Fan der Bläck FöössBekannter Politikwissenschaftler fühlt sich in Euskirchen wohl

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Der Autor Günther Rüther sitzt auf einer Bank im Grünen und liest.

Der Euskirchener Günther Rüther liest meterweise Literatur als Grundlage für seine eigenen Bücher.

Der Euskirchener Schriftsteller Günther Rüther wird 75 Jahre alt und arbeitet am nächsten Buch. Darin beschäftigt er sich mit den Nachkriegsjahren 1945/46.

Vielleicht kann mancher sich nichts Langweiligeres vorstellen als politische Bildung. Aber Günther Rüther versteht seine berufliche und schriftstellerische Arbeit genau darin: Er möchte Interesse für andere Menschen und andere Zeiten wecken, um die Gegenwart besser zu verstehen.

Spricht man mit dem fröhlichen, zugewandten und neugierigen Autor, wird sehr schnell klar, wie lebensnah und vielschichtig der Blick in die Politik ist. Am 16. Oktober wird Günther Rüther 75 Jahre alt.

Als ich so 67, 68 war, habe ich gemerkt, dass ich zunehmend aus der Zeit falle. Die Studenten blickten anders auf die Welt als ich. Da habe ich mit der Lehre aufgehört.
Günther Rüther, Politikwissenschaftler aus Euskirchen

Auch wenn er seine Lehrtätigkeit und sein Schreiben zunächst durchaus trocken als „Transformation der Komplexität ins Alltägliche“ beschreibt, ist ihm genau dieses Anliegen im Leben wichtig: Politik für jeden verständlich zu machen. Er wollte die für viele fremde Welt der Politik so beschreiben, dass Menschen sie trotz aller sozialen und bildungsbedingten Unterschiede verstehen. Die Auseinandersetzung mit Schriftstellern hilft ihm dabei.

Dazu hatte er auch von 1993 bis 2016 als Honorarprofessor am Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie der Universität Bonn Gelegenheit. „Die Lehre hat mir stets Freude gemacht“, schildert er: „Teilweise hatte ich solchen Zulauf, dass ich nicht alle Studenten annehmen konnte. Meine Frau hat dann zeitweise die Seminarorganisation übernommen.“

Das Bild zeigt Rüthers Bücher über Kurt Tucholsky, Heinrich Mann und Günter Grass.

Die jüngsten drei Bücher des Euskirchener Schriftstellers Günther Rüther waren Biografien über Kurt Tucholsky, Heinrich Mann und Günter Grass.

Seine Fächer waren „Geist und Macht im 20. Jahrhundert“ und „Eliten in der Demokratie“. „Als ich so 67, 68 war, habe ich gemerkt, dass ich zunehmend aus der Zeit falle. Die Studenten blickten anders auf die Welt als ich. Da habe ich mit der Lehre aufgehört.“ Ehrlichkeit und Bescheidenheit spürt man in dieser Einsicht.

Ab 1974 arbeitete Rüther als Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Konrad-Adenauer-Stiftung. Dort koordinierte er die politische Bildungsarbeit und später die Stiftungsarbeit in der DDR. Zuletzt war er Leiter der Begabtenförderung und Kultur.

„Ich habe ein neues Bewertungs- und Prüfungsverfahren für die Vergabe von Stipendien in Auftrag gegeben. Als man erkannte, dass ein guter Numerus clausus keine Garantie für beruflichen Erfolg darstellt, habe ich nach wissenschaftlichen Studien aus den USA anhand von zehn Kriterien ein neues Auswahlverfahren entwickeln lassen“, so Rüther.

Günther Rüther schrieb Bücher über Theodor Fontane, Kurt Tucholsky, Heinrich Mann und Günter Grass

Darin werden laut Rüther zum Beispiel die musische und soziale Veranlagung und die Motorik mitberücksichtigt. Nach diesem Verfahren vergibt die Stiftung bis heute ihre Stipendien. 2013 ging Rüther in Rente.

„Das großartigste Erlebnis, das ich in Zusammenhang mit meiner Arbeit erlebt habe, war vor 40 Jahren eine Rundreise durch China, zu der ich mit anderen von der chinesischen Regierung eingeladen wurde.“ Die Frage, ob Kommunismus und Kapitalismus in einem Staat zusammen bestehen können, habe ihn bewegt: „Unsere Antwort damals war: Nein! Heute sind wir eines Besseren belehrt.“

Rüther ist Wahl-Euskirchener. Geboren in Cuxhaven, suchte er mit seiner Frau, die vom Bodensee stammt, und den drei Kindern ein Haus im Rheinland. 1978 entschieden sie sich für Euskirchen: „Euskirchen ist eine wunderbare Stadt im Grünen mit bestem Anschluss an zwei große Städte, Köln und Bonn. Außerdem wird Euskirchen vom Bürgermeister und Landrat professionell und bürgernah geführt“, lobt Rüther.

Er findet Euskirchen schön und lobt Bürgermeister Sacha Reichelt sowie Landrat Markus Ramers

Und: „Die rheinische Mentalität war mir und meiner Frau von Anfang an äußerst angenehm.“ Ein Konzert der Bläck Fööss 1977 im Gürzenich begeisterte sie – auch wenn sie manche kölschen Ausdrücke nicht verstanden.

Seit dem Ende seiner Lehrtätigkeit hat Rüther sich ganz aufs Schreiben konzentriert. „Der Grund, warum ich Bücher schreibe, liegt im Interesse am geistigen Leben, dem Spannungsfeld von Politik und Literatur“, sagt er. Zuletzt erschienen Bücher über Theodor Fontane, Kurt Tucholsky, Heinrich Mann und Günter Grass.

Das nächste ist in Arbeit und wird im Frühjahr 2024 zum Gedenken an das Kriegsende 1945 erscheinen. Der Titel wird lauten: „Lasst uns das Leben leise wieder lernen.“ Es ist ein Zitat von Nelly Sachs. Aus Briefen, Tagebüchern und Autobiografien stellt Rüther Gedanken, Hoffnungen, Sorgen und Träume von berühmten und weniger berühmten Persönlichkeiten der Nachkriegsjahre 1945/46 zusammen: „Ich habe dafür meterweise Literatur ausgewertet.“ Seine Frau habe ihn dabei unterstützt, manchmal auch beim Korrekturlesen.

Eine Feststellung ist ihm mit Blick auf das fortschreitende Alter wichtig: „Ich habe allen Grund, dankbar auf mein Leben zurückzublicken. Ich bin zwar dem Kalender nach kein Sonntagskind, aber dem Leben nach.“ Und wenn er an die nächste Generation denkt?

„Ich schaue mit Zuversicht auf das, was die junge Generation tut, beneide sie aber nicht um ihre Aufgaben.“ Drei große Themen stehen aus seiner Sicht an: „Erstens: Sie muss damit fertig werden, dass das Wachstum des Wohlstandes endlich ist. Zweitens: Klima und Umwelt. Drittens: Migration.“ Und dann seien da die Alten, die immer älter werden – was nicht zur Balance der sozialen Frage beitrage.

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