Kommunale NeugliederungGemünd und Schleiden sind ein bisschen wie Köln und Düsseldorf

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Seit den 1970ern prüfen die Gemünder genau, ob das Geld zwischen den Orten fair verteilt wird.

Schleiden-Gemünd – Den eigenen Namen aufgeben – das war für die Gemünder vor der Kommunalen Neugliederung undenkbar. Schließlich waren sie die größte Stadt im Schleidener Tal. Dann kam die Nachricht vom Land, dass zukünftig nur noch eine Stadt mit Namen Schleiden im Tal existieren sollte. Das war der Tropfen, der das Fass fast zum Überlaufen gebracht hätte. Denn Gemünder und Schleidener waren seit Ewigkeiten erbitterte Rivalen. Noch heute tragen sie ihre Streitigkeiten aus – allerdings nur noch mit Humor.

Zunächst hätten viele an einen verfehlten Karnevalsulk geglaubt, schrieb ein Leser nur wenige Wochen vor der Neugliederung in einem Brief an diese Zeitung. Und bis zuletzt hatten viele die Hoffnung nicht aufgegeben, doch noch Gemünder zu bleiben.

Schleiden VS Gemünd?

Die Serie zur Kommunalen Neugliederung

Mit dem Aachen-Gesetz, das am 1. Januar 1972 in Kraft trat, wurde das Gebiet des Regierungsbezirks Aachen und des Kreises Euskirchen neu gegliedert. Für die Menschen in den Altkreisen Euskirchen und Schleiden war die Zusammenlegung ein einschneidendes Erlebnis.

Wirtschaft, Natur, Entwicklungsstand – in fast jeder Hinsicht unterschieden sich Nord- und Südkreis damals. Im neuen Kreis trafen zwei Mentalitäten aufeinander, die kaum verschiedener sein könnten. Konflikte zwischen Nordeifelern und Flachlandbewohnern waren programmiert.

Mittlerweile sind 50 Jahre vergangen. Viele Hoffnungen der damaligen Politik haben sich erfüllt, aber auch die Kritiker sollten Recht behalten. In dieser Serie beleuchtet die Redaktion die Neugliederung – immer mit der Zukunft im Blick. Wir haben mit Zeitzeugen und Entscheidern von heute gesprochen, in Archiven und historischen Sammlungen recherchiert.

Im Mittelpunkt der Serie stehen Fragen wie: Sind alte Rivalitäten noch immer ein Thema? Welche unsichtbaren Grenzen gibt es zwischen den Altkreisen? Wie stünde ein theoretischer Eifelkreis Schleiden-Monschau heute da? (maf)

Artur Carell etwa, der ehemalige Chef des Eisenwerks Mauel, wandte sich sogar persönlich an NRW-Ministerpräsident Heinz Kühn und Innenminister Willi Weyer. Carell erklärte sich zum Sprecher der Gemünder Bürger – und kritisierte in deren Namen das Neugliederungsgesetz für den Raum Gemünd-Schleiden-Dreiborn-Harperscheid heftig. „Der Name Gemünd muss unter allen Umständen erhalten bleiben“, forderte Carell damals. Eines seiner Hauptargumente: Gemünd sei kurz davor, als Kneippkurort anerkannt zu werden und der Name sei deshalb für die Bürger von „höchster wirtschaftlicher Bedeutung“. 1744 Gemünder stellten sich mit ihren Unterschriften hinter Carell. Vergeblich.

Im Karneval schlagen die Gemünder zurück

Seit Carells gescheitertem Einspruch sind 50 Jahre vergangen. Die Wunden sind mittlerweile bei den meisten verheilt. Im Karneval aber rebelliert das unterlegene Gemünd noch immer: „Das geht doch gar nicht anders. Wir sind die größere und schönere Stadt. Wir haben die besser aussehenden, schlaueren, tolleren Leute“, sagt Frank Michalski, Ehrenpräsident der KG Rot-Weiß Gemünd: „Spaß beiseite. Wir haben die Rivalität nicht in die Welt gebracht, nehmen sie aber gerne mit Humor.“

Zumindest während des Karnevals steht für Michalski fest: Gemünd gegen Schleiden ist wie Gut gegen Böse, Norden gegen Süden, Asterix und Obelix gegen das römische Imperium. „Schleiden ist die dunkle Seite der Macht. Sie müssen nur den Hauch eines Fehlers machen – und wir haben sie da, wo wir sie wollen“, erläutert der Karnevalist. Seitenhiebe und Lieder über die Fehler der Schleidener Verwaltung würden einfach zum Lokalkolorit der Karnevalssitzungen in Gemünd gehören.

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Am traditionellen Erntedankfest beteiligten sich in den 1960ern viele Gemünder.

