WeltfrauentagDas Euskirchener Schutzhaus für Frauen ist fast immer voll

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Zu einem Gespräch bei Kaffee und Tee kamen Vertreterinnen der drei Einrichtungen des Vereins Frauen helfen Frauen mit Landrat Markus Ramers (vorne) und Bürgermeister Sacha Reichelt zusammen.

Zu einem Gespräch bei Kaffee und Tee kamen Vertreterinnen der drei Einrichtungen des Vereins Frauen helfen Frauen mit Landrat Markus Ramers (vorne) und Bürgermeister Sacha Reichelt zusammen.

Häusliche Gewalt ist Hauptthema bei Beratungen des Euskirchener  Vereins Frauen helfen Frauen.

Eine halbe Stunde war knapp bemessen, um Landrat Markus Ramers und Euskirchens Bürgermeister Sacha Reichelt   über die aktuelle Arbeit des Vereins Frauen helfen Frauen und seiner drei Einrichtungen sowie die dringlichsten Probleme von Frauen im Kreis Euskirchen in Kenntnis zu setzen. Aber die Vertreterinnen der Frauenberatungsstelle, des Schutzhauses für Frauen und Kinder sowie der Beratungsstelle für Schwangerschaftskonflikte und Familienplanung zeigten sich gut vorbereitet.

Eingeladen zu dem Gespräch hatte der Vorstand des Vereins anlässlich des   Weltfrauentags am 8. März. Ursprünglich sollte der Austausch bei einer Tasse Kaffee auf den roten Bänken vor der Kreishaus stattfinden, die von Bewohnerinnen des Schutzhauses und ihren Kindern gestaltet wurden. Da das Wetter nicht mitspielte, lud der Landrat kurzerhand ins Kreishaus ein.

Kriminalstatistik: Zunahme häuslicher Gewalt im Kreis Euskirchen

„Mittlerweile geht es bei 60 Prozent unserer Beratungen um häusliche Gewalt“, führte Ellen Mende von der Frauenberatungsstelle aus. Der Trend, den die aktuelle Kriminalstatistik ausweist, nämlich eine Zunahme häuslicher Gewalt um 38,2 Prozent, zeige sich auch in der Beratungsarbeit. Gerade während der Lockdowns samt Schul- und Kitaschließungen sei in den Familien viel im Verborgenen geschehen. „Den rückläufigen Trend bei Sexualdelikten in der Kriminalitätsstatistik können wir hingegen nicht bestätigen“, erklärte Ellen Mende: „In 27 Prozent unserer Beratungen ist sexualisierte Gewalt Thema.“ Viele Betroffene würden jedoch keine Anzeige erstatten.

Auffallend sei, dass immer mehr junge Frauen wegen sexualisierter Gewalt den Weg in die Beratungsstelle finden, was bestenfalls mit der geleisteten Präventionsarbeit in den Schulen im Kreisgebiet in Verbindung gebracht werden könne.

Das Euskirchener Frauenhaus ist fast immer voll belegt

Was den Wunsch, wirksame Hilfeleistung in der Frauenberatungsstelle zu bieten, sehr verkompliziere, sei der überaus angespannte Wohnungsmarkt. „Es ist sehr schwierig, bezahlbaren Wohnraum zu finden. Oder Frauen zeitnah in Frauenhäusern unterzubringen – landesweit seien kaum mehr Plätze frei. „Selbst in unser eigenes Schutzhaus haben wir lange keine Frau mehr vermitteln können“, so Mende. Die Konsequenz: „Häufig müssen Frauen und ihre Kinder in den Gewaltbeziehungen bleiben, weil es für sie keine andere Alternative gibt.“ Silvia Alt, Mitarbeiterin des Schutzhauses, bestätigte: „Wir sind so gut wie immer voll. Wir müssen vielen Hilfe suchenden Frauen absagen.“ Auffallend sei, dass die Gewalt und die Bedrohungen, denen die Frauen und Kinder ausgesetzt seien, in den vergangenen Jahren extremer geworden ist.

Häufig habe man mittlerweile Migrantinnen im Schutzhaus, die keinen Aufenthaltsstatus haben. „Hier zeigt sich das Kreis-Ausländeramt sehr unterstützend. Ansonsten müssten wir noch sehr viel mehr Frauen wegweisen“, sagte Alt, die die Dringlichkeit einer Pflichtfinanzierung der Frauenhausplätze durch den Bund betonte: „Nach wie vor gibt es für viele Frauen in Not keine Finanzierung: Migrantinnen ohne Aufenthaltsstatus, Studentinnen, Selbstständige oder EU-Bürgerinnen.“

Landrat Ramers: Eine Aufgabe für die  gesamte Gellschaft

Eine der größten Herausforderungen im Euskirchener Schutzhaus sei auch das Thema Umgang: „Wir erleben im Schutzhaus, dass die Väter zu 100 Prozent den Umgang beantragen, um an die Mütter heranzukommen“, so Alt: „Und wir erleben auch, dass die Akteure im gerichtlichen Verfahren die erlebte häusliche Gewalt so gut wie gar nicht berücksichtigen.“ Die Kreis-Gleichstellungsbeauftragte Astrid Günter, die ebenfalls an dem Gespräch teilnahm, betonte, dass die rechtlichen Voraussetzungen hierfür eigentlich geschaffen seien: mit der Istanbul Konvention, dem Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt. „Deren Inhalt ist aber noch lange nicht bis an die Basis durchgedrungen“, so Günter.

