Kseniias Tagebuch in Leichlingen„Deutsche zurückhaltend und kalt? Ich lag so falsch“

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Kseniia Balabanova fasst Fuß im Bergischen. Geflohen ist sie aus Charkiw in der Ukraine.

  • Kseniia Balabanova (29) kommt aus der ukrainischen Stadt Charkiw, die seit Kriegsbeginn ein Zentrum der Angriffe ist.
  • Auf ihrer Flucht vor dem Krieg landete sie in Leichlingen und schreibt nun für den „Kölner Stadt-Anzeiger“.
  • Im zweiten Teil ihres Tagebuchs schreibt Kseniia über Vorurteile und wie sie von den Menschen hier aufgenommen wurde.

Leichlingen – Danke, Deutschland! Wir haben ja alle unsere Vorurteile über Menschen, Länder, Geschlechter oder Nationalitäten. Ich dachte immer, Deutsche seien zurückhaltend und kalt. Oh mein Gott, ich lag so falsch.

Also ich angekommen bin, haben mich so viele Menschen gefragt: Wie geht es Dir? Was brauchst Du? Wie können wir helfen? Das habe ich nicht erwartet.

Zuerst war da Chris Smith, der mit der Organisation „Humanitycare“ viele Ukrainer nach Deutschland bringt, auch mich. Als ich ihn das erste Mal sah, dachte ich, er ist ein sehr ernster Mensch. Aber später habe ich gemerkt: Er ist zuverlässig wie ein Stein und warm wie ein Kaminfeuer. Bei allem, was er und seine Frau für uns tun, habe ich manchmal das Gefühl, sie nutzen Magie außerhalb von Hogwarts.

Lesen Sie hier den ersten Teil von Kseniias Tagebuch

Und dann traf ich Christian Helling von der Notfallseelsorge Düsseldorf. Mein erster Gedanke war: Sein Nachname klingt wie „healing“, das englische Wort für heilen. Und es passt zu ihm. Sein warmes Lächeln und die beruhigende Stimme hilft Menschen direkt, sich besser zu fühlen. Es scheint, er kann dich einfach umarmen und du kannst den ganzen Krieg für eine kurze Zeit vergessen.

Im Pilgerheim Weltersbach untergekommen

Ich lebe mit meiner Mutter und einer Freundin von ihr im Pilgerheim Weltersbach, wir haben unsere eigene kleine Wohnung. Es ist ein wunderschöner Ort mit tollen Menschen. Eines Tages fragte mich eine Frau auf Russisch: „Möchtest Du Russisch sprechen?“ Ich dachte, sie hätte sich in den Wörtern geirrt und wollte mich fragen, ob ich Russisch sprechen kann.

Ich sagte: „Ja, kann ich“. Und sie sagt: „Ja, aber möchtest Du?“ Und da habe ich es verstanden. Sie wollte wissen, ob es nicht schmerzhaft für mich sei, in der Sprache des Feindes zu sprechen. Ich war überrascht, dass sie sogar auf dieser sprachlichen Ebene über meine Gefühle nachdenkt, das ist unglaublich.

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Ich habe gesagt, dass Russisch für mich in Ordnung ist. Weil die Sprache mein Land nicht angegriffen hat, das machen nur Menschen. Ich habe auch keinen Groll auf russische Menschen im Allgemeinen. Charkiw ist nahe der Grenze, ich habe viele Freunde, die auf beiden Seiten der Grenze wohnen. Und wenn früher einer schrieb: „Heute Abend ist ein Party bei mir“, dann sind wir über die Grenze gefahren. Mein Hass gilt alleine den Angreifern.

Ich habe mit vielen Ukrainern gesprochen, die nach Deutschland gekommen sind, alle sagen das Gleiche über die Hilfsbereitschaft und Freundlichkeit der Deutschen. Ihr seid großartig! Vielen Dank dafür, die Ukraine wird das nie vergessen.

Teil zwei, übersetzt von Stefanie Schmidt. Weitere Artikel der Serie folgen.

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