Prozess nach GasexplosionMann brachte mit Suizidversuch ganzes Haus in Gefahr

Symbolbild
Copyright: Thomas Steinicke
Euskirchen/Meckenheim – Josef G. (Name geändert) hatte alles sorgfältig vorbereitet. Auch die Abschiedsbriefe waren geschrieben. Nun saß er an diesem Februartag auf seinem Bett und drehte die Propangasflaschen auf.
Doch um seinem Leben ein Ende zu setzen, hatte er nicht genügend Gas freigesetzt. Als er, wie geplant, das Feuerzeug entzündete, gab es einen Riesenknall, doch Josef G. blieb unverletzt.
Gut neun Monate später saß der 55-jährige, seit seiner Geburt gehörlose Mann nun auf der Anklagebank vor dem Euskirchener Schöffengericht. Denn er hat, so der Staatsanwalt, durch die Herbeiführung einer Explosion mit dem „primären Ziel“, sich umzubringen, die Beschädigung fremder Sachen von bedeutendem Wert billigend in Kauf genommen.
Am Ende der Verhandlung wurde Josef G. zu einem Jahr und sechs Monaten auf Bewährung verurteilt; ihm wurden zudem Sozialstunden auferlegt.Einen Radius von 15 Metern maß das Splitterfeld, das die Explosion angerichtet hatte.
Der Schaden am Mobiliar in seiner Meckenheimer Mietwohnung, an deren Fenster sowie an zwei Autos davor summierten sich nach Berechnung des Vorsitzenden Richters Wolfgang Schmitz-Jansen auf rund 6700 Euro. Es hätte noch schlimmer kommen können.
Gashahn zugedreht, „weil es stank“
Er habe den Hahn der Flasche wieder zugedreht, „weil es stank“, so der Angeklagte. Möglicherweise hat das sein Leben, aber auch das weiterer Menschen, die sich zur Tatzeit in dem Zehn-Parteienhaus in Meckenheim befanden, gerettet. Das sei ihm inzwischen bewusst geworden, sagte Verteidiger Albert Stumm für seinen Mandanten: „Er möchte zu seiner Verantwortung stehen.“
Beratung und Seelsorge in schwierigen Situationen
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Doch wie schuldfähig ist jemand, der mit seinem Leben abgeschlossen hat, dessen zehnjährige Beziehung kurz zuvor in die Brüche gegangen war, der ein Jahr zuvor seinen Job verloren hatte, dessen Kontakt zu seinen Kindern und Geschwistern abgebrochen ist und in dessen Leben hohe Mietschulden und der Alkohol eine große Rolle spielten?
Zum Tatzeitpunkt habe er 2,5 bis 2,7 Promille Alkohol im Blut gehabt, rechnete ein Sachverständiger vor – und ließ Zweifel an der Schulfähigkeit offen. Auch wenn der Angeklagte sehr rational vorgegangen sei und alles so gemacht habe wie geplant, könne eine verminderte Schuldfähigkeit nicht vollständig ausgeschlossen werden.
Dass er wegen des Gestanks den Hahn wieder zugedreht, nach der Explosion die Wohnung verlassen habe, um wenig später an den Ort des Geschehens zurückzukehren, an dem nun Feuerwehrleute die gefährlichen Flaschen entfernten und Polizisten ermittelten, zeuge wiederum von einer „Umstellungsfähigkeit“, so der psychiatrische Gutachter.
Es sei nicht ungewöhnlich, dass sich Menschen mit Suizidabsichten wenig Gedanken darüber machen, welche Folgen ihre Tat für andere – etwa Lokführer oder Mitbewohner – haben könnten. Dennoch, so befand der Staatsanwalt, habe Josef G. eine „abstrakte Gefährlichkeit“ für andere Menschen verursacht, eine verringerte Schuldfähigkeit liege seiner Auffassung nicht vor.
Da Josef G. jedoch geständig und sein Vorstrafenregister leer sei, halte er eine Bewährungsstrafe von einem Jahr und neun Monaten für angebracht, so der Staatsanwalt. Auf sechs Monate weniger plädierte Verteidiger Stumm.
Gedanken darüber, dass er andere Menschen gefährden könnte, habe sich G. in seinem damaligen Zustand nicht gemacht, sagte Stumm: „Er hatte im Kopf, nur sich selbst zu schädigen.“
Richter: „Sie hatten großes Glück“
Es waren schließlich die Zweifel, die der Sachverständige an der Schuldfähigkeit im Fazit seines Gutachtens beschrieb, die das Schöffengericht dann doch von „erheblich verringerter Schuldfähigkeit“ (Schmitz-Jansen) ausgehen ließ. „Sie hatten großes Glück“, machte der Richter dem Angeklagten deutlich, „aber Ihre Mitbewohner hatten auch großes Glück.“
So durfte Josef G. das Gericht als freier Mann verlassen, um in die Obdachlosenunterkunft zurückzukehren, in der er zurzeit lebt. Es sei schwierig, eine Wohnung für ihn zu finden, hatte sein Betreuer zuvor dem Gericht erklärt.