AboAbonnieren

ReichspogromnachtSchleidener Bürgermeister will Text auf Gedenktafel ändern

Lesezeit 4 Minuten
Die Teilnehmer der Gedenkfeier bilden einen Halbkreis um die Redner.

Rund 150 Teilnehmer waren zu dem Weg der Erinnerung gekommen, mit dem der Reichsprogromnacht vor 85 Jahren gedacht wurde.

150 Menschen gedachten der jüdischen Opfer, die in Schleiden gelebt haben. Bürgermeister Ingo Pfennings nahm Stellung zum Terrorangriff der Hamas.

Es war ein steiniger Weg, den die Teilnehmer des Weges der Erinnerung am Abend des 85. Jahrestages der Pogromnacht gingen. Oder besser: ein stolpersteiniger. Vom Gemünder Marienplatz bis zum Standort der in der Nacht des 9. November zerstörten Synagoge führte die Route durch die Dreiborner Straße, in der viele Stolpersteine liegen.

An jedem einzelnen wurde Station gemacht. Denn Gemünd, das verdeutlichte Norbert Stoffers in seiner Ansprache an der Gedenktafel für die Synagoge, war ein Zentrum jüdischen Lebens in der Eifel. Mindestens 75 Jüdinnen und Juden hätten hier im 19. Jahrhundert über längere Zeit gelebt.

Angesichts der Ereignisse der vergangenen Wochen hatten sich viele Menschen, etwa 150, zur Teilnahme entschlossen. Sie begaben sich auf den Weg der Erinnerung, um ein Zeichen gegen Judenhass zu setzen. Mehrere Gruppen hatten die Veranstaltung vorbereitet, wie die evangelische Trinitatis-Kirchengemeinde Schleidener Tal, die GdG Hellenthal-Schleiden, die Nationalpark-Seelsorge, JudiT.H aus Hellenthal, der Projektkurs „Stolpersteine“ des Johannes-Sturmius-Gymnasiums Schleiden, die GfW Schleiden und die Stadt.

Dieser Angriff am 7. Oktober 2023 war ein menschenverachtender Akt der Barbarei.
Ingo Pfennings, Bürgermeister von Schleiden

Noch am Montagabend hatten rund 15 Freiwillige, darunter Bürgermeister Ingo Pfennings und Mitglieder der Gruppe „Omas gegen rechts“, die Stolpersteine mit Spezialpaste und Zahnbürste auf Hochglanz gebracht. Bei einigen war das nicht möglich, da sie durch die Flut und die Aufräumarbeiten beschädigt worden waren. „Ersatz ist bestellt, allerdings nicht mehr rechtzeitig angekommen“, erklärte Pfennings.

Ursprünglich anlässlich des 85. Jahrestages der Reichspogromnacht geplant, sei der Weg der Erinnerung wegen des Angriffs der Terrororganisation Hamas auf Israel und der unverzeihlichen antisemitischen Kundgebungen in Deutschland aktueller denn je, sagte Pfennings. „Dieser Angriff am 7. Oktober 2023 war ein menschenverachtender Akt der Barbarei.“

Die Inschrift ist den Opfern gewidmet, die - so die Formulierung wörtlich „in den Jahren der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft ihr Leben verloren haben“. Das will Bürgermeister Pfennings ändern.

Eine Änderung der Inschrift zum Gedenken der Zerstörung der Gemünder Synagoge und die jüdischen Opfer nationalsozialistischer Verfolgung regte Schleidens Bürgermeister Ingo Pfennings an.

Es sei eine lang geplante Gräueltat unvorstellbaren Ausmaßes und der größte Pogrom für das jüdische Volk seit dem Zweiten Weltkrieg. „Und für uns Deutsche ist es leider ein Fenster in die Historie unseres Landes“, so der Bürgermeister. Antisemitische Taten hätten in den letzten Tagen auch im Kreis Euskirchen zugenommen. Deshalb heiße es, die Stimme zu erheben: „Nie wieder!“

An den Stolpersteinen in der Dreiborner Straße gab Petra Freche einen kurzen biografischen Abriss über die Menschen, die an den jeweiligen Stellen gelebt hatten.

Norbert Toporowski berichtete vor dem Elternhaus von Hannah Zack, die mit einem der letzten Kindertransporte 1939 Deutschland verließ, von der Rede, die sie im Frühjahr dieses Jahres vor dem US-Repräsentantenhaus gehalten habe. Sie habe von ihrer Kindheit, ihrer Flucht, der Ermordung der Eltern, aber auch ihrem Weg der Versöhnung erzählt.

Formulierung auf Gedenktafel stößt Bürgermeister Pfennings bitter auf

Unter das Motto „Stolpern – Erinnern – nach vorne schauen“ hatte der JSG-Projektkurs den Weg der Erinnerung gestellt. Die Schüler legten an jeder Station Blumen auf die Stolpersteine und zündeten eine Kerze an.

Eine überraschende Ankündigung machte Pfennings, als die Gruppe am ehemaligen Standort der Synagoge in der Straße Am Kreuzberg angekommen war. Er thematisierte die Inschrift der Gedenktafel, auf der zu lesen ist, sie sei den jüdischen Mitbürgern gewidmet, die „in den Jahren der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft ihr Leben verloren haben“.

Der Text sei von 1979, er selber sei erst 1987 geboren worden, so Pfennings. Und doch müsse er sagen, dass diese Menschen ihr Leben nicht „verloren“ hätten, sondern dass sie ermordet worden seien. Ihm sei nicht klar, warum 1979 diese Formulierung gewählt worden sei, doch nun solle es möglich sein, den Text zu ändern. Er wolle dies mit verschiedenen Gruppen besprechen und einen dahingehenden Vorschlag machen, sagte er.

Schüler legten an Stolpersteinen Blumen nieder und zünden Kerzen an

Den Abschluss bildete eine ökumenische Andacht in der katholischen Pfarrkirche St. Nikolaus, die von Diakon Klaus Hövel und Pfarrer Erik Schumacher gestaltet wurde. Schumacher verwies auf die aktuelle Bedrohung der Juden in Deutschland, die wieder einmal Angst hätten, auf die Straße zu gehen. Der Tag sei eine Verpflichtung für die Kirchen. Es sei wieder Zeit für das Wort des Theologen Dietrich Bonhoeffers: Nur wer für die Juden schreit, darf gregorianisch singen.

Hövel las einen Text, den der einstige Aachener Bischof Klaus Hemmerle zum 50. Jahrestag der Pogromnacht verfasst hatte. „Man hat meinem Gott das Haus angezündet, und die Meinen haben es getan“, heißt es da. Lieder der österreichischen Komponistin Josefine Winter, die von den Nazis ermordet worden war, sang die Sopranistin Sieglinde Schneider, begleitet von Organist Andreas Warler.