AusstellungRebellin mit Familiensinn

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Schleiden – In den kommenden Wochen wird die Galerie „Kulturschock“ in Schleiden zu einem Ort, an dem Familiengeschichte und Kunstgeschichte eine sehr seltene und kostbare Vereinigung erleben. Es ist mehr als 50 Jahre her, dass das junge Mädchen Martha im Atelier seiner Großmutter Marta saß und von ihr die ersten Einblicke in die Malerei erhielt. Der Duft von Terpentin und Leinöl sollten fortan zum „Parfum ihres Lebens“ werden, erzählt Martha Angelika Felicitas Räderscheidt, genannt Maf.

Geboren im Jahre 1894, war ihre Großmutter Marta Hegemann als avantgardistische Malerin der Neuen Sachlichkeit eine der prägenden Gestalten der Kölner Kunstszene nach dem Ersten Weltkrieg. Mit Ehemann Anton Räderscheidt nahm sie eine wichtige Position in der sich entwickelnden Dada-Szene ein. Das Dritte Reich setzte der Karriere der aufstrebenden Künstlerin ein jähes Ende, sie erhielt faktisch Malverbot. Nach dem Zweiten Weltkrieg konnte sie nicht mehr an die einstigen Erfolge anknüpfen. Sie starb 1970.

Kindheitserinnerungen

Fast vier Jahrzehnte lang waren die Werke anschließend in Bilderlagern gehütet worden. Nach dem Tod des Vaters war die Sichtung des Nachlasses und damit die Wiederbegegnung mit den Bildern ihrer Großmutter für Maf ein überwältigender Moment. Erinnerungen an die Kindheit wurden wach, in denen Hegemanns Werke – in Folie eingepackt, damit „nichts dran kam“ – im elterlichen Wohnzimmer hingen. Und noch mehr: Maf entdeckte, dass in ihrer eigenen und der großmütterlichen Kunstauffassung zwei völlig verschiedene Sichtweisen der Malerei aufeinandertreffen und sich doch immer wieder in ähnlichen Themen begegnen.

Während für Maf „die Botschaft der Liebe“ in der Kunst entscheidend ist, sah ihre Großmutter in der Malerei die ständige „Balance zwischen Himmel und Hölle“. Einander gegenüber gestellt, scheinen die Bilder Hegemanns im spannenden Dialog mit den Werken ihrer Enkelin ihre ganze Stärke, ihre Brisanz, ihre Wut und zum Teil auch ihre Boshaftigkeit noch einmal intensiver zu entfalten.

Tanz als Thema

Eindrucksvolles Beispiel ist das Thema Tanz: In Mafs Bild „Der letzte Vorhang“ wird eine Ballerina mit blutenden Füßen zum Symbol für das leidenschaftlichen Aufbegehren gegen die Endlichkeit. Ihre Großmutter, der als Frau das Studium der Aktmalerei verwehrt war, fängt die verborgene Kritik in der Anmut einer Marionette ein, die ohne jede Kulisse im luftleeren Raum schwebt. Noch eindrucksvoller das alte Ölbild, für das Maf eine komplette Wand in dunkelroter Farbe gestrichen hat: Entgegen aller Frauenideale des Dritten Reiches zeigt Hegemann ein junges Mädchen im empörenden Mieder, das sich die blonden Zöpfe kurzerhand abgeschnitten hat.

Ihre Großmutter war eine „Femme fatale“ ihrer Zeit. Das illustriert eine Fotografie von 1919, auf der Hegemann ihr Gesicht mit wilden „Ausgeh-Tatoos“ schmückt. Eine Rebellin, die in den Kriegsjahren gleichzeitig um die Existenz ihrer Familie kämpfte, indem sie alle nur erdenklichen kunsthandwerklichen Objekte fertigte, um das Insulin für ihren diabeteskranken Sohn kaufen zu können. Wie die detailreich verzierte Streichholzschachteln, die als Pillendosen dienten. Ihnen hat Maf Räderscheidt im Kulturschock einen eigenen „Überlebensraum“ gewidmet.

Zahlreiche Arbeiten Marta Hegemanns sind in Schleiden jetzt zum ersten Mal öffentlich zu sehen.

Die Ausstellung kann nach Terminabsprache unter ☎ 02445/852285 besucht werden. Für Schulklassen bietet Maf Räderscheidt kostenlose Führungen an.

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