Facebook-Gruppe „Weilerswist Süd“Soziale Medien wurden ihrem Namen gerecht

Lesezeit 4 Minuten
Erschöpft, aber immer noch guter Dinge: die fleißige Helfergruppe.

Erschöpft, aber immer noch guter Dinge: die fleißige Helfergruppe.

Weilerswist – Tatenlos zusehen, das ist nicht ihr Ding: Myriam und Sebastian Kemp, die in Weilerswist Süd zu Hause sind, waren mit dem Tag, als der Starkregen kam, unermüdlich im Einsatz. Und mit ihnen eine ganze Armada freiwilliger Helferinnen und Helfer, die das Paar vornehmlich über Facebook-Gruppen zusammengetrommelt hat. „Auf diese Weise sind die sozialen Medien ihrem Namen einmal richtig gerecht geworden“, freut sich Myriam Kemp.

„Das erste Mal begeistert von der Solidarität der Menschen waren wir, als am 14. Juli abends der Aufruf aus dem Rathaus Weilerswist kam, Sandsäcke zu befüllen, und unzählige Leute trotz des strömenden Regens kamen.“ Als tags darauf die nötigen Helfer zum Sandschippen ausblieben, kletterte Sebastian Kemp kurzerhand in der mit evakuierten Menschen gefüllten Halle der Gesamtschule auf einen Stuhl und bat um Hilfe. „Er kam mit über 40 tatkräftigen Männern und Frauen zurück!“, erzählt die zweifache Mutter.

„25 Haushalte waren sofort bereit, diesen wildfremden Menschen bedingungslos zu helfen“

Als die beiden auf dem Nachhauseweg Menschen aus Metternich über die Felder kommen sahen, die barfuß in Richtung Notunterkunft unterwegs waren, handelten sie schnell. Sebastian Kemp, ehemaliger Bundeswehrsoldat mit großer Koordinierungserfahrung, organisierte einen Lautsprecherwagen, der im nicht überfluteten Ortsteil Weilerswist Süd umherfuhr, um Familien zu suchen, die Mitbürger aufnehmen wollten. „25 Haushalte waren sofort bereit, diesen wildfremden Menschen bedingungslos zu helfen“, freut sich Myriam Kemp.

30 Evakuierte hätten in den Privathaushalten – zu diesem Zeitpunkt ebenfalls ohne Strom und warmes Wasser – die Möglichkeit bekommen, etwas zur Ruhe zu kommen.

Als das Wasser allmählich zurückgegangen war und das ganze Ausmaß der Zerstörung deutlich wurde, startete das Paar über die Gruppe „Weilerswist Süd“ einen Aufruf. Punkt 10 Uhr am Samstag stand ein Haufen Freiwilliger auf dem Parkplatz des Fachmarktzentrums, bereit zum Helfen. „An diesem ersten Einsatztag waren die Leuten nur mit Schaufel und Besen gekommen, zuletzt hatten wir Lampen, Brecheisen, Schubkarren, Vorschlaghammer, eine Flex und vieles mehr dabei“, so Myriam Kemp. Zwischen zwölf und 50 Menschen packten acht Tage lang mit an. Viele hatten sich eigens Urlaub genommen, andere legten Frühschichten im Homeoffice ein, um dabei sein zu können, wenn überflutete Häuser ausgeräumt und von Schlamm befreit werden mussten.

Die Aufmerksamkeit der Helfergruppe sank, die Verletzungsrate stieg

Nach vier Tagen in Metternich fuhr die motivierte Helfertruppe noch nach Heimerzheim, Schweinheim und Blessem. „Einmal wurden wir auf dem Rückweg noch zu einem Haus in Weilerswist gerufen, das direkt an der Swist liegt. Zwei starke Männer seien da vonnöten, um eine Garage leer zu räumen, hieß es“, berichtet Sebastian Kemp. Der vermeintlich kurze Einsatz erwies sich als körperliche Herausforderung: „Ein 220 Kilo schwerer Pizzaofen musste getragen werden – da waren mehr als nur zwei starke Männer gefragt“, erzählt der 35-Jährige schmunzelnd.

Am vorerst letzten Einsatztag, in Blessem, habe man der Helfertruppe die Erschöpfung angemerkt – die Aufmerksamkeit sank, die Verletzungsrate stieg. „Wir machen das nicht täglich, normalerweise schleppt man vielleicht einmal im Jahr eine Waschmaschine“, sagt Helfer Stefan Endres. Auch für Myriam Kemp gab es ein vorläufiges Aus: Beim Räumen zog sie sich eine Kopfplatzwunde nebst Gehirnerschütterung zu.

Rückblickend erscheine die Zeit surreal, erzählt die Medizinethikerin. „Tagsüber haben wir im absoluten Katastrophengebiet Menschen geholfen, die unfassbar hohe materielle Verluste erlitten haben und mindestens genauso hohe ideelle.“ Sie und die anderen seien abends unter ihre warmen Duschen gegangen, hätten sich vom Dreck befreit und anschließend noch lange miteinander im Garten gesessen. Das habe sich seltsam angefühlt, sei aber gleichzeitig immens wichtig gewesen, um das Erlebte verarbeiten zu können, so Sebastian Kemp.

Bürgerschaftliche Hilfsaktionen wie diese gab und gibt es im ganzen Kreis Euskirchen

In mehr als 20 Häusern habe man in dieser Zeit gemeinsam geholfen, erzählt das Paar, beeindruckt von der geballten Motivation der Gruppe, die sich zuvor untereinander kaum oder gar nicht kannte. „Innerhalb kürzester Zeit entstanden echte Freundschaften. Not schweißt eben zusammen“, so der 35-jährige Senior-Controller.

Bürgerschaftliche Hilfsaktionen wie diese gab und gibt es im ganzen Kreis Euskirchen. Die Tatkraft der Menschen, die Myriam und Sebastian Kemp um sich versammeln konnten, ist beispielhaft für das, was zahlreichen Flutopfern schnell leer geräumte, entschlammte und zum Trocknen bereite Häuser verschafft hat. „Ich habe viel über mich gelernt“, so Myriam Kemp über die Zeit: „Und viel über Menschen an sich.“

KStA abonnieren