Jungwähler erzählen„Ich fühle mich von den Parteien einfach nicht ernst genommen“

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Laura Sofie Gajowski

Laura Sofie Gajowski

  • Wie ist es als junger Mensch vor der Kommunalwahl? Interessieren sich Jüngere für Politik vor Ort oder gar nicht?
  • Laura Gajowski und Timon Brombach haben uns ihre Sichtweise erzählt.

Leverkusen – Am 13. September stehen die Kommunalwahlen in Leverkusen an. Wir haben bei zwei jungen Wählern nachgehört, welchen Stellenwert die Kommunalpolitik für sie hat und welche Themen sie besonders beschäftigen. Timon Brombach (18) und Laura Gajowski (19) haben beide dieses Jahr ihr Abitur gemacht. Für Timon ist die kommende Kommunalwahl die erste Wahl, an der er selbst teilnehmen darf, Laura durfte bereits letztes Jahr erstmals ihre Stimme abgeben. Zur Wahl zu gehen finden beide wichtig, doch in einigen Punkten vertreten sie sehr unterschiedliche Standpunkte.

Gehen Sie wählen? Timon Brombach: Ich habe mich tatsächlich schon lange auf das erste Mal „Kreuz setzen“ gefreut, daher gehe ich natürlich wählen und ich würde es auch jeder und jedem sonst dringend raten. Nichtwählen ist, das muss ich einfach so sagen, das Schwarzfahren in unserer Demokratie. Laura Gajowski: Dieses Jahr werde ich auf jeden Fall wieder zur Wahl gehen. Ich finde es sehr wichtig, seine Stimme zu nutzen, damit nicht die falsche Partei, wie beispielsweise die AfD, gewählt wird. Ich finde zwar, dass die AfD eine der wenigen Parteien ist, die wirklich etwas verändern will und wichtige Themen anspricht. Allerdings gibt es einige signifikante Punkte in ihrem Wahlprogramm, weshalb man die Partei meiner Meinung nach in keinem Fall wählen sollte.

Timon Brombach

Timon Brombach

Fühlen Sie sich von den Kandidaten gut vertreten? Bilden die Programme der Parteien Ihre Meinung angemessen ab? Timon Brombach: Natürlich wird es in den seltensten Fällen eine Partei geben, die die eigene Meinung zu 100 Prozent abbildet. Gibt es für mich auch nicht. Wie soll das auch gehen, bei so vielen unterschiedlichen Menschen mit unterschiedlichen Interessen? Wenn man so will, muss die Entscheidung also für das kleinste Übel getroffen werden. Es gibt genug Parteien, die wir gut wählen können, aber ich kann auch gut verstehen, dass sich junge Menschen allgemein trotzdem schlechter mit einer von ihnen identifizieren können. Da müssen die Parteien jetzt aber immer mehr nachsteuern – und vor allem müssen junge Leute in Parteien eintreten. Ich bin dankbar für jeden Jugendlichen, der sich in einer Partei oder einem Jugendverband engagiert, wenn diese für eine offene Gesellschaft stehen. Parteiarbeit ist total wichtig. Laura Gajowski: Nein, leider nicht. Ich habe das Gefühl, dass viele Parteien nicht darauf achten, was realistisch ist, zum Beispiel, was die Flüchtlingsfrage betrifft. Viele versuchen sich als Gutmenschen darzustellen, da sie denken, dadurch sympathischer zu wirken und so mehr Stimmen zu bekommen. Das sollte jedoch nicht das Ziel einer Partei sein. Zudem habe ich das Gefühl, dass junge Leute von den Parteien nicht ernst genommen werden. Auch schade finde ich, dass in Leverkusen nur eine einzige Frau als Oberbürgermeisterin kandidiert. Kürzlich habe ich ein Foto geschossen, das dieses Ungleichgewicht gut darstellt: An einer Straße hängen die Wahlplakate der verschiedenen Kandidaten, nur das Plakat der FDP-Kandidatin und einzigen Frau unter den OB-Anwärtern, Monika Ballin-Meyer-Ahrens, wird von einem Vorfahrtsschild verdeckt.

