Wolfgang Niedecken in Leverkusen„Ich bin nicht 100-prozentig begeistert von Dylan“

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Wolfgang Niedecken Archiv Leverkusen

Wolfgang Niedecken in seinem Archiv in Köln.

BAP-Frontmann Wolfgang Niedecken gastiert am 20. November in Leverkusen bei den Jazztage. Im Interview spricht er über das Glück von Indoor-Konzerte, Corona-Politik, Bob Dylan, seinen Auftritt in Leverkusen  und Karl Lauterbach.

Herr Niedecken, Sie waren kürzlich im Urlaub auf Kreta – und zwar während im rheinischen Derby Ihr FC gegen Bayer Leverkusen, den Verein aus der Jazztagestadt, spielte. Da haben Sie aber ein ziemlich unterhaltsames Spiel verpasst.

Wolfgang Niedecken: Sie sind aber gut! Das habe ich ganz sicher nicht verpasst! Wir haben uns hier schön raus auf die Terrasse gesetzt, „Sky Go“ angeschmissen – und waren verblüfft. Als Leverkusen nach 20 Minuten 2:0 führte, dachte ich schon: „Jetzt bitte nicht wieder so ein Schützenfest!“ Aber das Urvieh Baumgart, dieser ehrliche Typ, kann die Mannschaft richtig mitreißen. Sowas kennt man als FC-Fan gar nicht mehr.

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Denken Sie, als FC-Fan, denn bei einem Auftritt – gerade in Leverkusen – insgeheim auch immer an Fußball?

Ja. In meinem Dylan-Buch, aus dem ich an diesem Abend dann einige Auszüge lesen werde, kommt der Fußball ja auch an zwei Stellen vor. Und mindestens eine davon wird für Lacher sorgen. Das verspreche ich!

Sie erwähnen es: Bei den Jazztagen treten Sie lesend und musizierend mit ihrem Dylan-Programm auf. Dylan, Niedecken – und Jazz: Das ist schon eine wüste Mischung.

Ach, letztendlich hat der Jazz ja auch viel mit Blues und generell schwarzer Musik zu tun. Ich war zudem schonmal bei den Jazztagen zu Gast – seinerzeit mit der WDR-Bigband. Und mit der war und ist auch Mike Herting eng verknüpft, der mich auf der aktuellen Tour begleitet. Er arrangierte damals mit der Bigband mein „Niedecken Köln“-Album. Und er ist nun wirklich ein Jazzer. Einer der großartigsten, die in Köln rumlaufen obendrein. Ihn kenne ich sogar schon länger, als es BAP gibt. Dass muss man sich mal vorstellen! Er hat damals, als ich noch Kunst studierte, schon in den angesagtesten Jazzbands gespielt. Insofern kann man das durchaus machen. Und ich freue mich darauf. Vor allem aber freue ich mich, dass wir endlich auch wieder indoor auftreten können.

Konzert und Lesung

BAP-Chef Wolfgang Niedecken gastiert am Samstag, 20. November, um 20 Uhr im Erholungshaus bei den 42. Leverkusener Jazztagen. Er präsentiert ein Akustikkonzert rund um BAP und Dylan und liest aus seinem Buch „Bob Dylan“ (Kiwi-Verlag). Karten gibt es an allen Vorverkaufsstellen und im Internet. (frw) www.leverkusener-jazztage.de

Zum Beispiel im altehrwürdigen Erholungshaus.

Genau. Wissen Sie: Die Konzerte im Sommer waren ja – bis auf eines in der Elbphilharmonie – alle draußen. Und wir hatten als so kleine Produktion mit nur vier Leuten da schon sehr gemütliche, ganz nahbare Abende, weil wir ja letztlich mit allen Corona-Regelungen in den verschiedenen Bundesländern kompatibel waren. Das war so, als ob die Leute bei mir im Garten saßen. Jetzt geht es eben einen Schritt weiter – in mein Wohnzimmer. Und für die Zukunft hoffe ich, dass dann eine einheitliche Regelung gefunden wird. Am liebsten 2 G.

So wie jetzt bei den Jazztagen.

