FKK-Pionier Charly SträßerNudisten zogen vom Häusermeer in die Wildnis

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Dieses Foto zierte das Buch von Charly Sträßer über Nacktkultur im alten Berlin.

Dieses Foto zierte das Buch von Charly Sträßer über Nacktkultur im alten Berlin.

  • Vor fast hundert Jahren feierte die Freikörperkultur fröhliche Urständ.
  • Der Burscheider Charly Sträßer wurde einer ihrer Hauptprotagonisten.
  • Er feierte das "Heil der Wildnis" im Burscheider Eifgental.

Burscheid – Körperkultur und grüne Visionen – das waren Themen, die zumal die jungen Menschen des 20. Jahrhunderts umtrieben.

Die Goldenen Zwanziger

Die „Goldenen Zwanziger“ waren eben nicht nur die Zeit der Bauhausarchitektur und des Charlstontanzes mit den damit verbundenen kniekurzen, taillenlosen Hängerkleidern und dem Pagenschnitt. Ebenfalls das „Lichtbaden“, das „Luftbaden“, kurz die Nudistenbewegung, erhielten Zulauf.

Sträßers Buch über die Frottierübungen in Wort und Bild.

Sträßers Buch über die Frottierübungen in Wort und Bild.

Auch der 1900 in Burscheid geborene Carl, Charly Sträßer, machte sich als junger Mann aus dem Bergischen Land auf in Richtung der Großstadt Berlin. Als Werksstudenten der dortigen Handelshochschule wurde ihm das „beengende Häusermeer“ jedoch schon bald zu viel. Lieber wollte er die „umliegende märkische, noch unbebaute Natur“ erobern, wie er in seinem Buch „Nacktkultur im Alten Berlin“ über die Anfänge der FKK-Bewegung schreibt.

Der Mensch ist keine Amphibie

Reinhold Braun, Vorsitzender des Bergischen Geschichtsvereins, Abteilung Leverkusen-Niederwupper, hat Bildmaterial und Bücher von Charly Sträßer erworben. Darunter auch ein kleines Bändchen mit dem Titel „Frottierübungen“. Lange vor dem Wort Wellness empfahl Sträßer: „Beim Bad im Freien oder in der Schwimmhalle sei bei allem Verständnis für die Verlockung zur Dauerleistung darauf hingewiesen, dass der Mensch nun doch einmal keine Amphibie ist und man eigentlich das Wasser mindestens dann verlassen sollte, wenn die Haut durch eine empfindliche Abkühlung anzeigt, dass der Organismus einen Abbruch des Bades verlangt.“

Erst Waldarbeiter im Dhünntal

Sträßer leitete den Reichsbund für Freikörperkultur AFK, den damals größten Berliner FKK-Verein. 1923 gründete er das Jugendgelände „Birkenheide“ am Motzener See. Das war eine schleunige Entwicklung, denn nur wenige Jahre zuvor hatte Charly Sträßer „zunächst notgedrungen“ als Waldarbeiter für ein Gut im Dhünntal gearbeitet, wie sein Biograf Wilhelm Vigener zum 87. Geburtstag Sträßers schreibt.

Aber immerhin: Mit der sozialistischen Jugend „Die Falken“ reiste er in die italienische Schweiz, an den Luganer See. Charly Sträßer wurde als Sohn des Kaufmann Carl Ewald Sträßer und und seiner Frau Marie Louise, geborene Schwiegelshohn am 19 April 1900 geboren. Sein Halbbruder war Burscheider Komponist Ewald Sträßer, ein Sohn aus erster Ehe. Charly besuchte die Volksschule Burscheid, die dortige Bürgerschule Burscheid und ging dann auf die Oberrealschule Remscheid. Im Ersten Weltkrieg ging er als Kriegsfreiwilliger zur Infanterie.

Verbotener Autor im Naziregime

Über 1914, das Jahr des Kriegsausbruchs in Europa, schreibt Vigener: „Charly betätigte sich im Vaterländischen Hilfsdienst in Burscheid und der Jugendwehrkompagnie – einer mehr aus dem Geiste des Wandervogels als preußischem Militarismus geborenen Organisation.“ Zu Sträßers Lektüre gehörten die Schriften des obersten Nudisten Richard Ungewitter. Der war aber nicht nur ein wichtiger Vertreter der FKK-Bewegung, sondern hatte einen Hang zum Rassismus, propagierte die „Züchtung des rassenreinen Menschen“.

Heinz Simanowski (rechts) ehrte Charly Sträßer als FKK-Pionier.

Heinz Simanowski (rechts) ehrte Charly Sträßer als FKK-Pionier.

Charly Sträßer landete mit seiner 1926 publizierten Schrift „Jugendgelände“ später auf der Liste der im Nationalsozialismus verbotenen Autoren. Wahrscheinlich war es eher der Untertitel „Ein Buch von neuen Menschen“, welcher den Nazis nicht gefiel, beanspruchten sie doch ein ideologisches Monopol. Der Körperkult war im Dritten Reich alles andere als tabu, rund 100 000 Mitglieder der Nacktbewegung wollten Mitte der 1930er Jahre ihre Nacktheit vor allem in der freien Natur ausleben.

Tanz- und Gymnastiklehrer

Früh arbeitete Charly Sträßer als Tanz- und Gymnastiklehrer, im Reichsarbeitsdienst war er mit der „Körpererziehung“ beauftragt und arbeitete später als Fahrender Sänger in der Truppenbetreuung im Kriegsgefangenenlager in Schleswig-Holstein. Sträßer schrieb das Lied von der „Tapferen kleinen Soldatenfrau.“

Nach dem Krieg führte er Tanz- und Jugend und Körperschulungsveranstaltungen durch, gab Seminare für Künstlerisches Gestalten. Die Wochenzeitung in Lüdenscheid berichtete im Dezember 1969 von Sträßers Arbeit mit Gehörlosen. Sie tanzten rhythmisch sicher und „die vordem gehemmten Teilnehmer gewannen an Lebensmut, Sicherheit und Lebensfreude.“

Charly Sträßer in einem seltenen Porträt.

Charly Sträßer in einem seltenen Porträt.

Charly Sträßer befasste sich intensiv mit der Geschichte Alt-Burscheids und gab 1956 ein gleichnamiges Buch heraus. Er schrieb Zeitungsartikel und unter anderem einen Aufsatz über das „Heil der Wildnis“ im Burscheider Eifgental. Dort hatte sein Freund Paul Isenhügel ein Gelände aufgebaut. Am 1. Mai 1987 erhielt er in „Würdigung hervorragender Verdienste um die Förderung der deutschen Freikörperkultur seiner Idee und seiner Ziele“ die Goldene Ehrennadel des Deutschen Verbands für Freikörperkultur im Deutschen Sportbund in Hannover.

Am 8. September 1989 ist Sträßer gestorben, zuletzt wohnte er in Wuppertal. Laut Vigener soll er drei Söhne und drei Töchter aus drei Ehen gehabt haben. Die Nachfahren ausfindig zu machen, gestaltete sich für den BGV bislang schwierig.

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