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Inzidenzwerte nachträglich korrigiertVerwirrung an der Corona-Front

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Für die Pandemiebekämpfung ist der reguläre Krisenstab des Kreises (Foto) nun nicht mehr zuständig. Landrat Stephan Santelmann hat einen neuen Corona-Stab gegründet.

Rhein-Berg – Mal werden falsche, dann gar keine, oft erst spät Infektionszahlen aus der Region gemeldet. Die Daten des NRW-Lagezentrums stimmen schon länger nicht mit den Meldungen aus dem Kreishaus überein. Dabei sind die Hürden 100, 150 und 165 der Inzidenz sowie die Zahl der Tage, an denen sie überschritten werden, inzwischen entscheidend für Verbote gemäß der „Bundes-Notbremse“.

Im Rheinisch-Bergischen Kreis pendelt die Sieben-Tages-Inzidenz seit einer Woche zwischen 140 und über 200. Noch am Freitag wurde für die Schulen Distanzunterricht angeordnet, am Sonntag schon wieder die Rückkehr zum Wechselunterricht erlaubt. Erst waren Geschäfte des nicht lebenswichtigen Bedarfs geschlossen, nun soll „Click und Meet“ wieder möglich sein. Exakte Daten sind daher wichtig. Die amtlichen Zahlen sind jedoch zunehmend unzuverlässig.

Organisations-Wirrwarr im Krisenstab

Die Verwirrung bei den Menschen in Leichlingen, Burscheid und den anderen GL-Kommunen wird dadurch immer größer, auch weil organisatorische Turbulenzen hinzukommen: Erst wird der Corona-Krisenstab stillgelegt, dann ein neues Gremium installiert. Weil die Öffentlichkeitsarbeit leidet, mischt neuerdings eine eigens engagierte Marketingagentur aus Düsseldorf bei der Präsentation der Lage mit.

Nach dem Rückzug von Kreisdirektor Erik Werdel als Leiter und von Birgit Bär als Sprecherin des Krisenstabs hat Landrat Stephan Santelmann die Corona-Pandemie zur Chefsache gemacht. Seitdem herrscht Durcheinander in der Krisenzentrale im Kreishaus. Der Höhepunkt der Irritationen trat am Wochenende ein: Nicht Pressestelle oder Krisenstab, nein, Behördenchef Santelmann persönlich versandte von seinem E-Mail-Account aus die Statusberichte zum Infektionsgeschehen an Medien und Bürgermeister.

Inzidenz nachträglich erhöht

Ebenso ungewöhnlich war, dass die für Verbote extrem wichtigen Inzidenzzahlen am Wochenende rückwirkend gleich zweimal nach oben korrigiert wurden, weil es große Diskrepanzen gab. Erst dadurch kam heraus, dass es am 18. April im Kreis einen neuen Rekordwert gegeben hat: eine Sieben-Tages-Inzidenz von 213. Das war bisher verborgen geblieben, weil an diesem Sonntag „wegen technischer Probleme“ überhaupt keine aktualisierten Daten gemeldet worden waren.

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Landrat Stephan Santelmann

Nach solchen Pannen mehren sich mittlerweile Zweifel an der Zuverlässigkeit der Datenlage und wird geargwöhnt, dass es beim Krisenmanagement hapert. Santelmann hingegen schob den Schwarzen Peter für die Datenfehler am Samstag nach Düsseldorf: Das Landeszentrum für Gesundheit habe seine „Verfahren hinsichtlich der Übermittlung der Corona-Inzidenzzahlen geändert“, erklärte er.

In den vergangenen Tagen wurde auch in den Sozialen Netzwerken im Internet aber zunehmend Kritik am Kreisgebahren geäußert. Stadt-Anzeiger-Leserin Iris Freundorfer aus Witzhelden zum Beispiel glaubt inzwischen nicht mehr an „technische Probleme“, sondern „dass die Zahlen ans LZG deshalb verzögert gemeldet werden, um die Grenzwerte für schärfere Maßnahmen so lange wie irgend möglich nicht zu erreichen.“

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Statt des regulären Krisenstabs übernimmt im Kreis momentan ein neuer „Corona-Stab“ die Koordination der Pandemiebekämpfung. Santelmann plant in dem Gremium eine „enge Zusammenarbeit des Lagezentrums, des Impfzentrums und des Landrats.“ Das Lagezentrum des Gesundheitsamts, das für die Nachverfolgung von Infektionsketten, Kontaktpersonen-Ermittlung und Quarantäne-Anordnungen zuständig ist, war auch im Krisenstab vertreten. Das Impfzentrum hatte der Landrat bereits zur Chefsache gemacht und es damit faktisch der Koordination durch den Krisenstab entzogen. Der neue Corona-Stab wirkt wie ein „Krisenstab light“, ohne feste Einbindung etwa der Pflegevertreter, des Kreisbrandmeisters, der Hilfsorganisationen und der Bevölkerungsinformation.

Streit im Krisenstab

Zur Frage, ob es wegen Unstimmigkeiten bei der Pandemiebekämpfung zum Streit zwischen ihm und dem Krisenstab gekommen sei, macht Santelmann keine Angaben. Sie dürften aber dazu beigetragen haben, dass der Landrat gerade jetzt – in einer wegen hoher Inzidenz-Werte besonders riskanten Situation – die Aufgaben neu organisiert. Unter anderem das von den Bürgermeistern vehement geforderte Aushebeln der NRW-Notbremse vor zwei Wochen war wie berichtet von den Experten im Krisenstab kritisiert worden und hatte wohl zum endgültigen Bruch geführt.

Die Lücken in der Öffentlichkeitsarbeit erklärt Santelmann mit „technischen Gründen“ sowie „urlaubsbedingten Engpässen“. Die Pressestelle des Kreises kooperiere eng mit dem Corona-Stab. Anfang der Woche war offenbar ein Großteil der Mitarbeitenden in der Pressestelle krankgeschrieben. Wohl auch deshalb ist die Unterstützung eines Marketing-Büros aus Düsseldorf hinzugezogen worden. Ob es dazu eine Ausschreibung oder eine Beteiligung der Politik gegeben hat, ist bisher ungeklärt.