„Stimmungsmache“Fotos aus verwüstetem Flüchtlingsheim Derkum sollen Fakes sein

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Am Bahnhof Derkum: René Strotkötter, Frank Altendorf und Anna-Katharina Horst.

Am Bahnhof Derkum: René Strotkötter, Frank Altendorf und Anna-Katharina Horst.

Weilerswist – Die Bilder, die völlig vermüllte Räume im Derkumer Bahnhofsgebäude zeigen und in Facebook veröffentlicht wurden, sind nach Einschätzung der Spitze der Weilerswister Gemeindeverwaltung Fakes. Nach Aussagen einer Flüchtlingshelferin sowie eines Handwerkers, die beide dort nach dem Umzug der Flüchtlinge die leeren Räume gesehen haben, sind sie bewusst verfälschend angefertigt worden. Bei einem Ortstermin mit dieser Zeitung sagten Bürgermeisterin Anna-Katharina Horst und der Erste Beigeordnete René Strotkötter, es sei ganz offensichtlich ins Obergeschoss des Bahnhofsgebäudes zu einer Zeit eingebrochen worden, in der noch einige Bewohner in den unteren Stockwerken des Bahnhofsgebäudes wohnten.

Zerstörte Tür im Dachgeschoss.

Zerstörte Tür im Dachgeschoss.

Frank Altendorf vom Gebäudemanagement der Gemeinde hat nach eigenem Bekunden festgestellt, dass eine feuerhemmende Tür im Dachgeschoss nur einfach abgeschlossen gewesen sei. Durch sie habe man ungehindert Zutritt zu den Räumen gehabt, denn der Schließzapfen des Türschlosses sei ein wenig zu kurz. Hätte man den Schlüssel besagter Tür zweimal herumgedreht, wäre die Tür verschlossen gewesen.

In mehreren Räumen seien zurückgelassene Möbel ramponiert, Kleidung auf den Böden verteilt und Wände beschädigt worden. Türen zu den Zimmern seien eingetreten und Schränke aufgebrochen worden.

Die Gemeinde werde Strafanzeige wegen Einbruchs erstatten, kündigten Bürgermeisterin Horst und der Beigeordnete an. Den Wunsch dieser Zeitung, die aktuellen Zustände fotografisch dokumentieren zu können, lehnte die Gemeindespitze ab. Die mittlerweile geräumte Flüchtlingsunterkunft sei kein öffentlich zugängliches Gebäude. Aus ermittlungstechnischen Gründen wolle man Aufnahmen Dritter nicht zulassen.

Auf Drängen dieser Zeitung erstellte eine Gemeindemitarbeiterin im Beisein eines Redakteurs Fotos verschiedener Räume. Darauf sind herausgebrochene Schrankscharniere und Türschlösser zu sehen, eine Dachecke mit einem laut Gemeindeverwaltung älteren Wasserschaden, ein zerstörter Tisch sowie ein Loch in einer Zimmerwand, aus der offenbar mit dem Metallfuß eines Möbelstücks Putz geschlagen worden war.

Urheber ermitteln

Man wolle aber alles daransetzen, so Horst, die Urheber der Zerstörungen zu ermitteln und herauszubekommen, wer da ohne Einverständnis der Gemeinde die geräumten Wohnbereiche betreten und Fotos via Facebook verbreitet habe. „Das dient alles nur der Stimmungsmache“, sagte René Strotkötter.

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In einem Gespräch mit der Flüchtlingsinitiative am Mittwochabend hatte die Bürgermeisterin wiederholt, dass die Zimmer unaufgeräumt gewesen seien, liege in einer Anordnung der Verwaltung begründet. Beim Umzug der Flüchtlinge in die neue Unterkunft an der Martin-Luther-Straße und an die Kölner Straße sowie in eigens für Familien angemietete Wohnungen habe man den Menschen gesagt, sie sollten alle nicht mehr benötigten Gegenstände und Kleidungsstücke zurücklassen.

„Wir werden jetzt das Mobiliar, das wir noch gebrauchen können, also Bettgestelle und intakte Schränke, Stühle und Tische, einlagern und alles andere entrümpeln lassen“, sagte Strotkötter. Dann solle das Bahnhofsgebäude verkauft werden. „Uns war es lieber, Sperrmüll und die nicht mehr gebrauchten Sachen im Gebäude zu belassen, als sie auf dem Bahnhofsvorplatz aufzutürmen. Das hätte dann ausgesehen wie beim Sperrmülltermin vor einem großen Mietwohnungskomplex“, sagte Horst.

