Chemiekonzern in LeverkusenBayer zahlt 28 Millionen Euro Steuern weniger

Die Bayer Konzern-Zentrale in Leverkusen
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Leverkusen – Dieses Jahr fehlen 28 Millionen Euro – die Hälfte dessen, was Leverkusens Kämmerer Frank Stein an Gewerbesteuer-Einnahmen eingeplant hatte. Die Konsequenz: Der Haushaltsplan für 2015 wurde ein Fall für den Papierkorb, ganz plötzlich. Heute soll der Stadtrat ein neues Budget beschließen. Es ist ein einziges Spardiktat für eine Stadt, in der Politik seit Jahren nur noch nach dem Prinzip „Von der Hand in den Mund“ gemacht wird. Vor allem, weil die große Geldquelle nicht mehr sprudelt, die unter dem Bayerkreuz angesiedelt ist. Um ein paar Sozialarbeiter in den Schulen zu bezahlen, sollte die Grundsteuer erhöht werden.
Die Ursache für die jüngste Misere war ein Gespräch bei Bayer. Dort wurde dem Kämmerer Ende September erklärt, dass er geben müsse statt nehmen. Eine Gewerbesteuer-Rückzahlung werde fällig. Eben jene 28 Millionen Euro. Der Konzern hatte gerade groß eingekauft; diesmal die rezeptfreien Arzneien von Merck und Co. aus den USA. Damit werden die Leverkusener zur Nummer zwei auf diesem Markt, haben aber auch gut zehn Milliarden Euro ausgegeben. Dass so etwas die Steuerlast erheblich drückt, liege auf der Hand, sagt Stein. Und dass das nicht gut ist für die Stadtkasse. Deutlicher wird der Kämmerer nicht, der sich schon glücklich schätzt, dass Bayer ihn überhaupt alle halbe Jahre zum Gespräch bittet. Steuergeheimnisse würde er nie lüften. Aber dass die „Monostruktur“ ihm das Kalkulieren und der Stadt das Überleben erschwert, macht er deutlich.
Aber es ist nicht nur das Fehlen der Steuern. An vielen Stellen in der Bayer-Stadt merkt man, dass sich die Dinge verändern. Dass man an der Kaiser-Wilhelm-Allee nicht mehr nur auf Leverkusen, Dormagen, Uerdingen und Wuppertal schaut. Sondern auf die Welt. Und dass das die Maßstäbe verschiebt. Zum Beispiel in der Vereinsförderung. Die funktionierte seit gut einem Jahrhundert nach dem Prinzip Gießkanne. Die Klubs waren ja auch alle auf Veranlassung von Bayer gegründet worden. Der Konzern gab immer reichlich. Doch vorbei. In diesem Jahr sind die letzten Euro an 20 Vereine im Umfeld der Werke geflossen, acht davon in Leverkusen. Es hat kleine wie große Klubs getroffen – mit 5000 Mitgliedern.
Jürgen Beckmann, Sprecher der Bayer-Sportförderung, sieht die Vereine gerettet: „Alle haben es geschafft, sich auf eigene Beine zu stellen.“ Das gilt für Leverkusen. In Uerdingen hat der Kanuclub mit dem großen SC Bayer 05 fusioniert. Drei Millionen Euro spart Bayer bei den Vereinen. In dieser Sparrunde – der dritten – ist das Geld direkt ins Unternehmen geflossen: Forschung, Entwicklung und Marketing. Letzteres gehört für Marijn Dekkers in die gleiche Kategorie wie die Entdeckung eines neuen Wirkstoffs.
Auch im Skiclub Bayer Leverkusen macht sich der Wegfall der Vereinsförderung schmerzlich bemerkbar. Wie viel genau fehlen wird, wollte der Vereinsvorsitzende Alfred Endlicher nicht sagen. Es seien aber mehrere zehntausend Euro, die der Skiclub vom Konzern erhalten habe und die kompensiert werden müssten. „Wir müssen überall sparen. Selbst in der Jugendförderung“, bedauert er. Statt 84 Euro müssen die Mitglieder mittlerweile 120 Euro Jahresbeitrag überweisen. Ein Betrag, der für viele zu teuer oder nicht nachvollziehbar ist. Auf die Beitragserhöhung folgte eine große Austrittswelle, knapp 200 Mitglieder verließen den Skiclub. Unter den verbliebenen 1300 sei die Stimmung ein wenig angespannt, so Endlicher. Ab 2015 gibt es keinen Cent mehr von Bayer. „Das bedauern wir sehr.“ Um alle finanziellen Herausforderungen weiterhin stemmen zu können, sucht der Skiclub nach einem neuen Sponsor. (cmi)
„Es kriegen doch nur noch Vereine Geld, die genug haben!“ Artur Taus, Geschäftsführer der Sportangler, ist ungehalten. Weil der Verein von einst 20 000 Euro jährlicher Förderung auf Null zurückfällt, müssen die Mitglieder statt 120 nun 130 Euro jährlich bezahlen, „leider mussten wir die Beiträge auch für Jugendliche und Rentner anheben“. Das habe für Unmut gesorgt, einige Mitglieder seien ausgetreten.
