Zeichen der Hoffnung„Wir bleiben hier“ – Gemünder veranstalten Mahnwachen für die Ukraine

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Eine Gruppe von Menschen steht auf dem Nepomuk-Platz in Gemünd.

Schon 107 Mahnwachen für die Opfer des Ukraine-Kriegs haben in Gemünd stattgefunden.

Seit 109 Wochen herrscht Krieg in der Ukraine. Seit 107 Wochen trifft sich deshalb in Gemünd eine Gruppe und gedenkt der Opfer.

Es ist kühl an diesem Mittwochabend, sechs Grad. Die Sonne ist hinter den Hügeln verschwunden und die Dämmerung taucht den Platz am Nepomuk in Gemünd in grau-blaues Licht. Allein der Gesang der Vögel kündigt den Frühling an und macht Hoffnung auf laue Sommernächte. 

Die kleine Gruppe von Menschen, die sich auf dem Platz versammelt hat, stört das kühle Wetter nicht. „Wir haben auch schon bei Regen und Sturm hier gestanden“, sagt Rita Noé. Wettertechnisch sei das Schlimmste ja erst einmal wieder geschafft. 

Seit dem Überfall auf die Ukraine wird in Gemünd Mahnwache abgehalten

Wenn sie es irgendwie einrichten kann, steht sie jeden Mittwochabend hier. Genauso wie die dreizehn anderen Männer und Frauen. 109 Wochen ist der Überfall der russischen Armee auf die ganze Ukraine her. Und das hier ist die 107. Mahnwache in Gemünd für die Opfer dieses Krieges und die aller anderen aktuellen Kriege auf der Welt.

Seit dem 9. März 2022 organisiert Karl-Heinz Lorbach die Mahnwachen. Solidaritätsbekundungen und Friedensdemonstrationen hat es in diesen ersten Wochen nach dem Beginn der Invasion im Februar 2022 in ganz Deutschland viele gegeben. Doch nach und nach wurden es weniger. Andere Themen rückten in den Vordergrund. Der Krieg in Europa verlor an Aufmerksamkeit. Nicht aber in Gemünd.

Der Krieg hat ja noch nichts von seinem Schrecken verloren.
Karl-Heinz Lorbach

Das darf nicht in Vergessenheit geraten“, sagt Lorbach bestimmt. In den Medien komme der Ukraine-Krieg inzwischen seltener vor, weil andere Ereignisse einen höheren Aktualitätswert hätten. „Wir bleiben hier. Wir wollen weiter unterstützen, wollen das Thema weiter aufrechterhalten“, betont er. „Der Krieg hat ja noch nichts von seinem Schrecken verloren.“

Die Mahnwachen laufen seit Beginn immer nach dem gleichen Schema ab. Zuerst nennt Lorbach die Tage und Wochen, die seit dem Beginn des Ukraine-Krieges vergangen sind. Dann folgen die Zahlen der Todesopfer und Verwundeten.  Seit Oktober 2023 erwähnt er danach immer den Krieg in Gaza. Auch hier nennt er die Opferzahlen. Seine Quellen dazu führt er jedes Mal an.

Karl-Heinz Lorbach steht auf dem Nepomuk-Platz vor einem Mikrofon.

Karl-Heinz Lorbach will die Mahnwachen bis zum Ende des Ukraine-Krieges anbieten.

Wenn er etwas vorbereiten konnte, stellt er anschließend ein Thema rund um die Kriege in der Ukraine und in Gaza vor. Falls er selbst nicht kommen kann oder keine Zeit hatte, etwas vorzubereiten, gibt es Raum für Gespräche. Am Ende steht dann jedes Mal eine Schweigeminute für alle Opfer der aktuellen Kriege auf dieser Welt.

Verschiedene Themen rund um den Krieg werden besprochen

Bisher hat Lorbach in seinen Kurz-Vorträgen bei den Mahnwachen schon 71 unterschiedliche Aspekte beleuchtet. So hat er unter anderem über die Arbeit von ukrainischen Hilfsorganisationen, den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, die Geschichte der Ukraine und das Leben unter russischer Besatzung gesprochen. Aber auch TikTok, Pazifismus und Dating-Apps waren schon Themen. Seine Berichte recherchiere er bei den gängigen seriösen Medien, sagt er.

An diesem Abend stellt er das Schicksal eines verschleppten ukrainischen Kindes und das eines ukrainischen Teenagers vor und bezieht sich dabei auf Berichte von „Spiegel“ und Deutscher Welle. Das Thema hat Rita Noé ausgesucht. Sie ist die Ehefrau von Lorbach. Mit den anderen lauscht sie mit ernster Miene den Worten ihres Mannes. 

Gemünder wollen bis zum Kriegsende durchhalten

Lorbach gebe sich immer viel Mühe mit den Mahnwachen, betont Klaus Stüber: „Es ist eine Bewusstseinserweiterung.“ Er lerne viel und werde sensibler für bestimmte Themen. Stüber wohnt auch in Gemünd. Seitdem er von der Mahnwache wisse, versuche er dabeizusein.  Es sind größtenteils immer dieselben Menschen, die sich hier versammeln. „Wir sind schon bald ein Familienunternehmen“, sagt Stüber und lacht.

Die Gemeinschaft schätzt auch Noé. Es gebe so viel Gegeneinander in der Gesellschaft, da tue es gut, hier miteinander zu stehen. Das können Dorothea Gehlen und Michael Rick nur unterschreiben. Es gehe darum, Haltung zeigen. „Erreichen tun wir ja hiermit gar nichts“, stellt Rick nüchtern fest. Aber es sei ihm einfach für sich selbst wichtig zu zeigen, dass er die Tatsache von Krieg nicht akzeptiere.

„Wir haben auch alle nicht gedacht, dass wir uns so lange mittwochs hier treffen“, sagt Gehlen. Doch jetzt wollen sie dabei bleiben. Lorbach will die Mahnwachen fortsetzen, bis der Krieg in der Ukraine zu Ende ist. Schon jetzt freut er sich auf den ersten Mittwoch nach Kriegsende. Dann will Lorbach auf dem Platz am Nepomuk ein Fest veranstalten. Mit Musik statt Schweigeminute.

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