So ernst sich das anhört, für Michalski ist alles nur Schauspiel. „Die Rivalität gehört auf die Bühne. In Wirklichkeit vertragen wir Gemünder und Schleidener uns ziemlich gut“, sagt er. „Nach den Sitzungen stehen wir immer gemeinsam an der Theke und trinken ein Bier.“ Dann wird selbst der erklärte Feind Norbert Niebes, Präsident der KG blau-weiß Schleiden, für kurze Zeit zum Freund.

Schleiden und Gemünd waren früher gleichberechtigt

Wann genau die Rivalität zwischen beiden Orten begonnen hat, weiß heute niemand mehr. Fest steht jedenfalls, dass Gemünd sogar ursprünglich die Oberhand hatte. Unter französischer Herrschaft – Schleiden fiel 1795 an die Franzosen unter Napoleon, Gemünd 1798 – existierten beide Orte zunächst als Kantone gleichberechtigt nebeneinander. Schon wenige Jahre später war Gemünd die größere Stadt. Schleiden zählte 500, Gemünd 680 Einwohner. Der neue Kreis, den die Preußen im 19. Jahrhundert formten, hieß Gemünd. 1829 wurde das Landratsamt dann von Gemünd nach Schleiden verlegt. Jetzt hieß er Kreis Schleiden. Das war die erste große Niederlage für die Stadt im Norden des Schleidener Tals. Die zweite war der Verlust der Stadtrechte während der Kommunalen Neugliederung.

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Von Hochwassern wurden die Flüsse Urft und Olef auch 1969 heimgesucht.

In Bürgergesprächen erlebt Bürgermeister Ingo Pfennings noch heute, dass der jeweils andere Ort kritisiert wird. „In der älteren Generation gibt es die Rivalität noch. Vergleichbar ist das mit dem Streit zwischen Düsseldorf und Köln“, erläutert er. „Da ist dann oft das Motto: Schleiden gegen Gemünd, Gemünd gegen Schleiden – und alle gegen Dreiborn.“ Viele Bürger würden auch penibel darauf achten, wie Geld und Investitionen zwischen beiden Orten verteilt würden, sagt Pfennings. „Allerdings immer mit einem Augenzwinkern.“ Einem Masterplan für Schleiden folge jetzt zum Beispiel ein Innenstadtkonzept für Gemünd. „Alles soll bei uns möglichst fair verteilt werden“, erläutert der Bürgermeister.

Flutkatastrophe und Corona schweißen die Rivalen zusammen

Doch Pfennings beobachtete auch, dass die Rivalität in seiner Amtszeit abgenommen hat. Verantwortlich dafür sind ausgerechnet die Krisen, die Schleiden in den vergangenen drei Jahren zu bewältigen hatte. Mit einer Brandserie vor seiner Wahl zum Bürgermeister habe alles angefangen, sagt Pfennings. „Damals hatten die Leute alle Angst und rutschten zusammen.“ In der Corona-Pandemie folgte eine Zusammenhalt-Kampagne, die ursprünglich nur für die Schleidener Unternehmen gedacht war. „Aber die Bürger haben das auf sich bezogen und sind nochmal näher zusammengerutscht“, sagt Pfennings. Die Flut habe das verstärkt. Ob der Zusammenhalt überdauert, das weiß Pfennings nicht. Doch für aus seiner Sicht spricht vieles dafür.

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Die größere von beiden Städten war Gemünd. Dennoch erhielt die zusammengelegte Kommune den Namen Schleiden.

Er selbst sehe sich ohnehin als Bürgermeister aller 18 Orte, sagt Pfennings. „Gemünd liegt am Nationalpark, Schleiden ist unser Schulstandort und auch die anderen 16 Orte haben ihre eigene Charakteristik. Aber die Eigenheiten einzelner Ortsteile ändern nichts daran, dass wir zusammenstehen müssen.“ Im Stadtrat zumindest nehme das Leuchtturmdenken ab. Projekte würden so geplant, dass alle Orte von ihnen profitieren. „Manchmal bin ich froh, dass ich nicht im Stadtgebiet aufgewachsen bin“, sagt der Bürgermeister, der ursprünglich aus Bad Münstereifel kommt. So könne er häufig bei Konflikten vermitteln.

Heute lässt sich oft nicht mehr richtig trennen, wer Gemünder und wer Schleidener ist. Zu stark sind viele Bürger in beiden Orten verwurzelt. KG-Ehrenpräsident Frank Michalski gehört selbst auch dazu. Seine Schulzeit, immerhin neun Jahre seines Lebens, habe er in Schleiden verbracht, sagt Michalski. Und eine gewisse Liebeserklärung an Schleiden ist auch ein anderes wichtiges Ereignis in seinem Leben: Seine Frau hat er in der Schleidener Schlosskirche geheiratet.

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