Genau. Denn es ist ja eine Zumutung für Gastronomen und Veranstalter, dass die Politik da nichts vorgibt und sie Abend für Abend Diskussionen führen müssen, wer nun reindarf oder nicht. Da kneift die Politik. Die machen sich einfach einen schlanken Fuß.

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Als Künstler machen Sie sich mit derlei klaren Statements zu Corona und Co. nicht nur Freunde – und wurden dafür in den vergangenen Monaten gerade in den sozialen Medien auch schon hart angegangen. Schauen Sie sich die ätzenden Kommentare dort eigentlich noch an?

Ja. Allein schon, um die zu löschen. Unsere Seiten sind ja nicht für irgendwelche Querdenker-Propaganda gedacht. Da bin ich auch nicht unterzukriegen und stehe für meine Meinung ein. Natürlich: Ich muss nicht zu allem meine Meinung kundtun. Meine Kernkompetenz ist nunmal die Musik. Aber an der Stelle fühle ich mich verantwortlich – für meine Band und meine Familie. Aber auch für die Gesellschaft. Wenn wir alle dazu schweigen, bringt uns das nichts. Gerade wir als Künstler müssen da Stellung beziehen.

Jemand, der diesbezüglich auch nie um ein Wort verlegen ist, ist der populäre und extrem polarisierende Leverkusener SPD-Politiker Karl Lauterbach. Der hat zuletzt sogar Fußballstar Joshua Kimmich vom FC Bayern, der sich bislang ja noch nicht geimpft hat, ein aufklärendes Gespräch angeboten.

Ja, das finde ich gut. Was ich allerdings unfair finde: Dass Joshua Kimmich so in die Öffentlichkeit gezerrt wurde. Es steht keinem Interviewer zu, nach einem Fußballspiel zu fragen, wer geimpft ist oder nicht. Das ist Privatsache und geht niemanden etwas an. Ich finde es sogar ehrenwert, dass er, den ich für einen integren Jungen halte, sich so ehrlich geäußert hat. Ihm wird es wohl selbst gewaltig stinken, dass er jetzt einer Partei wie der AfD Munition für deren Ansichten geliefert hat. Jetzt muss er eben nur noch aufgeklärt werden. Und ich denke, dass Karl Lauterbach für so etwas genau der richtige wäre. Ich kenne den Karl ja auch privat ganz gut.

Wie gut denn?

Wir sind mittlerweile befreundet. Ich habe ihn im vergangenen Sommer kontaktiert, weil er ein sehr, sehr kompetenter und vor allem geradliniger Politiker ist, der auch mal bereit ist, Überbringer der schlechten Nachricht zu sein. Viele Politiker sind ja nur taktierend unterwegs. Versuchen, sich immer dort rauszudribbeln, wo es Wählerstimmen kosten könnte. Das war ja zuletzt nicht anders: Wir hätten die erwähnte 2-G-Regel ja schon längst umsetzen können. Wenn eben nicht gewählt worden wäre. Da haben viele in der Politik – ganz banal gesagt – Eier vermissen lassen.

War Karl Lauterbach schonmal bei einem Ihrer Konzerte?

Ja. Bei dem Benefizkonzert für die Flutopfer an der Ahr. Und: Er war auch schon bei uns zuhause zum Essen.

Das ist interessant. Denn es ist ja ein offenes Geheimnis, dass Karl Lauterbach da sehr eigene Vorstellungen hat und auf Dinge wie Salz und Zucker verzichtet. Sprich: Das ist für die Gastgebenden eine Herausforderung.

Ja, aber meine Frau Tina hat sich da im Vorfeld echt schlau gemacht – und hat den Test bestanden. Das funktionierte sehr gut. Wenn es ihm nicht geschmeckt hätte, hätte er es mit Sicherheit gesagt.

Kommen wir nochmal zurück zu Dylan: Er kritisiert in seinen Songs immer wieder auch die US-Politik – so wie Sie das in ihren Songs mit der Politik hierzulande machen. Was denken Sie: Wird es nach der jüngsten Wahl weniger Grund für kritische Lieder geben?

