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„Hier wohnte...“In Euskirchen werden am Mittwoch 40 Stolpersteine verlegt

Lesezeit 6 Minuten
Künstler Gunter Demnig, ein älterer Herr mit Hut, hat einen Stolperstein gegriffen. Er trägt Handschuhe und kniet auf Pflastersteinen.

Künstler Gunter Demnig verlegt am Mittwoch in Euskirchen 40 weitere Stolpersteine.

Für die Verlegung der Gedenksteine am 11. Juni reisen Nachfahren aus den USA an. Das Stadtarchiv koordiniert das Einsetzen in Euskirchen.

So viele Stolpersteine sind in Euskirchen noch nie an einem Tag verlegt worden. Am kommenden Mittwoch, 11. Juni, werden in der Euskirchener Innenstadt insgesamt 40 von Künstler Gunter Demnig an Ort und Stelle gebracht. Stolpersteine sind Gedenksteine für Menschen, die während der Zeit des Nationalsozialismus verfolgt wurden.

Sie werden in den Gehweg vor den Häusern verlegt, in denen diese Menschen einst wohnten, bevor sie flohen oder verhaftet wurden. Jeder Stein enthält eine Inschrift, die an das Schicksal der Person erinnert und sie so aus der Anonymität holt.

Im Euskirchener Stadtgebiet sind bereits mehr als 250 Stolpersteine verlegt

Dank dem Engagement vieler Bürgerinnen und Bürger wurden seit 2002 im Euskirchener Stadtgebiet bereits mehr als 250 Steine verlegt. Die erste Verlegung fand am 12. Juni 2002 statt. Die Lehrerin Dorothee Kroll organisierte damals mit ihrer Klasse, dass die Namen von Dr. Hugo Oster, Sophia Oster und Irene Oster an der Wilhelmstraße 36 (Praxis) und an der Baumstraße 8 (Wohnhaus) nicht vergessen werden.

„Ein Mensch ist nämlich erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist“, sagt Gunter Demnig. Mit den Steinen vor den Häusern werde die Erinnerung an die Menschen lebendig, die einst dort wohnten. Auf den Steinen steht geschrieben: „HIER WOHNTE... Ein Stein. Ein Name. Ein Mensch“.

Samuel und Sara Klinger wurden Opfer des Holocaust.
Sabine Dünnwald, Leiterin des Euskirchener Stadtarchivs

Seit 2006 hat die Euskirchener Politik mit einem Beschluss dafür gesorgt, dass das Stadtarchiv die Koordination rund um die Verlegung der Stolpersteine übernimmt. „Das Einzige, was wir nicht machen, ist, einen Termin für die Verlegung suchen. Den bekommen wir nämlich vorgegeben“, sagt Sabine Dünnwald, Leiterin des Euskirchener Stadtarchivs.

In den vergangenen Wochen und Monaten hat Dünnwald wieder umfangreiches Archivmaterial durchforstet, um den Menschen nicht nur einen Namen zu geben, sondern ihren Namen auch mit einem Schicksal zu verbinden. „Wenn wir trotz aller Bemühungen nichts finden, dann ist das schon frustrierend“, berichtet Dünnwald.

Nur ganz selten ist nichts zu den Schicksalen zu finden

Glücklicherweise passiere das nur in den seltensten Fällen, aber es komme vor. Aber auch bei dieser Verlegung habe ihr Team in einem Fall nicht wirklich etwas herausgefunden. Lediglich, dass Samuel Klinger an der Ursulinenstraße 1914 ein Bekleidungsgeschäft eröffnete, wo er auch mit seiner Frau Sara und den Töchtern Alice, Hanna und Paula sowie Sohn Artur wohnte.

„Samuel und Sara Klinger wurden Opfer des Holocaust. Wann und wo sie ermordet wurden, konnte nach heutigem Stand der Forschung nicht ermittelt werden“, so Dünnwald. Dank einer jüdischen Hilfsorganisation habe Sohn Artur Klinger durch einen Kindertransport nach England gerettet werden können. Auch seiner Schwester Paula gelang es Dünnwald zufolge, nach einer langen Reise durch Sowjetrussland, Persien und Saudi-Arabien in Palästina einzureisen und so der weiteren Verfolgung durch das Nazi-Regime zu entgehen.

Die beiden ältesten Schwestern Alice und Hanna flohen Ende der 1930er-Jahre nach England. Dort starb Alice bei einem Bombenangriff im Jahr 1941. „Das Haus der Familie in Euskirchen wurde bei einem Bombenangriff vollständig zerstört“, berichtet die Stadtarchiv-Chefin.

