Obdachlosigkeit in EuskirchenStreetworker hilft jugendlichen Obdachlosen zurück ins normale Leben

Lesezeit 4 Minuten

Euskirchen – Julia ist 19. Sie ist obdachlos und lebt auf der Straße. An den von Euskirchener Obdachlosen beliebten Plätzen, am Veybach-Center oder der Herz-Jesu-Kirche, sucht man die junge Frau vergeblich. Mit Drogen und Alkohol hat Julia nach eigenem Bekunden nichts am Hut: „Das ist es nicht Wert. Das Leben ist so schon hart genug.“

Ihren 20. Geburtstag im November wird sie wohl in der Tagesstätte der Caritas für Wohnungslose feiern, die Nacht vor der Feier will sie in der Notschlafstelle verbringen. Auch dann wird der Wecker wieder um 7.15 Uhr klingeln – so wie jeden Tag in der Notschlafstelle. Kontakt zu ihren Eltern hat sie schon lange nicht mehr. Ihr Vater hat die Verbindung abgebrochen, als sie sieben Jahre alt war. Von ihrer Mutter hat sie seit drei Jahren nichts mehr gehört.

Sie räumt ein, dass der fehlende elterliche Rückhalt einer der Gründe für ihre jetzige Situation sei. Doch die Hauptschuld trage sie selbst: „Ich war einfach zu faul. Ich hätte ja zum Jobcenter gehen und mich nach der Schule um eine Ausbildung kümmern können.“ Da sie das nicht getan habe, habe ihr das Amt die Mietunterstützung verwehrt. Dann sei es zur Zwangsräumung gekommen. Julia lebte fortan auf der Straße.

Der Begriff Faulheit sei in diesem Fall nicht damit gleichzusetzen, wenn Jugendliche einmal keine Lust mehr zu lernen hätten, sagt Frank Commer. Er ist bei der Caritas für die mobile Sozialarbeit zuständig. Bei Julia sei es wohl die Angst vorm Versagen in behördlichen Dingen gewesen: „Bevor man scheitert, stellt man sich lieber erst gar nicht den Problemen. Das wird dann gemeinhin als Faulheit bezeichnet“, so der Streetworker, der sich in Euskirchen um Obdachlose kümmert. Zentrale Anlaufstation sei der Bereich am Veybach-Center. „Dort trifft man auch Menschen aus dem betreuten Wohnen, die einen festen Wohnsitz haben. Die Innenstadt ist ihr Wohnzimmer, da hier die sozialen Kontakte stattfinden“, sagt Commer. Auch wenn das Leben sie mitunter ausgespuckt habe, wollten sie daran teilnehmen.

In der Negativspirale

Bis vor wenigen Jahren hätten sich die Obdachlosen häufig im Ruhrpark oder in der Grünfläche zwischen Wolfsgasse und Disternicher Torwall aufgehalten. Da aber im Ruhrpark ein Spielplatz geschaffen worden sei und dort Alkoholverbot herrsche, sei der Treffpunkt kein Thema mehr, so der Experte.

Während viele ihrer Schicksalsgenossen schon morgens zum Alkohol greifen, setzt sich Julia nach dem Frühstück in der Tagesstätte an den Computer und sucht nach Wohnungen und Ausbildungsplätzen. „Mein Traumberuf ist Bürokauffrau, aber da ist es zurzeit schwierig, überhaupt eine Ausbildung zu finden. Deshalb wäre ich auch mit einer Ausbildung zur Friseurin sehr glücklich“, sagt die Euskirchenerin, die einen Realschulabschluss hat. Gerade bei jungen Obdachlosen sei die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit ein Problem. Die Motivation mit kleinen Schritten ins Leben zurückzukehren gehe schnell verloren, wenn sie ihre Lebenssituation mit der von Freunden verglichen. „Das Ergebnis ist dann, dass die Negativspirale weiter Fahrt aufnimmt“, so Commer.

Kontakt zu ihren ehemaligen Freunden habe sie nicht mehr. „Wenn du kein Geld hast, bist du nichts“, sagt sie. Das wenige Bare, das ihr zur Verfügung stehe, gebe sie am liebsten für Kleinigkeiten aus, die für sie purer Luxus seien – etwa Ohrringe.

„Das macht mich glücklicher als Alkohol“, sagt Julia, deren Ziel es ist, „einfach weg von der Straße zu kommen“,.Das könnte schon bald Realität werden: Caritas-Mitarbeiterin Lydia Honecker hat ihr ein WG-Zimmer vermittelt, in das sie am 1. Dezember aus der Notschlafstelle einziehen kann. Sie wird dann laut Commer weiter von der Caritas im Rahmen des betreuten Wohnens unterstützt. Dies sei ein wichtiger Bestandteil der Obdachlosenhilfe. „Wir versuchen, allen Obdachlosen ein Haus zu vermitteln. Wir haben in den vergangenen Jahren ein enges Netzwerk aufgebaut. Wir wissen von keinem, der draußen campieren muss“, so der Sozialpädagoge: „Die ältere Generation weiß, was es bedeutet, auf der Straße zu leben, und hat sich mit der Situation arrangiert. Die Jüngeren leben oft in einer Fantasiewelt weiter, in der Anspruch und Wirklichkeit auseinanderklaffen.“

Jüngere Obdachlose würden häufig Absprachen und Termine nicht einhalten: „Dann in den Sack zu hauen und sie aufzugeben, wäre ein pädagogischer Fehler. Wir müssen mit ihnen gemeinsam durch die Krisen gehen und versuchen, sie aus dieser Lage herauszuholen.“

Vielleicht kann Frank Commer ja demnächst Julias Werdegang als positives Beispiel aufführen. . .

KStA abonnieren