Früherer Bayer-Kultur-Chef„Wir müssen uns auf Werte besinnen“

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Von 1986 bis 2008 war Nikolas Kerkenrath der Chef der Bayer Kultur mit ihrem Erholungshaus.

  • Über 20 Jahre lang leitete Nikolas Kerkenrath die Bayer-Kultur.
  • Heute verfolgt er von seinem Wohnort Paris aus noch immer Leverkusens Kulturbetrieb.
  • Im Interview verrät, was er von seinen Nachfolgern im Erholungshaus hält.

Leverkusen – Nikolas Kerkenrath war von 1986 bis 2008 Leiter der Bayer-Kultur, die er auf eine neue, internationale Stufe hob. An diesem Freitag wird er 80, lebt in Paris – und hat Leverkusen nach wie vor im Blick, wie er im Gespräch verrät.

Herr Kerkenrath, wie geht es Ihnen anlässlich Ihres 80. Geburtstages?

Ich sitze, wie alle, daheim und gehe nicht aus meiner Wohnung. Und mit der Zahl 80 kann ich nicht umgehen. Ich habe das Gefühl, ich passe nicht zu ihr und sie passt nicht zu mir. Wir gehen uns so ein bisschen aus dem Weg. Aber das hat nichts mit Eitelkeit oder Angst zu tun. Ich konnte mit derlei Zahlen noch nie etwas anfangen.

Die Welt steckt in der Coronakrise. Auch viele Kulturschaffende stehen vor dem Aus. Wie sehr betrübt Sie das?

Das muss man differenziert sehen. Ich könnte mir vorstellen, dass vor allem ein Großteil der kommerziell aufgestellten Großveranstalter Probleme haben wird. Aber dass traditionelle Institutionen – traditionell in Bezug auf Gehalt, nicht auf Rückwärtsgewandtheit – wie Orchester oder Schauspielensembles weiterbestehen und aufholen werden. Und wenn es uns gelingt, von diesem ganzen Massen-Tralala ein bisschen wegzukommen, hin zu Werten, die nur ein Shakespeare, Beethoven oder Picasso vermitteln können, dann ist das gut. Denn das ist seit 200 Jahren unsere kulturelle Basis. Nicht der Schnickschnack, der uns massenweise angeboten wird.

Gegen diese „Eventkultur“ schimpften Sie auch 2008 schon – beim Interview zu Ihrem Abschied aus Leverkusen. Geändert hat sich seitdem nicht wirklich etwas, oder?

Nein. Es ist mehr geworden. Und ich habe schon wesentlich früher immer wieder darauf hingewiesen. Das ist ein ernstes Thema. Weil mit diesem ganzen instrumentalen Zeug wie Playstations und dergleichen nämlich vor allem die Jugend beeinflusst und deformiert wird. Das stelle ich auch hier in Frankreich fest. Wie sehr man den jungen Menschen einen Fraß vorgeworfen hat, der süchtig macht. Womit wir wieder beim Virus sind: Vielleicht führt diese Zeit der Krise auch dazu, dass wir erkennen: Es gibt andere Werte als diese mechanisierte, billige und hoch gefährliche Art der Unterhaltung.

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Von 1986 bis 2008 war Nikolas Kerkenrath der Chef der Bayer Kultur mit ihrem Erholungshaus.

Wie intensiv verfolgen Sie die Kultur in Leverkusen noch?

Sehr. Ich lese viel, was aus Leverkusen kommt. Ich kenne die Krise in Morsbroich. Ich merke aus der Ferne, wie schwach die Stadt kulturpolitisch besetzt ist. Ich habe darunter gelitten, dass der ehemalige OB Kulturmillionen in die Neue Bahnstadt umleiten konnte – und der Kulturausschuss diese Entscheidung mittrug. Kurz: Ich merke, wie sehr mir dieses verdammte Leverkusen immer noch nahegeht.

Wie beurteilen Sie Ihre beiden Nachfolger als Chefs der Bayer-Kultur?

Ich war erleichtert, als dieser Alptraum Volker Mattern endlich zu Ende war. Er hatte zwar gute Ansätze – etwa die Förderung der jungen Künstler und die Kooperation mit dem Ensemble L’arte del Mondo. Aber als dann seine Nabelschau, diese Megalomanie und dieses unprofessionelle Verhalten losgingen, war es Zeit, das zu beenden.

Es kam ein Thomas Helfrich, den seinerzeit niemand kannte. Und das war gut. Er blies frischen Wind in die Segel. Er hat meines Achtens nach ein sehr gutes Kulturverständnis, ist intelligent, lebendig, gewieft. Und: Er kommt aus dem Bayer-Stall. Was von Vorteil ist, denn: Bayer hat sich sehr verändert. Dieser Veränderung muss er die Kulturstruktur anpassen – und scheint einen Weg gefunden zu haben. Er hat damals alle zusammengenommen und gesagt: „Wir sind eins.“ Ich würde mich freuen, wenn das einmal auf die städtische Seite abfärbte.

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