Kampf gegen PollenMediziner bekämpft Allergien selbst mit Naturheilkunde
Leverkusen – Viele geraten wegen Katzenhaaren ins Schniefen, mancher bekommt Atemprobleme, wenn er Nüsse oder Äpfel isst, die meisten leiden aber unter Heuschnupfen. 15 Millionen Frauen und zehn Millionen Männer sollen sich in Deutschland mit Allergien herumschlagen. Also fast jeder dritte Einwohner. Gegenmittel sind ein Riesengeschäft, könnte man meinen, und doch verkauft die Pharmaindustrie etliche Medikamente gar nicht erst.
Teuere Herstellung
Denn die Herstellung ist teuer, seltene Arzneien werden kaum nachgefragt, der Gewinn wäre nicht hoch genug. Noch vor fünf Jahren war das anders, da konnten Ärzte wie Norbert Mülleneisen 3000 verschiedene Testlösungen mit auch seltenen Allergien auslösenden Substanzen beziehen. Dann gab es verschärfte Vorschriften für die Herstellung. Verlangt wurden andere Standards für Sterilität, Haltbarkeit und Qualität.
Die Folge: Einstellung der Produktion. Seither fehlen zum Beispiel Lösungen für Latex, Flieder, Hanfpflanzen, Eiben und Thujabäume. Als der Rheindorfer Allergologe einen Patienten mit Verdacht auf eine Eiben-Überempfindlichkeit hatte, griff er zur Selbsthilfe und begann, sein eigenes medizinisches Handwerkszeug in der Natur zu sammeln. Die Eibe entlässt ihre gesamten Pollen in manchen Jahren innerhalb von nur drei Tagen im Frühjahr. In dieser kurzen Zeit gilt es, möglichst viel vom wertvollen Blütenstaub zu ernten.
Kein Verfahren ohne Bürokratie
Meist übernahm Mülleneisens Frau Ulrike diesen Job auf der Alu-Trittleiter an einer Eibe vorm Haus. Die Blüten werden dazu in ein Marmeladenglas gehängt und kurz gerüttelt. Eine zeitraubende Arbeit, denn es bedarf vieler Erntevorgänge, bis sich eine wenige Millimeter dicke Staubschicht auf dem Glasboden gebildet hat. Die Pollen müssen von anderen Pflanzenteilen gereinigt werden; aus dem wertvollen Staub rührt Mülleneisens Hausapotheker dann die gebrauchsfertige und sterile Lösung an.
Davon wird den Patienten ein Tröpfchen unter die Haut geritzt. Wenn sich Quaddeln bilden, ist der Beweis für die eher seltene Eiben-Allergie erbracht. Das ist der sogenannte Pricktest. Aber es gibt kein Verfahren in Deutschland, das ohne Bürokratie auskäme: Ärzte, die sich behelfen, indem sie Patienten mit echten Nahrungsmitteln oder eben einer selbst gemischten Lösung testen, müssen das beim Regierungspräsidenten anmelden. Mülleneisen machte vor sieben Jahren von sich reden, als er auf dem Dach seiner Rheindorfer Praxis eine Pollen-Falle aufstellte. Mit dem Gerät lässt sich messen, welche Pflanzen ihren Blütenstaub wann abgeben. Übrigens lösen ausschließlich Pflanzen, die über den Wind bestäubt werden, Allergien aus.
Nicht nur Patienten-Wellen lassen sich mit diesen Werten vorhersagen, auch andere Schlüsse lässt die Pollenzählung zu: „Offenbar pflanzt in unserer Gegend kein Landwirt mehr Roggen an“, sagt Mülleneisen, dem neuerdings kein Staub von dieser Getreideart mehr in die Falle geht. Der Lungenarzt beschäftigt sich dabei nicht nur mit den natürlichen Quellen für die Asthma-Leiden seiner Patienten – vom Straßenverkehr verursachter Feinstaub ist ebenfalls eines seiner großen Themen. Beim Stichwort Autobahnausbau bilden sich denn auch tiefe Falten auf Mülleneisens Stirn: Eine noch höhere Feinstaubbelastung der Autobahnanwohner Leverkusens durch den geplanten Ausbau hält der Mediziner für hochgefährlich.