Klamotten auf dem Fußboden.

Klamotten auf dem Fußboden.

Im selben Gespräch bezog die Flüchtlingsinitiative Weilerswist Stellung zu einem Facebook-Post, den der FDP-Fraktionsvorsitzende Hans Josef Schäfer zu den Bildern aus dem Bahnhof veröffentlicht hatte. Schäfer hatte gepostet: „Aus meiner Sicht haben alle Flüchtlingshelfer versagt.“ Der Zustand der Einrichtung, so der Kommunalpolitiker, „ist das eine, Schmutz, Dreck und Unrat das andere.“

Hier, so sein Schluss, „wird die ganze Ohnmacht von Verwaltung und Flüchtlingshelfern deutlich sichtbar.“ Für die Flüchtlingsinitiative war dies Anlass, bei Schäfer nachzufragen, wen er mit „alle Flüchtlingshelfer“ meine, wobei die Flüchtlingshelfer versagt hätten und um welche Ohnmacht es sich handele.

Ruth Schaefer und Michael Detscher machten in dem Brief deutlich, dass sie davon ausgingen, dass Schäfer als Vertreter einer Partei mit großer demokratischer Tradition an einer sachlichen Diskussion interessiert sei und dass er wohl nicht zu den Leuten gehöre, die Empörung schürten und primitive Hetze betrieben. Sie setzten ihm eine Frist von zwei Tagen, Stellung zu beziehen.

 „Sie haben versagt“

Doch Schäfer reagierte anders als erhofft , bemängelte die „Diktion der Mail und die Fristsetzung“ als „reichlich anmaßend“. Und legte nach: Mit „alle Flüchtlingshelfer“ habe er die gemeint, die mit der Betreuung der Menschen im Bahnhof Derkum beschäftigt gewesen seien. „Sie haben dabei versagt, den Menschen die gängigsten Usancen des normalen Zusammenlebens in unserer Gesellschaft zu vermitteln. Dazu gehört neben Hygiene und Sauberkeit auch der Umgang mit Wirtschaftsgütern, die von den Weilerswistern über Spenden oder Steuern zur Verfügung gestellt werden.“

Am Mittwochabend konterte die Flüchtlingsinitiative den Brief des FDP-Mannes. Man lasse sich nicht in eine Ecke drängen. Man habe keinen amtlichen Auftrag, sondern lediglich Hilfe angeboten, als Verwaltung und Politik mit dem Strom der Flüchtlinge sichtlich überfordert gewesen seien.

Schäfer, den man keinesfalls für einen Rassisten halte, so Michael Detscher, trage als Politiker für Sachverhalte die ursächliche Mitverantwortung, die er nun der Flüchtlingsinitiative in die Schuhe schieben wolle. Der Liberale sei eine Person des öffentlichen Lebens und bediene mit seinem Beitrag in Facebook – ohne selbst Rassist zu sein – rassistische Klischees von Geflüchteten, denen man Hygiene und Sauberkeit beibringen müsse.

Mittlerweile, so die Sprecher der Flüchtlingsinitiative Weilerswist, hätten 34 der 51 Mitglieder des Vereins den Brief an den Liberalen unterzeichnet. Man trete übrigens nicht, so die beiden Sprecher, als Sprecher einer Partei, sondern einer Gruppe ehrenamtlich tätiger Menschen auf, deren Engagement Schäfer herabwürdige.

Gegenüber dieser Zeitung nahm Hans Josef Schäfer am Donnerstagnachmittag Stellung. Er bemängelte, dass Angebote von Bürgern und Unternehmern, den Umzug der Flüchtlinge aus dem Bahnhof kostenlos zu bewerkstelligen, von der Gemeindeverwaltung abgelehnt worden seien. Stattdessen habe sie ein Unternehmen für 5000 Euro beauftragt, den Umzug zu machen.

Ja, er habe den Post geschrieben, weil vieles im Argen liege. Er stehe zu seinen Äußerungen, lasse sich aber nicht in den Dreck ziehen oder in die rechte Ecke drücken. Das werde von der Flüchtlingsinitiative bewusst gemacht, um ihn in der Öffentlichkeit zu diskreditieren. Er habe sich immer wieder für die Bürger von Weilerswist eingesetzt, und dazu zähle er auch die Flüchtlinge, so Schäfer.

Er habe bewusst provozierend in Facebook gepostet, um mit der Flüchtlingsinitiative ins Gespräch zu kommen. Er werte es als Vertrauensbruch, dass der Briefwechsel in die Öffentlichkeit gelangt sei.

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