkörpert den Kriegsheimkehrer Peter Lenz, der in einer Nissenhütte lebt.

Gespielte Geschichte im LVR-Freilichtmuseum Kommern: Peter Drespa schlüpft regelmäßig in die Rolle des WKII-Kriegsheimkehrers Peter Lenz.

Westdeutschland, kurz nach dem Zweiten Weltkrieg. In den zerstörten Städten leben viele Menschen in katastrophalen baulichen Verhältnissen mitten zwischen den Trümmern. Um ihnen ein Dach über dem Kopf zu verschaffen, lassen die britischen Besatzungstruppen insgesamt rund 800 Nissenhütten aufbauen. Die halbrunden Wellblechbaracken dienten englischen Soldaten bereits im Ersten Weltkrieg als Unterkunft, jetzt sollen sie die Wohnungsnot ausgebombter Zivilisten lindern.

Im Kommerner Freilichtmuseum stehen zwei dieser mittlerweile mehr als 100 Jahre alten Wellblechbauten. „Ihren Namen haben die Hütten übrigens nicht von den Läuseeiern, wie manche angesichts der hygienischen Verhältnisse zur Stunde Null vermuten könnten, sondern von dem kanadischen Ingenieur und Offizier Peter Norman Nissen, der die Idee zu diesen Fertigbaubaracken für das britische Militär entwickelte“, erklärt Peter Drespa aus Dahlem.

Dahlemer schlüpft im Kommerner Museum in die Rolle eines ehemaligen Wehrmachtssoldaten

Drespa „wohnt“ in einer der beiden Hütten im Freilichtmuseum, die ihren Platz seit rund zehn Jahren am Rande der Baugruppe Marktplatz Rheinland haben. Er tut dies für rund 60 Stunden pro Monat, denn er gehört zum Team der gespielten Geschichte des Kommerner Museums.

Wenn er zum Dienst kommt, legt Drespa seine normale Kleidung ab und schlüpft in die Rolle von Peter Lenz. Die Hose, die er anzieht, wird von Hosenträgern gehalten, die alte, graue Strickjacke, die er überzieht, ist an den Ärmeln verschlissen. „Lenz ist eine fiktive Figur, mit deren Hilfe wir das Leben der Menschen in der Nachkriegszeit und den frühen 50-er Jahren thematisieren“, erklärt der Dahlemer.

Die Frontseite einer Nissenhütte im Freilichtmuseum Kommern. Auf dem Zaun davor hängen zwei Unterhemden und ein Küchentuch zum Trocknen.

Um die Nissenhütten winterfest zu machen, wurden die Stirnseiten ausgemauert und verputzt. Die Familie der Zeitzeugin Gisela Schmidt wohnte von 1947 bis 1954 in einer solchen Behausung im Ruhrgebiet.

Drespa, der nach einer Tischlerlehre zehn Jahre als Berufssoldat tätig war, kennt sich aus mit der Historie des Zweiten Weltkriegs. Lange ist er bereits in der Vermisstenforschung aktiv, er recherchierte die Geschichte des Westwalls in der Eifel und begibt sich auch außerhalb des Freilichtmuseums regelmäßig in die Zeit des Zweiten Weltkriegs zurück. „Reenactment, das Nachstellen historischer Begebenheiten, ist mein Hobby“, berichtet Drespa, der dann gerne die Rolle eines amerikanischen GIs übernimmt.

Nach der ersten Not wurden die Nissenhütten winterfest gemacht

Im Freilichtmuseum geht es auf dem Marktplatz Rheinland jedoch um die Nachkriegszeit. „Die beiden Nissenhütten unterscheiden sich stark“, erklärt Drespa: „Während die eine den eher kargen Urzustand mit nackten Wellblechwänden darstellt, ist die zweite zu einem richtigen kleinen Haus ausgebaut worden.“ Die Stirnwände wurden ausgemauert, ein Holzfußboden verlegt und das Wellblechdach gedämmt, um die Baracken winterfest zu machen.

Auf einem Holzregal stehen verschieden gefüllte Einmachgläser. Außerdem sind ein Teppichklopfer, eine Kehrgarnitur und eine blaue Metalldose zu sehen.

Selbst eingekochtes Obst und Gemüse im Vorratsraum der Nissenhütte.

Zu sehen ist dort der Zeitschnitt des Jahres 1953: Die Wohnküche ist mit einer Blumentapete tapeziert, in der Vorratskammer stehen Weckgläser mit selbst eingekochtem Obst und Gemüse und auf der Wäscheleine über dem Kohleofen trocknen Socken und Doppelripp-Unterhosen. Die Einrichtung ist der Beschreibung einer Zeitzeugin nachempfunden: Gisela Schmidt hat mit ihrer Familie von 1947 bis 1954 im Ruhrgebiet in einer solchen Nissenhütte gelebt.

