Megaphon in BurscheidEine Ära geht zu Ende

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Vor dem Megaphon war eine Schule in dem Gebäude. Die Stadt wird es verkaufen.

Vor dem Megaphon war eine Schule in dem Gebäude. Die Stadt wird es verkaufen.

Burscheid – Ein Elch mit schwarz-rot-goldener Blumenkette glotzt aus der Wand. Die Bistrostühle sind mit Leopardenstoff bezogen, und auch die Poster, Porträts und Konzertplakate im Burscheider Jugendzentrum Megaphon zeugen von einem Ort, der über viele Jahre auf ganz eigene Weise gewachsen ist. 38 Jahre, um es genau zu sagen. Und für Manfred Zenses, den Leiter und das Urgestein der ersten Stunde, heißt es bald, Abschied zu nehmen.

Die katholische Jugendagentur Leverkusen, Rhein-Berg, Oberberg wird das neue Jugendzentrum an der Montanusstraße übernehmen. Da sich der Umzug etwas verzögert, wird das Megaphon, anders als ursprünglich geplant, voraussichtlich auch nach den Sommerferien noch seine Pforten öffnen. Der Abschied ist trotzdem eingeläutet. Ein Abschiedsfest allerdings soll es nicht geben. Aber Zenses lädt seit einiger Zeit Bands ein, die zum letzten Mal an alter Stätte spielen können.

Größen wie Schlagzeuger Charly Antolini, Boogie-Woogie-Pianist Leopold von Knobelsdorff oder Toots Thielemans waren im Megaphon zu Gast. Der Mundharmonika-Virtuose hatte offenbar einen besonderen Bezug zu Burscheid. „Auf seinem Tourneeplakat stand Moskau, Burscheid, Paris. Da gäbe ich was drum, wenn ich das noch hätte“, sagt Zenses.

Alles zum Thema Wolfgang Niedecken

Wenn er einmal ins Erzählen gerät, bekommen die 70er-, 80er- und 90er-Jahre wieder Farbe, die Discokugel glitzert aufs Neue. Schlange standen die Jugendlichen, aber auch 40-Jährige, wenn in Sträßchen wieder Party angesagt war. Bis zu 500 Besucher kamen. Da war kein Weg zu weit. Kleinkunst gab es, und das Improvisationstheater Springmaus machte im Megaphon seine ersten Gehversuche. Jürgen Becker, Hanns Dieter Hüsch, Wolfgang Niedecken und Wolf Maahn traten auf. Sogar die Comets, die Band von Bill Haley, fuhren mit dem Amischlitten vor, ließen sich von den Zivis ins Künstlerzimmer tragen und gaben anschließend ein schmissiges Konzert.

Zenses ist ein Organisationstalent, schuf Kontakte zum Transportbataillon der Bundeswehr, organisierte ausrangierte „grüne Minnas“ der Polizei für das Megaphon und gewann in Klaus Rauh einen Rennfahrer, der mit viel Liebe die Carrerabahn aufbaute, die mittlerweile als Racing Center an der Höhestraße untergebracht und immer ausgebucht ist. Von der Burscheider Wirtschaft wurde das Megaphon stark gefördert. „Ich weiß von jeder Schraube, wer sie gespendet hat.“ Trotzdem wird bald die Jugendarbeit an einem neuen Ort, an der Montanusstraße, stattfinden, nur manches zieht aus Sträßchen mit um.

Die Ortsnähe, ein Argument, das irgendwann dafür ins Feld geführt wurde, ein neues Jugendzentrum in zentraler Lage zu bauen, spielte über Jahrzehnte keine Rolle. Zu Fuß oder mit dem Mofa kamen die Megaphon-Besucher. Sie hatten Mitte der 70er-Jahre im Burscheider Stadtpark campiert, um ihren Forderungen nach einem eigenen Jugendzentrum Nachdruck zu verleihen. Der damalige Stadtdirektor Horst Weber unterstützte die Pläne und den späteren Förderverein. Da Zenses darauf bestand, dass die Leitung des Zentrums und die Verwaltungsarbeit in einer Hand liegen sollten, gab es einen entsprechenden Antrag, und der Rat gab grünes Licht.

Drei Standorte standen zur Wahl; einer in der Innenstadt, einer in Hilgen und die kleine Schule und der damalige Schulkindergarten in Sträßchen, auf die die Wahl fiel. Zwei Kellerräume gab es am Anfang. Doch dann eroberten sich die Jugendlichen das ganze Gelände. Ein feines Tonstudio entstand, und für viele war das ein Anreiz, etwas Eigenes, Bleibendes mit der Band zu schaffen. Aber auch Töpfern und Seniorentanz standen auf dem Programm.

„Ein Jugendzentrum kann auch im Wald liegen, es steht und fällt mit dem Personal“, meint Zenses. Doch er kennt die Kollegen der Katholischen Jugendagentur und lobt ihre engagierte Arbeit. „Jetzt müssen wir sehen, wie es angenommen wird.“ Im Wald wurde tatsächlich einiges veranstaltet. 25 Indianertippis – sechs Meter Durchmesser, acht Meter hoch – bauten die Jugendlichen seinerzeit im Eifgental mit den Indianerfreunden auf. „Es ging um Ausländerfeindlichkeit und Ausgrenzung.“

Ein andermal ruderten „die Blagen“, wie Zenses seine Schützlinge liebevoll nennt, in einem Wikingerboot in Dänemark. Urlaube in Schweden, Hilfskonvois für ein Kinderheim in Russland oder nach Kroatien organisierte das Megaphon – oder für italienische Erdbebenopfer, deren Angehörige bei Goetze arbeiteten. Und immer waren es die Gemeinschaft und der Blick für Menschen, denen es nicht so gut geht, was zählte. Relativ wenig spricht Zenses über die heutigen Jugendlichen, hält sich zurück, zeigt Verständnis für ihre Situation. „Das bisschen Freizeit, das die heute beim Ganztagsunterricht haben, verbringen sie natürlich lieber mit Chillen.“

Doch störe ihn der Mainstream, das „heute hier, morgen dort“, oder, dass ein Billigflug nach Mallorca mittlerweile mehr zählt als das Zeltlager. „Heute sind die Jugendlichen viel mobiler und fühlen sich an nichts gebunden. Ich möchte heute kein Jugendlicher sein. Und das Überangebot an Medien würde mich kirre machen“, sagt Zenses.

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