Im Oktober 2023 starb ein Motorradfahrer bei einem Unfall auf der B266. Ein Autofahrer aus Kall musste sich deswegen nun vor Gericht verantworten.
Nach Unfall auf der B266Mann aus Kall vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung freigesprochen

Bei einem Unfall auf der B266 bei Schaven starb am 21. Oktober 2023 ein 42 Jahre alter Motorradfahrer. Die Umstände des Unfalls wurden nun vor Gericht beleuchtet.
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Am 21. Oktober 2023 kollidierten auf der Bundesstraße 266 in der Nähe von Schaven ein VW und ein Motorrad. Beide waren in Richtung Kommern unterwegs gewesen. Das Motorrad, eine Suzuki, kam zu Fall. Der Zweiradfahrer, ein 42-jähriger Euskirchener, wurde gegen die Leitplanke geschleudert. Beim Aufprall erlitt er tödliche Verletzungen. Sein Sozius wurde schwer verletzt.
Der Verkehrsunfall hatte jetzt ein juristisches Nachspiel. Der Fahrer des Autos, ein 65 Jahre alter Mann aus Kall, wurde am Euskirchener Amtsgericht wegen fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Körperverletzung angeklagt. Nach einer mehr als fünfstündigen Verhandlung sprach das Schöffengericht unter der Leitung von Stefanie Diel ihn von diesem Vorwurf frei.
Der Angeklagte machte keine Angaben zur Sache
Das Verfahren war schwierig, weil sich der Unfall nicht vollständig rekonstruieren ließ, da sich die Zeugenaussagen zum Teil widersprachen und der Angeklagte von seinem Recht Gebrauch machte, die Aussage zur Sache zu verweigern. Der Kaller und der Euskirchener waren nach den Angaben anderer Verkehrsteilnehmer an jenem Tag gegen 13 Uhr in der 100er-Zone deutlich zu schnell und mit sehr geringem Abstand zueinander unterwegs gewesen.
Zeugen, die in dem Prozess aussagten, schätzten das Tempo des VW und der Suzuki auf Geschwindigkeiten zwischen 135 und 150. „Was für Spinner!“, habe er gedacht, sagte einer der Autofahrer, die von dem Duo überholt worden waren. Ein anderer schilderte seine Gedanken von damals so: „Schon wieder zwei Bekloppte!“
Schon wieder zwei Bekloppte!
Die offenkundige Geschwindigkeitsüberschreitung spielte in dem Strafverfahren aber keine Rolle – ebenso wenig der Umstand, dass der Motorradfahrer, der den 14-jährigen Sohn seiner Lebensgefährtin bei sich hatte, alkoholisiert war: Eine Blutprobe nach seinem Tod ergab nach Angaben des Gerichts einen Wert von 1,29 Promille.
In der Verhandlung ging es im Kern vielmehr um die Frage, wo auf der zweistreifigen Fahrbahn sich die Kollision ereignet hatte. Mit anderen Worten: Hatte einer der Beteiligten seine Spur verlassen?
Der Beifahrer hatte zwei Wochen im Krankenhaus gelegen
Nach Darstellung der Staatsanwaltschaft war der VW-Fahrer nach einem Überholvorgang auf den rechten Fahrstreifen eingeschert, der Suzuki-Fahrer fuhr neben ihm auf der linken Spur – „wahrscheinlich, um ihn zu überholen“.
In einer leichten Linkskurve sei der Kaller in seinem VW auf die linke Spur gewechselt. Mit einem Schulterblick, so die Staatsanwältin, hätte er erkennen können, dass sich das Motorrad links neben ihm befand. Weil der VW-Fahrer es jedoch an der erforderlichen Sorgfalt habe fehlen lassen, sei es zu einem Kontakt mit der Suzuki und in dessen Folge zu dem tödlichen Sturz gekommen.