Wahl2014-Leverkusen-01

Wie intensiv beschäftigen Sie sich im Vorfeld zu den Kommunalwahlen mit den Parteiprogrammen? Timon Brombach: Gerade die Kommunalwahl erfordert eine sehr intensive Beschäftigung im Vorfeld mit den Parteiprogrammen, da es hier oft auch um sehr konkrete spezifische Projekte geht. Die grundlegenden Positionen und Tendenzen sind aber ja eigentlich ziemlich klar. Vor allem für politisch nicht so interessierte Bürgerinnen und Bürger kann es sehr schwierig sein, einen umfassenden Überblick zu bekommen. Ein Traum wäre eine große Tabelle, in der die entscheidenden Positionen und Projekte knapp gegenübergestellt werden, so dass diese für jede und jeden zugänglich werden. Laura Gajowski: Letztes Jahr, als ich das erste Mal selber wählen durfte, wollte ich mich gerne gründlich informieren, um wirklich die richtige Partei zu wählen. Ich bin dann zu den Ständen der Parteien gegangen und habe nach den wichtigsten Punkten ihres Programms gefragt. An einem Stand der SPD wurde mir dann allerdings nur gesagt, dass ich mir das alles doch einfach im Internet durchlesen könne, schließlich hätte ich doch wohl eine Internetverbindung. Sie haben mich aufgrund meines jungen Aussehens einfach sofort „abgelehnt“. Dieses Jahr informiere ich mich trotz meiner negativen Erfahrung vorab, zu den Wahlkampfständen gehe ich allerdings nicht mehr. Ich fühle mich von den Parteien einfach nicht ernst genommen.

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Welche Themen stehen für Sie persönlich besonders im Vordergrund? Welche Probleme bewerten Sie am drängendsten hier in der Stadt Leverkusen? Timon Brombach: Ein übergeordnetes Gemeinwohl ist für mich das erstrebenswerteste Ziel. Mich stört es, wie viele Menschen sich gegenseitig ganz egal sind. Daher stehen natürlich Themen wie Integration, Inklusion und Antidiskriminierung für mich im Vordergrund. Fortschritte in den Bereichen zu erzielen gelingt wohl in erster Linie über Bildung. Da kann man sowieso nie genug Geld reinstecken und fördern. Unsere Schulen sind super wichtig und leisten großartige Arbeit und dann ist es doch schade, dass zurecht viele Schülerinnen und Schüler sich quasi lustig darüber machen können, dass die Wände bröckeln, weil die Stadt Leverkusen kein Geld für sie hat. Digitalisierung ist hier auch ein Stichwort, wo es jetzt an der Zeit ist, mit mutigen Konzepten voran zu gehen. Außerdem stehen für mich noch das Klima und Nachhaltigkeitsthema weit im Vordergrund. Kostenloser ÖPNV, Ausbau von Fahrradwegen und von Wupsi-Rad-Stationen sind hier nur Beispiele für erstrebenswerte schöne Maßnahmen. Als richtig dringend für Leverkusen empfinde ich persönlich auch den Internetausbau, die Sauberkeit in der Stadt und die Ämter, die ja mit niemandem im Wettbewerb stehen und wirklich leider einen grottigen Job machen. Alle die, die vor allem in Zeiten der Pandemie dort den Antrag auf ein erweitertes Führungszeugnis, einen Ausweis, oder noch schlimmer, einen Führerschein gestellt haben, wissen, wovon ich spreche. Da werden junge Wählerinnen und Wähler vergrault! Laura Gajowski: Im Moment steht für mich vor allem das Thema Corona sehr im Vordergrund. Besonders, da ich dieses Jahr mein Abitur gemacht habe, habe ich mitbekommen, wie unterschiedlich die Ansichten der verschiedenen Parteien darüber waren, ob die Oberstufenschüler noch mal in die Schule kommen dürfen oder nicht. Solche Entscheidungen finde ich natürlich auch für die Zukunft weiterhin sehr wichtig. Lokal finde ich es wichtig, dass die Umwelt mehr Beachtung findet. Ich wohne in Lützenkirchen, hier gibt es kaum Mülltonnen, daher ist es hier ständig richtig dreckig. Überall liegt Müll, besonders auch an den Kindergärten, das finde ich wirklich schlimm.

Wie nehmen Sie das Politikinteresse in Ihrem persönlichen Freundeskreis wahr? Timon Brombach: Das Politikinteresse in meinem Freundeskreis variiert sehr stark. Natürlich gibt es auch viele, denen das alles ganz egal ist, aber ich habe durchaus auch viele Freundinnen und Freunde, mit denen ich vorzüglich politisch streiten kann, was wir, was viele wohl nicht erwarten würden, auch zum Spaß regelmäßig tun. Und diese Diskurse bringen uns dann gegenseitig immer weiter. Aber ich möchte an der Stelle wirklich noch mal ausdrücklich eine Lanze für junge Leute brechen, denn vor allem aufgrund meiner Tätigkeit als Schülersprecher in der Vergangenheit kann ich sicher sagen, dass es einen positiven Trend gibt, was das Politikinteresse von immer jüngeren Leuten angeht. Jetzt liegt es in der Hand der Politiker, uns gut einzubeziehen, denn von unserer Seite ist der Schritt getan. Ich blicke da in eine sehr positive Zukunft, in der beide Seiten viel voneinander lernen werden. Laura Gajowski: Ich muss ehrlich sagen, dass in meinem Freundeskreis kein besonders großes Interesse an Politik vorhanden ist. Soweit ich weiß, geht auch niemand von meinen Freunden wählen.

Das Gespräch führte Rebecca Lessmann

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