Von Burscheid in die weite WeltWie Familie Groß sich um 1850 über die Erde verteilte

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Marie-Luise Mettlach und Verleger Hans-Martin Heider mit Manuskript. In wenigen Wochen soll der Roman erscheinen.

Marie-Luise Mettlach und Verleger Hans-Martin Heider mit Manuskript. In wenigen Wochen soll der Roman erscheinen.

  • Die Familie Groß in Imelsbach hatte im 19. Jahrhundert elf Kinder, vier davon wanderten aus.
  • Sie suchten ihr Glück unter anderem in den USA, der Kontakt nach Burscheid brach jedoch nie ab.
  • Marie-Luise Mettlach hat aus den Briefkorrespondenzen der Familie nun einen Roman gestrickt.
  • Und erzählt von den bewegenden Schicksalen der Geschwister.

Burscheid – Die Insel Sumbawa war Marie Luise Mettlach in diesem Sommer ganz nah. Als die Trockenheit den Pflanzen, der Ernte und dem Gemüt zusetzte, fühlte sich die Regionalhistorikerin an den Vulkan Tambora erinnert, der 1815 auf Sumbawa im heutigen Indonesien ausbrach. Mettlach arbeitet an einem Roman, der auf lokalhistorischen Fakten beruht. Sumbawa und Burscheid berühren sich darin.

Denn das Feuer aus dem Bauch der Erde, gefolgt von Gestein, Ascheregen und einem Tsunami hatte klimatische Folgen für die ganze Welt. Dunkelheit, Missernten und Hungersnöte in weiten Teilen Europas wälzten alles um. Als „verlorenen Sommer“ bezeichnet die Forschung die Katastrophe. Auswanderung war die Folge – über Jahrzehnte. Auch das gesellschaftliche Leben in Burscheid veränderte sich.

Briefwechsel zwischen Burscheid, Norwegen und den USA

Das dokumentiert ein Briefwechsel der Familie Groß aus Imelsbach, der in den 1990er Jahren an ihren mittlerweile verstorbenen Mann, den Burscheider Notar Wolfgang Mettlach, überging. Vier von elf Kindern der Familie Groß, Eduard, Albert, Rosalie und Christiane, suchten zwischen 1846 und 1858 ihr Glück in der Ferne. Fanden sie es? Was wurde aus denen, die blieben? Viel hat Marie-Luise Mettlach über diese Fragen nachgedacht. Denn die Familie Groß ist für sie durch den Briefwechsel zwischen Burscheid, Kristiansand in Norwegen und St. Louis im US-Bundesstaat Missouri lebendig geworden. Hoffnung, persönliche Freiheit, und der Wunsch, seinen Weg zu machen, davon handeln die Briefe, welche zuletzt Louise Wiedenhoff in einem Kästchen aufbewahrte.

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Sie war das letzte in Burscheid lebende Mitglied der Familie Groß. Kurz vor ihrem Tod schenkte sie ihrem Nachbarn Hermann Höpken die Briefe und sagte, dies sei ihr größter Schatz, sie habe das Kästchen stets in Ehren gehalten. Die ausgewanderten Söhne und Töchter der Familie Groß hatten nach Hause geschrieben. Der älteste Sohn war nach Norwegen ausgewandert, die anderen Geschwister nach Amerika.

Das Elternhaus in Imelsbach.

Das Elternhaus in Imelsbach.

Ein Roman über die bewegte Familiengeschichte

„Hermann Höpken verwahrte die Briefe, konnte sie jedoch nicht entziffern und bat meinen Mann und mich um Hilfe“, erklärt Mettlach. In den 1990er Jahren begannen ihre Recherchen, die bis nach Minnesota reichten. Ein Urenkel der Ausgewanderten, Chemieprofessor Tom Fisher, steuerte die Briefe bei, die wiederum in einem Kästchen der Familie in den USA lagerten. In den vergangenen fünf Jahren baute Mettlach um die historischen Fakten einen Roman, der noch in diesem Jahr im Bergisch Gladbacher Verlag Heider erscheinen soll.

Alberts Tochter mit ihrer Familie war in den USA aufgewachsen. Das Einwandern, die Bezüge zu Burscheid dürften in Erzählungen an ihr Ohr gedrungen sein.