Grundsätzlich könne man die Geschäfte trotz wegfallender Förderung weiterführen. Aber der 955 Mitglieder starke Verein muss und will trotzdem sparen. Denn erstens sei die Miete mit 6500 Euro im Jahr mittlerweile zu hoch und zweitens gehörten die Räume dem Bayer-Konzern. „Wir brauchen eine bessere Planungssicherheit“, so Artur Taus. Die Stimmung im Verein sei trotzdem nicht schlecht. Und auch die Beziehung zu Bayer nicht. „Wir hatten immer ein gutes Verhältnis. Und die Vereinsbetreuung ist auch jetzt noch gut.“ (cmi)
Auch der Luftsportclub Bayer Leverkusen muss ohne Zuschüsse seines Namensgebers auskommen. Eine große Herausforderung, wie Thomas Steffens, der Vereinsvorsitzende, sagt: „Wir haben einen sehr hohen Fixkostenblock.“ Der Luftsportclub müsse sich schließlich an gesetzliche Sicherheitsverordnungen halten.
Die rund 600 Mitglieder übernehmen einen Großteil der Verwaltungsarbeit inzwischen selbst. Die teure Flugzeugwartung oder die Instandhaltung des Flugplatzes hingegen müssen nach wie vor professionell durchgeführt werden. Und das kostet. Steffens spricht von einem „sehr harten Einschnitt.“ Gerade was das soziale Engagement angehe, müsse der Luftsportclub (einer der größten Deutschlandweit) kürzer treten. Bei Flugveranstaltungen wird man künftig Eintritt kassieren müssen.
Für die jahrelange Förderung sei man Bayer dankbar. Den Vereinsnamen wolle man aus dem Grund weiter führen. (cmi)
Mit 50 Mitgliedern zählt der Schachclub Bayer Leverkusen zu den kleineren Vereinen. Den Rückzug des Bayer-Konzerns bekommen die Schachfreunde umso deutlicher zu spüren.
Knapp 10 000 Euro hat der Club früher jährlich von seinem Hauptsponsor erhalten. Als die Kürzung bekannt wurde, sei das „übel angekommen“, erinnert sich der Vereinsvorsitzende Michael Axmann. „Die Enttäuschung war groß. Aber wir haben uns darauf eingestellt, ab 2015 ohne Förderung auszukommen.“ Während Bayer das Sponsoring in Drittelschritten zurückfuhr, musste der Schachclub seine Mitgliedsbeiträge um zwei auf acht Euro monatlich erhöhen. Trotzdem fehlen ab 2015 jährlich knapp 1000 Euro in der Vereinskasse.
Um Kosten einzusparen, muss sich der Schachverein in der Schulstraße 34 mittlerweile die Räume mit dem Verein für Aquarien-, Terrarien- und Naturkunde Bayer Leverkusen teilen. (cmi)
Unter dem ersten Bayer-Chef ohne Stallgeruch sei sowieso manches anders geworden, sagen viele. Der Niederländer mit der Karriere in den USA hat soeben den nächsten Tabubruch vollzogen: Die traditionsreiche Kunststoff-Sparte wird abgespalten. Sie hat nicht genug Rendite gebracht, strukturelle Probleme sind absehbar auf den Märkten von Bayer Material Science. Wie so etwas aussieht, wissen die Leute bei Lanxess, Bayers ausgegliederter Chemie-Sparte. Die streicht 1000 Jobs. Die Kunststoff-Produktion, der Bayer jetzt den Laufpass gibt, war im konzerninternen Rennen um Investitionen ins Hintertreffen geraten. Das hat der Vorstand den Betriebsräten klar gemacht.
Erpressung? Für so ein Wort ist Thomas de Win zu sehr Pragmatiker. Der Vorsitzende des Gesamtbetriebsrats hält es wie seine Vorgänger: gestalten, was nicht zu ändern ist. „Eine ideologische Verweigerungshaltung hätte nur Fragen und keine Antorten hinterlassen“, sagt er. Also wird bei der Abspaltung für die Belegschaft gerettet, was zu retten ist: Bis Ende 2020 sind betriebsbedingte Kündigungen ausgeschlossen, die Zentrale der Kunststoff-Sparte darf nicht umziehen, Investitionen werden festgeschrieben. Das ist langsames Ausschleichen, damit hat man Erfahrung. Das ist „Bayer-like“, sagt de Win.
„Bayer-like“ wurde auch die Vereinsförderung gekappt _ sachte über drei Jahre. Jedes Jahr eine Million weniger. Aber am Ende ist wieder etwas von dem verschwunden, was in der Stadt als „Carl Duisbergs Erbe“ beschworen wird. Des Mannes, der nicht nur als Baumeister des Bayer-Konzerns zu gelten hat, sondern auch des Gemeinwesens Leverkusen. „Duisberg würde sich im Grab umdrehen“, sagt Jörg-Udo Schmitz, oppositioneller Gewerkschafter. Er spricht aus, was Leverkusens Kämmerer nur aus Höflichkeit nicht über die Lippen kommt: „Die Stadt hat die Arschkarte.“