Die Mitarbeiterinnen der Beratungsstelle für Schwangerschaftskonflikte und Familienplanung monierten bei dem Treffen, dass Schwangerschaftsabbrüche auch nach 40 Jahren vor dem Gesetz als Straftatbestand gehandelt werden. Außerdem sei die medizinische Versorgungslage im Kreis Euskirchen äußerst unzureichend: Kein Krankenhaus und kein niedergelassener Gynäkologe führe bei ungewollter Schwangerschaft einen Abbruch durch, vielmehr müssten die Betroffenen nach Köln und Bonn ausweichen.

„Ich bin froh und dankbar für die engagierte Arbeit, die Sie hier im Kreis Euskirchen leisten“, versicherte Landrat Markus Ramers abschließend. Alle angesprochenen Themen würden jedoch keineswegs nur Frauen betreffen, vielmehr zeigten sie gesamtgesellschaftliche Aufgaben auf, denen man sich stellen müsse.


Luft nach oben bei Arbeitszeit und Bezahlung der Frauen

Im vergangenen Jahr stieg im Kreis Euskirchen die Zahl der Frauen in einer sozialversicherungspflichtigen Arbeit um 1,2 Prozent oder 329 Frauen. „2022 gingen damit rund 32 Prozent des Beschäftigungswachstums im Kreis Euskirchen auf das Konto weiblicher Beschäftigter und 68 Prozent auf das der männlichen Beschäftigten“, teilt die Agentur für Arbeit Brühl mit.

„Männer haben auch bei der Arbeitszeit klar die Nase vorn“, heißt es weiter. Während nur 11,2 Prozent der männlichen Arbeitnehmenden in Teilzeit arbeiten, sind es bei den Frauen mit 53,6 Prozent mehr als die Hälfte. „Das geschieht jedoch nicht immer freiwillig. Flexiblere Arbeitszeiten könnten Frauen dabei unterstützen, ihre beruflichen Qualifikationen besser einzubringen und damit für Entlastung an einem von Fachkräfteengpässen geprägten Arbeitsmarkt zu sorgen“, heißt es seitens der Arbeitsagentur Brühl.

Im Juni 2022 gingen im Kreis Euskirchen 27.555 Frauen einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nach. Im Vergleich zum Vorjahr war das ein Plus von 329 Frauen oder 1,2 Prozent. Mit 31 210 männlichen Beschäftigten sind nach wie vor mehr Männer versicherungspflichtig angestellt. Hier stieg die Beschäftigung um 814 oder 2,7 Prozent. Insgesamt arbeiteten 12.790 Frauen in Vollzeit (46,4 Prozent) und 14.765 (53,6 Prozent) in Teilzeit. Bei den Männern arbeiteten 27711 in Vollzeit (88,8 Prozent) und 3499 (11,2 Prozent) in Teilzeit.

„Familiäre Pflichten schränken die Frauen oft auf eine Arbeit in Teilzeit ein. Gut qualifizierten Frauen mit flexiblen Arbeitszeiten die Möglichkeit zu eröffnen, ihre Arbeitszeit zu erhöhen, könnte für einige Unternehmen ein Schlüssel sein, um den Fachkräftebedarf zu decken. Vielleicht kann Mitarbeiterinnen, die das wollen, mit einem veränderten Arbeitszeitmodell eine längere Arbeitszeit ermöglicht werden“, sagt Ralf Holtkötter, Vorsitzender der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit Brühl. Der Anteil der Frauen mit einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung an der weiblichen Gesamtbevölkerung ist in den vergangenen Jahren weiter gestiegen. So betrug die Beschäftigungsquote von Frauen im Kreis Euskirchen 55,7 Prozent – vor einem Jahr waren es noch 0,8 Prozentpunkte weniger. Die Zahl der Minijobberinnen sank im Vergleich zum Vorjahr um 364 Frauen oder 5,7 Prozent. Damit waren mit 6007 Frauen im Kreis Euskirchen weiter deutlich mehr Frauen ausschließlich geringfügig beschäftigt als Männer: Im Juni 2022 waren 3794 Männer ausschließlich in Minijobs beschäftigt. Allerdings stieg ihre Zahl um 33 Personen oder 0,9 Prozent.

Nach wie vor erzielen Frauen im Kreis Euskirchen geringere Entgelte als Männer. Das durchschnittliche Gehalt von Arbeitnehmerinnen lag im Dezember 2021 (aktueller Datenstand) bei 3079 Euro, bei Männern hingegen bei 3466 Euro. Ein Grund ist, dass Frauen eher im mittleren Fachkraftniveau tätig sind, während Männer häufiger auch höher qualifizierte Tätigkeiten mit einem höheren Verdienst ausüben. Zudem arbeiten Frauen häufiger in Berufen, in denen die Verdienstmöglichkeiten eingeschränkt sind, wie beispielsweise den Gesundheits- und Sozialberufen. Auch der deutlich höhere Teilzeitanteil bei den Frauen sorgt für ein geringeres Durchschnittsgehalt. (eb)

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