Alberts Tochter mit ihrer Familie war in den USA aufgewachsen. Das Einwandern, die Bezüge zu Burscheid dürften in Erzählungen an ihr Ohr gedrungen sein.

„Sie hat sehr poetisch und anrührend geschrieben“

Die Mäuse machten Marie-Luise Mettlach das Lesen schwer. Dort, wo das dicht beschriebene Briefpapier gefaltet ist, ist es teilweise angeknabbert und große Löcher lassen ganze Worte verschwinden. Das Papier ist so dünn, dass auch die Schrift von der Rückseite durchschimmert und die Diktion ist ohne Punkt und Komma. Der Schreibstil der Jüngsten, Christiane, die 1858 das Elternhaus in Imelsbach verließ, gefiel Mettlach besonders: „Sie hat sehr poetisch und anrührend geschrieben“, sagt sie und gibt zu bedenken, dass die Kinder der Familie nur wenige Jahre die Volksschule besucht haben dürfen. Als Weber und Sattler übten sie ihr Handwerk aus, lebten gedrängt in dem kleinen Haus.

Mäuse fraßen am Brief Christianes, die 1873 an Pocken starb.

Mäuse fraßen am Brief Christianes, die 1873 an Pocken starb.

Bei der Revolution im März 1848 war im Deutschen Bund eine Revolution gegen die Obrigkeit aus gebrochen. Die Aufständischen zwangen die Fürsten zu Zugeständnissen, die vier Jahre später wieder zurückgenommen wurden. „Wir wollen die Großen nicht mehr füttern“, schreibt Sohn Albert und meinte die Ungerechtigkeit der sozialen Schere. Er wirft die Frage auf: „Was habe ich in der Welt mehr als Freiheit?“

Das Elternhaus in Imelsbach verließ Albert und wurde als Sattler in den USA erfolgreich.

Das Elternhaus in Imelsbach verließ Albert und wurde als Sattler in den USA erfolgreich.

Die Suche nach dem Glück in den USA

Gewerbefreiheit gab es in Burscheid jedenfalls nicht, selbstständig als Sattler konnte man sich allenfalls in der Neuen Welt machen. Immerhin blieb Schöngeistiges: Gemeinsam mit Franz Wilhelm Oligschläger gründete Friedrich Wilhelm Groß den Nagelsbaumer Leseverein. „Aus den Briefen ist zu erkennen, wie stark die Auswanderung das Leben der Familie in der Heimat verändert hat“, sagt Mettlach, die jeden Hinweis, der sich aus den Briefen ergab, in der Kontext der Zeit einbettet. Christiane folgte der älteren Schwester Rosalie in die USA, die dort einen deutschen Konditor geheiratet hatte und zu Geld gekommen war. Christiane, die Kränkliche, wurde von ihr ausgenutzt. Sie schreibt von der „falschen Hexe“, von der Einsamkeit und der Sehnsucht nach den Eltern: „Wenn uns Land und Meer trennen bin ich immer in der Nähe.“

Alberts Briefe nach Burscheid.

Alberts Briefe nach Burscheid.

„Ich hatte große Mühen, alles nicht so traurig enden zu lassen.“

Rosalie wiederum beschreibt die Zustände auf dem Zwischendeck des Schiffes, mit dem sie übersetzte. Die Iren an Bord bezeichnet sie abfällig als „schweinische Menschen“. Mettlach erläutert, dass sie von Hunger gezeichnet gewesen sein dürften, von der Drangsal: „1845 hatte ein Pilz in Irland die Kartoffelernte vernichtet, eine schwere Hungersnot entstand, der die Armen durch Auswanderung nach Amerika zu entkommen versuchten.“

Im Briefwechsel tun sich Lücken auf. Mettlach entschied sich für die Romanform. „Ich hatte große Mühen, alles nicht so traurig enden zu lassen.“ Denn aus den Briefen sei viel Kummervolles hervorgegangen. Der jüngste Sohn Karl, geistig und körperlich behindert, starb an den Folgen einer Knieverletzung. An der Behandlung – der Bruch wurde mit einem Brett gestreckt – nehmen die Geschwister brieflich Anteil, geben Ratschläge. Mettlach hat eine Liebesgeschichte entworfen.

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