In einem Innenraum der Nissenhütte steht ein cremeweißer Buffetschrank, über dem Kohleofen hängen Wäschestücke zum Trocknen auf einer Leine.

Ein Blick in die Wohnküche der Nissenhütte. 1953 gönnten sich die Bewohner eine Blümchentapete.

„Die britische Militärregierung hat dort ganze Wellblech-Siedlungen für die Arbeiter und ihre Familien errichtet, um den Zechenbetrieb wieder anzukurbeln“, erklärt Drespa einer Familie aus Bonn, die einen Blick in die Kommerner Nissenhütte wirft. Mit dem wirtschaftlichen Aufschwung in der jungen Bundesrepublik kam für die meisten Bewohner der Nissenhütten dann aber auch der Wunsch nach einem richtigen Haus auf – Familie Schmidt zog beispielsweise 1954 in ein massives Eigenheim um.

Einige Museumsbesucher wollen mit dem Thema Krieg und Vertreibung nichts zu tun haben

Wie weit Peter Drespa eintaucht in seine Rolle als Kriegsheimkehrer, das passt er den jeweiligen Besuchern an. „Manche wollen mit dem Thema Militär gar nichts zu tun haben, die laufen einfach weiter, wenn ich draußen in meiner Rolle als Minensucher unterwegs bin.“ Denn das gehört auch zur (fiktiven) Vita des Peter Lenz: Nach seiner Freilassung aus russischer Gefangenschaft 1948 erreicht er nach tagelangen Zugfahrten das Auffang- und Durchgangslager Friedland und kommt von dort nach Euskirchen. Er arbeitet zunächst in einer Kolonne, die für die britische Militärregierung Minen und andere Kampfmittel räumt.

Peter Lenz arbeitet mit einem weißen Hemd und einer Kappe auf dem Kopf im Nutzgarten. Im Hintergrund ist ein Foto von Gisela Schmidt als junge Frau im Garten zu sehen.

Für Kriegsheimkehrer Peter Lenz ist die Arbeit im Nutzgarten kein Zeitvertreib: Obst und Gemüse aus eigenem Anbau müssen den oft kargen Speiseplan ergänzen. Im Hintergrund das Foto von Zeitzeugin Gisela Schmidt vor ihren Maispflanzen.

Ältere Besucher können sich mitunter noch an ähnliche Wohnverhältnisse in der Nachkriegszeit erinnern, berichtet Drespa: „Seit dem Beginn des Kriegs in der Ukraine ist aber auch das Thema Flucht für einige Menschen problematisch, darauf muss man dann ebenfalls Rücksicht nehmen.“ Weitere Themen, die Drespa in seiner Darstellung aufgreift, sind der Schwarzmarkt, die Währungsreform und andere, „tagesaktuelle“ Nachrichten: In der Wohnküche läuft oft das Radio, das neben zeitgenössischer Musik auch Nachrichtensendungen der Besatzer für die deutsche Bevölkerung abspielt.

Politisch unverfänglicher, aber ebenso typisch für die Nachkriegszeit, ist da schon die Arbeit im Nutzgarten, der rund um die Nissenhütte angelegt worden ist. Es gibt ein paar Kaninchenställe, Obststräucher wurden gepflanzt und Stangenbohnen warten noch auf die Ernte.

Im Garten hinter der Hütte trifft man wieder auf die Zeitzeugin Gisela Schmidt: Auf einem lebensgroßen Foto steht sie neben einigen Maispflanzen und winkt in die Kamera. „Der Anbau von Mais kam auch erst nach dem Krieg durch die amerikanischen Besatzungstruppen nach Deutschland“, weiß Drespa. Allerdings beruhte die Lieferung des Saatguts wohl auf einem Missverständnis, wie verschiedene Quellen berichten. Denn als die Deutschen sagten, sie brauchten Korn zum Brotbacken, verstanden die Amerikaner „Corn“, was sie als „Mais“ übersetzten.

So wie es aussieht, war die reale Gisela Schmidt als Gärtnerin übrigens erfolgreicher als der fiktive Kriegsheimkehrer im Museum: Während Peter Lenz nur ein paar kümmerliche Maispflanzen aufweisen kann, ist die Zeitzeugin auf dem Foto neben einigen fast mannshohen Pflanzen zu sehen.


In der Baugruppe Marktplatz Rheinland des Freilichtmuseums wird die Entwicklung eines rheinischen Dorfs von der Nachkriegszeit bis in die Gegenwart dargestellt.

Wann Peter Drespa in seiner Rolle als Kriegsheimkehrer Peter Lenz im Freilichtmuseum aktiv ist, erfährt man tagesaktuell jeweils ab 8 Uhr auf der Internetseite des Museums.

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