Kseniias Tagebuch in Leichlingen„Mein Körper fühlte sich fremd und leer an“

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Kseniia Balabanova tanzt für ihr Leben gern und hat die Freude daran wiedergefunden.

  • Kseniia Balabanova (29) kommt aus der ukrainischen Stadt Charkiw, die seit Kriegsbeginn ein Zentrum der Angriffe ist.
  • Auf ihrer Flucht vor dem Krieg landete sie in Leichlingen und schreibt nun für den „Kölner Stadt-Anzeiger“.
  • Im dritten Teil ihres Tagebuchs schreibt Kseniia, wie sie durch den Krieg ihre Leidenschaft fürs Tanzen verlor – und wie sie sie wiederfand.

Leichlingen – Lange habe ich nicht verstanden, wo meine Stressreaktion bleibt. Einige haben Panikattacken, anderen können nicht schlafen. Aber ich? Ich schien einfach zu funktionieren. Aber erst als ich in Leichlingen, an einem sicheren Ort war, mich ein wenig ausgeruht hatte, habe ich gemerkt, dass ich nicht mehr tanzen konnte. Nicht einmal mehr Musik anhören konnte ich. Nun mögen einige sagen, das ist in Ordnung, nur eine Kleinigkeit. Wie könnte man im Krieg auch tanzen? Es ist eben keine Zeit für Hobbys.

Aber es ist nicht nur ein Hobby für mich. Ich tanze, seit ich fünf Jahre alt bin. Es ist ein großer Teil meiner Persönlichkeit, Ich habe immer getanzt, in jeder Stimmung und Gefühlslage, wenn ich müde war, Probleme oder Traumata hatte. Aber jetzt nicht.

Lesen Sie hier die zweite Folge von Kseniias Tagebuch

Wenn ich versuchte, zu tanzen, war da eine Art Widerstand in meinem Körper. Es fühlte sich an, als wären Tanzbewegungen etwas Verkehrtes, etwas, das ich nicht mehr tun kann. Etwas aus einem früheren Leben. Es war, als hätte mein Körper vergessen, Musik zu fühlen. Er war versteinert und leer. Ich habe es einem Freund aus der Ukraine erzählt und er sagt: „Komm schon, ich kenne dich. Du tanzt auch, wenn du am Boden liegst. Was soll das heißen, du kannst nicht mehr tanzen?“ Er ist Gitarrist, also versuchte ich, es ihm in seiner Sprache zu erklären: „Stell dir vor, du willst Musik spielen. Du hast eine Gitarre, du erinnerst dich daran, was man tun muss, um zu spielen, du weißt, welches Lied du spielen willst, du hast die Tabulatur dafür. Aber du kannst dich einfach nicht dazu bringen, die Saiten anzufassen.“

Salsa-Lieder wiedererkannt

Dieses Gefühl blieb für sechs Wochen. Aber Leichlingen, diese hübsche Stadt mit ihren wunderbaren Menschen hat mir geholfen, dadurch zu kommen. Hier habe ich einen Menschen kennengelernt, der hier nicht namentlich genannt werden möchte. Ein netter, freundlicher und warmherziger Mann, der viel für die Ukrainer hier tut. Er nennt mich immer „Freedom“ (Freiheit) – warum, weiß ich nicht, aber er mag es. Eines Tages nahm er mich im Auto mit zu einem Ausflug in den Wald. Er hatte eine spezielle Musikliste mit Salsa-Lieder erstellt. Er dachte, das würde mich glücklich machen und er hatte recht. Ich habe einige Lieder wiedererkannt und mich gefreut, sie zu hören. Aber der Widerstand in meinem Körper blieb.

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Dann traf ich Ramona. Sie leitet die „Step Touch“-Tanzschule in Leichlingen. Ramona ist hübsch, sehr aktiv und talentiert. Auch sie wollte helfen und bot mir an, in ihrer Tanzschule einen kostenlosen Kurs für Geflüchtete anzubieten. Das ist toll für die Menschen, den manchmal ist tanzen wie Therapie. Ich dachte, vielleicht beendet es meine Blockade, wenn ich ins Tanzstudio zurückkehre.

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Kseniia Balabanova fasst Fuß im Bergischen. Geflohen ist sie aus Charkiw in der Ukraine.

Die erste Stunde war emotional sehr hart, ich vermisse meine Schülerinnen und Schüler und mein eigenes Tanzstudio in Charkiw. Und ich hatte immer noch das Gefühl, fremd in meinem Körper zu sein. Es fühlte sich an, als müsste ich für jede Bewegung doppelt so viel Kraft aufbringen wie früher. Aber den Leuten hat der Kurs gefallen und so habe ich entschieden, ihn einmal pro Woche anzubieten, auch wenn es mir schwer gefallen ist.

Jetzt geht es mir viel besser. Ich weiß nicht genau, was der Auslöser war, aber eines Morgens bin ich mit dem Gefühl aufgewacht, dass ich jetzt dringend ein bisschen Musik brauche. Und Tanz. Ich fühle mich wieder lebendig.

Teil drei, übersetzt von Stefanie Schmidt. Weitere Artikel der Serie folgen.

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