Nachfahren der Familie Horn reisen zur Stolpersteinverlegung an

Vor etwa einem halben Jahr, unmittelbar nachdem das Verlegedatum für die Stolpersteine feststand, nahm Dünnwald Kontakt zur Familie Horn auf. Nachfahren der jüdischen Familien reisen nun für die Stolpersteinverlegung an der Kommerner Straße an. Dort führte Kurt Horn mit seinem Bruder ein Möbelhaus. Kurt Horn lernte Mitte der 1930er-Jahre Hilda Moses aus Weilerswist kennen und lieben. 1936 kam Sohn Berthold zur Welt.

„Am Tag nach der Pogromnacht, am 10. November 1938, wurden das Haus der Familie Horn und ihr Auto in Brand gesteckt. Hilda Horn floh mit ihrem Sohn nach Weilerswist zu ihren Eltern“, sagt Dünnwald: „Kurt Horn wurde vor dem Möbelhaus brutal zusammengeschlagen. Er versteckte sich einige Tage und flüchtete dann zu seiner Familie nach Weilerswist.“

Über viele Umwege und mit viel Mühe verließ die Familie nach Angaben von Dünnwald schließlich am 1. März 1940 Liverpool auf der S.S. Samaria in Richtung New York. In den USA bauten sie sich schließlich ein neues Leben auf.

Familie Schwarz floh aus Euskirchen nach Südafrika

„Die Schicksale sind irgendwie alle gleich und geprägt von unvorstellbarem Leid, aber doch immer so unterschiedlich“, sagt Dünnwald. Und die Schicksale gehen der Historikerin nach eigenem Bekunden immer nahe. So wie das der Familie Schwarz, die an der Wilhelmstraße 16 eine Pferdehandlung betrieb.

Dort wohnten Markus Schwarz, seine Frau Johanna und seine Tochter Erna Amalie. Im Oktober war das Familienoberhaupt gezwungen, den Betrieb einzustellen. „Im März 1939 floh das Ehepaar nach Südafrika, wo ihre Tochter bereits seit 1938 lebte“, so Dünnwald. Insgesamt seien 5500 jüdische Bürger des Deutschen Reichs nach Südafrika geflüchtet.

Dort, wo heute am Wochenende Menschen das Leben genießen und feiern, im Porto Bello, lebten bis 1937 Carl und Julie Kahn. Zuvor war Carl Kahn zwangsenteignet worden und musste seinen Viehhandel aufgeben. Von Köln aus wurde das Ehepaar laut Dünnwald am 20. Juli 1942 ins Ghetto Minsk deportiert. Bereits vier Tage später seien Carl und Julie Kahn im Vernichtungslager Maly Trostenec, das nur wenige Kilometer von Minsk entfernt lag, ermordet worden, so Dünnwald.

Bei ihrer Recherche habe sie unter anderem Unterlagen des Euskirchener Stadtarchivs genutzt. Aber auch die Arolsen Archives in Hessen würden immer wieder angefragt. In dem Archiv zu Opfern und Überlebenden des NS-Regimes werden nach eigenen Angaben Dokumente zu rund 17,5 Millionen Menschen aufbewahrt. Dünnwald: „Wie wir die Namen mit Geschichte füllen, ist egal. Wichtig ist, dass kein Name vergessen wird.“


Patenschaft kostet 120 Euro

Die nächste Verlegung von Stolpersteinen ist im Euskirchener Stadtgebiet für 2027 geplant. Wie Sabine Dünnwald, Leiterin des Stadtarchivs, berichtet, werden dafür noch Stolperstein-Paten gesucht.

Stolpersteine werden laut Dünnwald über Patenschaften finanziert. „Jede Privatperson kann Patin oder Pate werden, aber auch Parteien, Stiftungen, Vereine, Schulen, Verbände oder Firmen. Eine Patenschaft kostet 120 Euro“, erklärt die Leiterin des Stadtarchivs, das die Verlegung der Stolpersteine im Euskirchener Stadtgebiet koordiniert.

Mit dem Geld werden die Herstellung und die Verlegung eines Stolpersteins finanziert. Wer Pate werden möchte, meldet sich am besten per Mail im Stadtarchiv.


Zeitplan für Verlegung der Stolpersteine

Die 40 Stolpersteine werden am Mittwoch, 11. Juni, verlegt.

9 Uhr: Familie Schnog und Cleffmann, Bischofstraße 21. Dort wird Bürgermeister Sacha Reichelt Grußworte sprechen.

9.45 Uhr: Familie Horn, Kommerner Straße 6.

10.30 Uhr: Familie Carl, Münstereifeler Straße 119.

11.15 Uhr: Familie Schwarzbach, Breitestraße 33.

11.45 Uhr: Familie Hertz, Alter Markt 12.

12.15 Uhr: Familie Weinberg, Neustraße 8.

12.45 Uhr: Familie Meyer, Ursulinenstraße 37.

13.15 Uhr: Familie Klinger, Ursulinenstraße/Ecke Viktoriastraße.

13.45 Uhr: Familie Schwarz, Wilhelmstraße 16.

14.15 Uhr: Familie Kahn, Wilhelmstraße 49.