Es wäre schön, wenn es so wäre. Aber lassen Sie uns nicht naiv sein… Immerhin: Es bietet sich jetzt tatsächlich die Chance für eine Veränderung. Das sage ich als Grüner, der ich seit jeher bin. Wohlgemerkt: Nicht als Parteimitglied. Das sollte man als Künstler nie sein, weil man sich dann irgendwann womöglich einer Parteiräson beugen muss. Und das wäre nicht gut. Als Künstler muss man frei denken und stets über den Tellerrand schauen. Aber ich habe die Grünen von Beginn an unterstützt, wenn es für sie um die Wurst ging.

In Ihrem Buch, aus dem Sie in Leverkusen auch lesen werden, schreiben Sie über Ihre jahrzehntelange Bewunderung für Dylan, dessen Werk unfassbar komplex und alles andere als leicht zu greifen ist. Nun will man die eigene Begeisterung für jemanden oder etwas ja am liebsten auf alle anderen Menschen übertragen – nach dem Motto: „Die sollen das, was ich toll finde, bitteschön auch toll finden!“ Wie versuchen Sie, all die Unwissenden dort draußen für Dylan zu begeistern?

Indem ich betone, dass ich eine gewisse kritische Distanz zu Dylan habe. Dass ich nicht zu einhundert Prozent begeistert von dem bin, was er da auf der Bühne bislang abgeliefert hat. Ich habe – Neben glücklicherweise wesentlich mehr grandiosen – wirklich furchtbare Konzerte von ihm gesehen! Und ich halte auch bei Weitem nicht alle Alben von ihm für gelungen. Dylan hatte teilweise große Einbrüche, während denen er nur Suboptimales abgeliefert hat. Er hatte auch sowas wie eine Midlife-Crisis, Mitte der 80er.

Wolfgang Niedecken Archiv Bob Dylan

Wolfgang Niedecken spielt vor einem Bild seines Idols Bob Dylan.

Ich kann den Leuten nur die wichtigsten Platten empfehlen, die sie von ihm hören sollten. Und ich kann sie darauf hinweisen: Dylan ist nachgewiesenermaßen der wirkungsmächtigste Poet der vergangenen 60 Jahre. Da gibt es sonst keinen. Wenn man sieht, was sich durch ihn verändert hat: Das ist immens. Sobald die Stones oder die Beatles ihn entdeckten, merkten sogar sie: Mit unseren bisherigen „Boy meets girl“-Texten ist angesichts Dylans Niveausprung nichts mehr zu holen.

In Ihrem Buch beschreiben Sie auch, wie Sie Dylan einst nach einem Konzert persönlich trafen. Wie kann man sich Wolfgang Niedecken denn bei Begegnungen mit eigenen Idolen vorstellen: nervös?

Ich habe das große Glück, viele meiner Helden kennengelernt zu haben: Bruce Springsteen, Joe Cocker, Keith Richards, Mick Jagger, Ray Davies von den Kinks. Und ich war nie nervös. Nur einmal: Als ich Hans Schäfer traf und mit ihm Fußball schauen durfte. Er war für mich schon als Kind ein Fußballgott gewesen! Und in diesem Moment wusste ich wirklich nicht, wie ich mich verhalten sollte. Übrigens: Der einzige Held, den ich mal kennenlernte, und der wirklich scheiße drauf war, war Chuck Berry. Mit ihm haben wir mit den Complizen mal beim gleichen Festival gespielt. Ich sah ihn backstage und dachte: „Gehst Du einfach mal hin.“ Der hat mich wie Luft behandelt. Aber: Er war bekannt dafür. So war er immer und zu jedem. Insofern war das nicht so schlimm.

Abschließend: Sie haben über die Jahre schon viele Dylan-Songs ins Kölsche überführt. Wenn der Meister nun einmal auf Sie zukommen würde mit dem Wunsch, einmal eines Ihrer Stücke nachzuspielen: Welches würden Sie ihm da ans Herz legen?

Vielleicht „Songs sinn Dräume“. Das spielen wir übrigens auch beim Konzert in Leverkusen. Es hat ganz viel mit Dylan zu tun, weil es auf einem Satz seiner Autobiografie basiert: „Songs sind wie Träume, die man wahr zu machen versucht. Sie sind wie fremde Länder, die man bereist.“ Ich glaube, damit könnte er auch tatsächlich etwas anfangen.

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