Holocaust-GedenktagEuskirchener Jude fordert mehr Unterstützung für jüdisches Leben

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Ein Luftbild zeigt den Gedenk-Platz für die ehemalige Synagoge in Euskirchen an der Annaturmstraße.

Eine Lücke ist da, wo einst die Synagoge von Euskirchen stand.

Die Erinnerungskultur in Deutschland sei relativ gut, sagt der Euskirchener. Doch oft fehle es an Platz für die Grautöne.

Mitten zwischen den dicht gedrängten Häusern an der Annaturmstraße in Euskirchen ist eine Lücke. Statt Hausmauern ist hier ein kleiner Platz, grün und gepflegt. Vor einem Gedenkstein in Form einer Menora stehen Grablichter. Es ist der Ort der ehemaligen Synagoge von Euskirchen. Wie ein Symbol wirkt dieser Platz: Da, wo einmal jüdisches Leben im Kreis Euskirchen war, ist nun nichts mehr. An manchen Orten nicht einmal mehr eine Lücke.

„Selbst mir ist das unvorstellbar.“ Levin Köster (Name geändert) schaut auf den Platz. „Es gab hier so viel jüdisches Leben – das ist alles nicht mehr da!“ Levin Köster ist 33 Jahre alt, Musikwissenschaftler, in Euskirchen aufgewachsen – und er ist Jude. Gläubig sei er nicht unbedingt, sagt Köster. Aber: „Es gibt schon das Narrativ vom jüdischen Volk, das spielt eine Rolle für meine Identität.“

Jüdisches Leben findet inzwischen im Verborgenen statt

Seinen richtigen Namen möchte er nicht nennen. „Das ist einfach zu gefährlich“, sagt er. Denn ja, es gibt auch heute noch jüdisches Leben in Deutschland und auch im Kreis Euskirchen. Doch es finde im Verborgenen statt. Wenn seine Mutter Freitagsabends zum Schabbat die traditionellen Kerzen anzünde, mache sie vorsichtshalber die Rollladen herunter, erzählt Köster. Vor jeder Synagoge stehe inzwischen eine Polizeistreife und das jüdische Altenheim, in dem seine Großmutter wohne, sehe von außen aus wie ein Gefängnis. „Das regt mich auf, weil es als so normal angesehen wird“, sagt er.

Es gebe in jüdischen Kreisen so einen geflügelten Satz, der in etwa laute: „In Deutschland kümmert man sich mehr um die toten Juden, als um die lebenden.“ Köster findet, da ist etwas dran.

Euskirchener Jude wünscht sich mehr Interesse an jüdischem Leben

Deshalb hadert er auch mit Gedenktagen, wie dem 27. Januar. Erinnern sei wichtig, sagt er. „Man kann nicht genug erinnern.“ Doch gleichzeitig wünscht er sich mehr Interesse und sichtbare Unterstützung für jüdisches Leben in Deutschland heute.

Er nennt ein Beispiel. Nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 seien zu einem der größten Schweigemärsche in der Region für die Opfer dieses Angriffs nur 3000 Menschen gekommen. Dabei sei das doch eine einfache Gelegenheit gewesen, Juden zu unterstützen. Köster zieht daraus einen bitteren Schluss:  „Für die Mehrheitsgesellschaft macht es keinen Unterschied, ob Juden da sind oder nicht. Das ist einfach traurig.“

Bedrohung für Juden kommen aus unterschiedlichen Lagern

Juden werden in den Augen des 33-Jährigen in Deutschland von verschiedenen Seiten bedroht. Da seien zum einen die Rechten, deren Erstarken auch ihn beunruhige. Und dann gebe es Antisemitismus von muslimischen Gruppen.

Köster spricht bewusst von Muslimen und nicht von Islamisten. Natürlich sei nicht jeder Muslim automatisch Antisemit, aber eben auch nicht jeder antisemitische Muslim sei gleich ein Islamist. Dazwischen gebe es viele Grautöne. Und im Grunde sei das auch bei den Rechtskonservativen so. Heute wie 1933.

Jeder Besuch bei der Oma ist ein Holocaust-Gedenktag

Köster ist der Ansicht, dass es in Deutschland eine relativ gute Erinnerungskultur und viel Aufarbeitung gibt. Dennoch werden in seinen Augen die Nazis von damals oft in den Erzählungen überhöht, zu absolut bösen Monstern. Bei dieser Art von Erinnerung bleibe aber kein Platz für die Grautöne. Die vielen Menschen, die sich irgendwo zwischen stillschweigenden Unterstützern und SA-Schlägern verorteten und dazu beitrugen, dass das Nazi-Regime Bestand hatte.

Dafür seien Gedenktage dann wieder gut, sagt Köster. Wenn sie dafür genutzt werden, dass sich die Nachfahren der Täter kritisch mit der eigenen Geschichte auseinandersetzten.

Für ihn persönlich habe der Tag keine Bedeutung. „Ich sehe es nicht als meine Aufgabe, mich damit zu beschäftigen“, sagt Köster. Jedes Mal, wenn er seine Oma besuche, sei für ihn Holocaust-Gedenktag.


Zahl der Opfer aus dem Kreis Euskirchen nicht bezifferbar

Wie viele Menschen aus dem Kreis Euskirchen im Holocaust umgebracht wurden, darüber gebe es keine Aufzeichnung, sagt Gabi Rünger vom Geschichtsverein des Kreises Euskirchen auf Nachfrage dieser Zeitung. Doch alleine im Stadtgebiet Euskirchen wurden bislang 213 Stolpersteine für Opfer des Nationalsozialismus verlegt.

Der Arbeitskreis JudiT.H. hat ein ganzes Buch nur über die Juden im oberen Oleftal herausgegeben. An zehn Orten im Kreis standen Synagogen, die alle bei der Reichspogromnacht zerstört wurden. Erhalten geblieben sind hingegen 20 jüdische Friedhöfe im ganzen Kreis, alleine acht davon befinden sich im Stadtgebiet Euskirchens.

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