Der 16-Jährige brach seine Zeugenaussage unter Tränen ab
Dies entsprach im Wesentlichen der Darstellung des heute 16-jährigen Motorradbeifahrers. Er hatte nach dem Unfall wegen seiner schweren Verletzungen zwei Wochen im Krankenhaus gelegen. Vor Gericht setzte er zu seiner Zeugenaussage an, musste sie aber schon nach wenigen Sätzen unter Tränen abbrechen. Er wurde von einem Begleiter aus dem Saal geführt.
So verlas Richterin Diel die Aussage, die der Schüler kurz nach dem Unfall zu Protokoll gegeben hatte. Demnach sei der VW-Fahrer „ohne Grund“ von der rechten auf die linke Spur gezogen, als der Motorradfahrer ihn habe überholen wollen. Deshalb sei es zur Kollision gekommen.
Euskirchener Schöffengericht musste widersprüchliche Aussagen bewerten
Zwei Zeugen schilderten den Ablauf anders. Demnach war die Suzuki in der Linkskurve leicht nach außen – also nach rechts – getragen worden. Der Motorradfahrer habe seinen Fahrstreifen allerdings nicht verlassen, und auch der VW-Fahrer sei auf seiner Spur geblieben. Ein Zeuge sagte, die Kollision habe sich auf der Trennlinie zwischen den Fahrspuren ereignet. Der andere erklärte, der Lenker der Suzuki habe die Trennlinie überschritten und sei in Höhe der Hinterachse des VW gegen dessen Karosserie geraten.
Das Gericht hatte es nicht nur mit widersprüchlichen Zeugenaussagen zu tun, sondern auch mit einem Sachverständigen, der im Laufe der Verhandlung von seiner ursprünglichen, schriftlich dargelegten Meinung zur Unfallrekonstruktion abrückte. Zu Beginn seiner Stellungnahme hatte er erklärt, die Kollision sei auf dem linken Fahrstreifen erfolgt. Damit bestätigte er die Darstellung der Staatsanwaltschaft und des jungen Beifahrers.
Sachverständiger rückte von seiner ursprünglichen Stellungnahme ab
Nach einer langen Erörterung zwischen den Prozessbeteiligten, die am Richtertisch stattfand, sodass sie für die Öffentlichkeit kaum nachvollziehbar war, resümierte der Gutachter, dass die Fahrzeuge auch auf der Trennlinie zwischen den Fahrspuren zusammengestoßen sein könnten.
Die Staatsanwältin schloss aus dieser These und aus den Aussagen der erwachsenen Zeugen, dass sich der Schuldvorwurf nicht mit zweifelsfreier Sicherheit belegen lasse. Die Aussage des jungen Beifahrers, der den Ablauf anders geschildert hatte, bezeichnete sie als „nicht belastbar“: „Wir müssen hier von einem Irrtum ausgehen.“ Deshalb sei der Angeklagte freizusprechen.
Der Verteidiger, der erst in seinem Schlussvortrag im Namen seines Mandanten dessen „tiefstes Bedauern“ für die Familie des Todesopfers und den Sozius äußerte, schloss sich dem an. Es gelte der Grundsatz „In dubio pro reo“. Er erinnerte an die Aussage des Zeugen, der am nächsten am Geschehen gewesen war und ausgesagt hatte, der VW-Fahrer habe die rechte Fahrspur nicht verlassen.
Richterin Diel sagte zur Begründung des Freispruchs, der Vorwurf, dass der Angeklagte den rechten Fahrstreifen durch einen bewussten Wechsel oder durch Unachtsamkeit verlassen habe, sei nicht aufrechtzuerhalten. Es sei nicht auszuschließen, dass die Kollision auf der Trennlinie erfolgt sei. Man könne ihm mithin keine Fahrlässigkeit nachweisen. Wie die Verteidigung verwies die Vorsitzende auf den Grundsatz „In dubio pro reo – im Zweifel für den Angeklagten“.