Tanja Maljartschuk will sich seit Kriegsausbruch nicht mehr selbst als Autorin bezeichnen, ihre Lesung in Leverkusen betrachtet sie als Beitrag zur Völkerverständigung.
Lesung mit Tanja MaljartschukEine tief be- und getroffene Ukrainerin in Leverkusen

Die ukrainische Autorin Tanja Maljartschuk liest am 28. September im Katholischen Bildungsforum Leverkusen.
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Der 24. Februar 2022 bedeutete eine Zäsur für alle. Der Tag, an dem der russische Despot Wladimir Putin seinen Angriffskrieg auf die Ukraine begann, zeigte, wie nah der Wahnsinn des Krieges, wie nah der Wahnsinn von Menschen, die Macht innehaben und nach noch mehr Macht streben, vor der eigenen, der mitteleuropäischen Haustüre liegt. Vor allem aber bedeutete er für die Menschen in und aus eben der Ukraine eine Zäsur. Für Menschen wie Tanja Maljartschuk. Sie ist Autorin. Sie liest demnächst in Leverkusen aus ihren Büchern.
Und sie tut das ganz offensichtlich nicht mehr aus den Motiven, die Bücherschreibende normalerweise verfolgen – etwa Werbung für die eigene Sache. Nein: Sie tut es als jemand, dessen Existenz auf den Kopf gestellt wurde, dessen Überzeugungen und Prioritäten pulverisiert und neu angeordnet wurden. Das wird spürbar im Gespräch, zu dem Tanja Maljartschuk und die Mitglieder des Katholischen Bildungsforums als veranstaltender Institution vorab geladen haben.
Der innere Frieden ist weg
Wie es um den inneren Frieden der Schriftstellerin bestellt ist, seitdem der Frieden draußen in der Welt, in ihrem Herkunftsland, nur noch Makulatur ist, wurde ja bereits im Juni dieses Jahres deutlich. Da hielt Tanja Maljartschuk anlässlich der Verleihung des Ingeborg-Bachmann-Preises – den die 40-Jährige 2018 für den Text „Frösche im Meer“ noch selbst erhalten hatte – ihre „Klagenfurter Rede zur Literatur“. Und die begann sie mit den Worten: „Ich betrachte mich selbst als eine gebrochene Autorin, eine ehemalige Autorin, eine Autorin, die ihr Vertrauen in die Literatur und – schlimmer noch – in die Sprache verloren hat.“ Härter, schlimmer, deutlicher kann eine Zäsur nicht ausfallen.
Und Maljartschuk bekräftigt diese Zäsur nun auch vor ihrem Leverkusener Gastspiel, dem noch Auftritte in Köln und Bergisch Gladbach vorausgehen, wenn sie sagt: „Ich habe immer geschrieben. Schon als Kind. Ich wollte die Menschen immer zum Lächeln bringen.“ Doch dieser Krieg habe ihr gezeigt, dass mit Sprache, mit dem Schreiben im Zweifel nichts erreicht werden kann. Dass das Verfassen von Büchern keinen Despoten stoppt. Und dass sie, die ehemalige Autorin, nunmehr eigentlich auch keine Lesereisen mehr unternehme. „Ich mag diesen Ausdruck nicht.“ Sondern dass sie ihre Aufgabe vielmehr darin sehe, als „Kulturdiplomatin“ unterwegs zu sein. So könne sie auf das Leid der Menschen in ihrer Heimat aufmerksam machen, das dazu geführt habe, dass ihr eigenes Leben seit dem Februar 2022 nur noch aus Unrast und Trauer bestehe, wenn sie zwischen ihrer Wahlheimat Wien und ihrer eigentlichen Heimat Iwano-Frankiwsk in der West-Ukraine hin- und herreise.
Ein fester Rahmenplan ist ihr zuwider
Man spürt im Gespräch mit Tanja Maljartschuk auch, dass ihr ein fester Rahmenplan für Lesungen mittlerweile zuwider ist: Nacheinander etwa aus ihrem Erfolgsbuch „Blauwal der Erinnerung“ von 2019, in dem sie sich mit der Landes- und Kulturgeschichte der Ukraine beschäftigt, und ihrer im vergangenen Jahr veröffentlichten Essay-Sammlung „Gleich geht die Geschichte weiter, wir atmen nur aus“ vorzutragen, behagt ihr überhaupt nicht. Gleichwohl, das betont sie, freue sie sich natürlich auf die Gelegenheit, hierzulande sprechen zu können. Das sei wichtig. Und es sei Zeit dafür, zumal sie spüre, wie der Rückhalt der Deutschen für die Menschen aus der Ukraine gut eineinhalb Jahre nach Putins Schlag langsam schwinde. Sie selbst sei bereits mehrfach beschimpft und sogar angegangen worden. Das bereite ihr Sorge. Und das könne dadurch, dass sie sich hier hinstellt und mit den Menschen in Kontakt trete, vielleicht wieder in eine andere Richtung gelenkt werden.
Wie gesagt: Das Autorinnendasein der Tanja Maljartschuk ist erschüttert und mit früher nicht mehr zu vergleichen. Und gerade deshalb verspricht ihr Gastspiel am Donnerstag, 28. September, um 19 Uhr im Katholischen Bildungsforum Leverkusen (Manforter Straße 186, Eintritt 10 Euro) so wichtig und relevant zu werden. Eine Autorin als Diplomatin im Sinne der Menschlichkeit, der Völkerverständigung und des Friedens – das ist so viel mehr wert als eine Autorin, die nur aus ihren Büchern liest.
www.bildungsforum-leverkusen.de

