„Der Stress ist da“In Leverkusen droht wegen Energiepreisen weitere Überschuldung

Lesezeit 4 Minuten
Gaspreis Leverkusen Symbolbild

Hohe Energiekosten, Inflation: Das hat Auswirkungen.

Leverkusen – „Der Stress ist da“, sagt Thomas Raddatz. Und zwar für seine Kunden. Der 61-Jährige arbeitet für die Schuldnerberatung der Diakonie in Wiesdorf, und sieht, dass durch die steigende Inflation und die hohen Energiepreise durch die Ukraine-Krise viele in Bedrängnis geraten. Bis zu 1000 Euro an Nachzahlung würde teils verlangt, erzählt er, der Abschlag wird erhöht, das setzt die Menschen unter Druck. Sein Chef Thomas Holtzmann stimmt zu: „Die 300 Euro sind eine Hilfe, ja, aber nur ein Tropfen auf den heißen Stein, es wird nicht reichen.“ Und das sei erst die Nachzahlung für 2021, gibt er zu bedenken.

Die Schuldnerberatung der Diakonie hat im Jahr 2021 355 Personen beraten. Meist kommen Leute zwischen 30 und 50 Jahren hierhin, in der Phase der Familiengründung, wo „man versucht, sich was zu leisten“, so Raddatz, oder wo man probiert, selbstständig zu werden. Männer und Frauen kommen zu gleichen Teilen, die meisten sind ledig, kann man aus der Statistik lesen.

LE_Finanzcoach-Diakonie_03

Thomas Raddatz arbeitet als Schuldnerberater bei der Diakonie in Wiesdorf.

Corona hat es verschärft: In der Pandemie habe es viele Einkommensrückgänge gegeben, erklärt Raddatz. Trotzdem sagen Zahlen der Unternehmens Creditreform, dass sich die Überschuldungsquote in Leverkusen im Jahr 2021 im Vergleich zum Vorjahr verringert hat, von 11,92 auf 10,78 Prozent. Eine Einschätzung, die Thomas Raddatz nicht optimistisch stimmt, es „bleibt insgesamt auf hohem Niveau“.

Gerade zu Beginn des Jahres seien der Diakonie viele Fälle aufgefallen, in denen staatliche Coronahilfen nicht zurückgezahlt und nun zurückgefordert wurden. „Die Leute sind keine Betrüger, sie haben es einfach nicht verstanden“, sind sich die Berater einig. Dann stehe im Kleingedruckten, dass die Regelung nur für betriebliche Ausgaben gelten und man Nachweise erbringen soll. Das überfordere viele, so Thomas Raddatz. Seine Vermutung: Das habe auch deshalb zugenommen, weil es immer mehr scheinselbstständige Jobs gibt. Durch Kurierdienste in verschiedenen Branchen, ob Paket oder Essen. Das habe in den vergangenen zehn Jahren deutlich zugenommen.

Lösung nach meist einem Quartal

Knapp drei bis vier Monate dauert es meist, bis eine Lösung gefunden wurde. Ein Großteil der Kundinnen und Kunden geht in die private Insolvenz. Doch es gibt auch Varianten, wo es mit einer Einmalzahlung, einer Art Vergleich, abgegolten ist, oder wo die Schuldnerberatung für die Klienten günstige Ratenzahlungen aushandelt.

Das Schwierige: Die Menschen würden erst zur Beratung kommen, wenn sie verzweifelt sind. „Wir sind froh, wenn die Leute bei 1000 bis 2000 Euro Schulden kommen“, sagt der Diakonie-Chef Thomas Holtzmann. In einer Spannweite bis 10.000 Euro bewegt sich dann auch ein Drittel der Schulden, das zweite Drittel geht bis 25.000 Euro und das letzte dann über 50.000 Euro.

Das könnte Sie auch interessieren:

Manche hätten komplett den Überblick über ihre Finanzen verloren. Auffällig ist bei den Analysen: Es werden immer mehr Gläubiger. „Es wird aggressiv um Kredite geworben“, betont Holtzmann. „Sie brauchen nicht mehr in den Laden gehen, um sich zu verschulden.“ Das Internet macht's möglich.

Neue Finanzcoaches ausgebildet

Die Diakonie versucht dem entgegenzuwirken, man geht in Schulen, bietet Sprechstunden in Quartieren und Stadtteilläden an. Jetzt sollen ab Ende April auch neue Finanzcoaches ausgebildet werden, Ehrenamtler, die die Berater unterstützen – beispielsweise ein ehemaliger Controller von Bayer und ein ehemaliger Banker, ehrenamtlich. Doch man muss keinen Finanz-Hintergrund haben, um tätig zu werden. „Wir bilden keine Bankberater aus“, betont Thomas Raddatz. Es gehe darum, die Menschen zu begleiten. Die Finanzcoaches müssten natürlich nicht alles selbst machen, sondern die Arbeit der Berater ergänzen.

Berater Raddatz geht davon aus, dass es genügend Arbeit für die Ehrenamtler geben wird. Die aktuellen Preissteigerungen seien ein Problem für die Menschen. Der gelernte Sozialarbeiter befürchtet: „Das, was gerade passiert, hat nochmal einen Schwung Überschuldung zur Folge.“

So wird man Finanzcoach:

Im Vordergrund steht das Interesse am Thema „Umgang mit Geld“, schreibt die Evangelische Kirche. Es geht nicht darum, Spezialwissen rund um Geldanlagen zu haben, sondern vielmehr um Unterstützung, Beratung und Begleitung im Alltag, insbesondere bei Fragen wie man mit seinem Einkommen auskommt.

Oftmals könne den Hilfesuchenden schon im ersten Beratungsgespräch eine große Last genommen werden, wenn bei einer Situationsanalyse beispielsweise die Pfändungsgrenzen ausgerechnet werden. Der Ausbildungskurs (grundsätzlich kostenlos, Gebühr von drei Euro wird erhoben) findet in Kooperation mit dem Evangelischen Familien- und Erwachsenenbildungswerk statt, dort erhalten die Teilnehmenden das notwendige Handwerkszeug wie Vergleichs- und Orientierungsgrößen für die Budgetberatung, Schuldenanalyse, Steuerungsinstrumente zur Schuldenregulierung und, bei einer vorgeschalteten Orientierungsphase, Methoden und Techniken zur Gesprächsführung und persönlichen Strategieplanung.

Außerdem liegt ein Schwerpunkt in der Planung und Entwicklung eines eigenen Projektes, zum Beispiel Nutzung digitaler Medien oder Erschließung von neuen Zielgruppen wie ältere Mitbürger-innen und Mitbürgern. Die Ausbildung umfasst 40 Unterrichtsstunden, mit sechs ganztägigen Modulen, und schließt mit einer Zertifikatsübergabe ab. Los geht es mit der Ausbildung am 29. April. Eine verbindliche Anmeldung ist erforderlich. Geschult wird im Diakonischen Werk in der Pfarrer-Schmitz-Straße 9 in Wiesdorf.

KStA abonnieren