Die frühere Bayer-Sparte geht einen alten Plan an. Vorstand Markus Steilemann zeigte Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche sein Unternehmen.
Kunststoff-KonzernCovestro will weltweit führendes Entwicklungszentrum in Leverkusen

Hinter der Covestro-Zentrale soll das neue Forschungs- und Entwicklungszentrum entstehen. Vorstandschef Markus Steilemann will eine „weltweit führende“ Einrichtung.
Copyright: Ralf Krieger
Der Chempark soll ein neues Forschungs- und Entwicklungszentrum bekommen. Und es soll in seiner Sparte „weltweit führend“ sein. Dafür wolle Covestro viele Millionen Euro investieren – „wenn die Rahmenbedingungen am Standort stimmen“. Das sagte Vorstandschef Markus Steilemann am Donnerstag am Rande des Besuchs von Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche in Leverkusen. In dem Laborkomplex, für den seit deren Errichtung ein Grundstück im rückwärtigen Teil der Konzernzentrale reserviert ist, werden auch große Rechner stehen. Denn nur mit Künstlicher Intelligenz könne ein deutsches Unternehmen auf dem Weltmarkt konkurrieren.
KI bezeichnete der Covestro-Chef als „mein Herzensthema“. Er ist stolz, dass in Dormagen eine erste Anlage komplett durch KI gesteuert wird. Menschen müssen die Produktion nur noch überwachen. Steilemann will, dass in Europa mehr Offenheit einkehrt gegenüber Künstlicher Intelligenz. Man müsse die Chancen im Fokus haben: Forschung in der Chemischen Industrie könne um den Faktor zwei bis drei beschleunigt werden. Nutze man das nicht, gerieten weltweit agierende Unternehmen wie Covestro ins Hintertreffen.
Allein die finanziellen Möglichkeiten von US-Konzernen wie Microsoft schafften ein Ungleichgewicht: Dort rede man über 100 Milliarden Dollar Gewinn – eine Dimension, die im Licht der erneut mauen Quartalsergebnisse, über die Covestro am Donnerstag ebenfalls berichtete, noch größer erscheint.
Neue Produktion ist in Leverkusen zu teuer
Die Nachricht, dass das Forschungszentrum nach längerem Zögern angegangen wird, ist umso wichtiger für Leverkusen, als dass neue Anlagen nicht geplant sind. Deren Betrieb kostet zu viel Energie – am in dieser Hinsicht weiterhin extrem teuren Standort Deutschland „ist das nicht zu verantworten“. Da ist Steilemann weiterhin ganz klar. Stand jetzt koste der Strom in Deutschland „drei- bis viermal soviel wie in den USA“, betonte er. Industriestrompreis und die von der Bundesregierung beschlossene Senkung der Netzentgelte für Großverbraucher seien aber wichtige Schritte, sagte er mit Blick auf die Bundeswirtschaftsministerin: „Sie spricht die richtigen Themen an“, bescheinigte der Manager seinem Gast.

Im Showroom und im Technikum von Covestro informierte sich Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) über Produkte aus Leverkusen.
Copyright: Covestro / Michael Rennertz
Reiche betonte in Covestros Kunststoff-Technikum, die Chemische Industrie sei „eine der drei Säulen der deutschen Wirtschaft“ und Nordrhein-Westfalen „das Powerhouse“ der Industrie. Den Entwicklungschancen der Unternehmen hier müsse also ihr besonderes Augenmerk gelten. Dabei fiel auch ein Lob für die von ihrem Parteifreund Hendrik Wüst geführte Landesregierung ab. In Düsseldorf betreibe man „sehr pragmatische“ Wirtschaftspolitik.
Steilemann will auch grauen Wasserstoff
Dass allerdings sehr viel zu tun ist, machte Markus Steilemann an vielen Beispielen deutlich. Zum Beispiel Wasserstoff: Er glaube fest an diesen Energieträger, „aber wir müssen von der Farbenlehre weg“. Auch „grauer“, also nicht mit Ökostrom produzierter Wasserstoff werde gebraucht, mindestens für eine Übergangszeit. Deshalb sei die Vorgabe für Unternehmen, dass sie einen Elektrolyseur nur dann bauen können, wenn sie für seinen Betrieb genügend Ökostrom haben, eine erhebliche Behinderung.
Dabei betonte der Covestro-Chef, dass sein Unternehmen auf Kurs ist, was die Umstellung auf Erneuerbare Energien angeht: Stand jetzt, stammten 18 Prozent des bezogenen Stroms aus Wind, Sonne und Wasser. Bis zum Jahresende will Covestro weitere Lieferverträge schließen, so dass die Ökostrom-Quote auf 25 Prozent steigt. Der Fahrplan, bis 2035 bei der eigenen Produktion und den Lieferketten klimaneutral sein, stehe nicht in Frage, so Steilemann.
Wir negieren, dass die Basischemie wichtig für Deutschland ist
Dass Deutschland sein Energiepreis-Problem in den Griff bekommen muss, steht für ihn aber außer Frage. „Auch Rechenzentren sind riesige Energiefresser.“ Nicht gut abfinden kann sich der Covestro-Chef damit, dass viele Politiker Industrie, die viel Strom braucht, schon abgeschrieben haben. „Energieintensive Produkte waren mal deutsche Exportschlager. Wir negieren, dass die Basischemie wichtig für Deutschland ist.“
Nichtsdestotrotz arbeitet Covestro weiter an Lösungen im Energiebereich: In diesen Tagen wird in Brunsbüttel der Grundstein gelegt für eine Anlage, mit der die sprichwörtliche Dunkelflaute bekämpft werden kann: Mit überschüssigem Strom werden Steine auf 900 bis 1000 Grad Celsius erhitzt, die dann wiederum Dampf erzeugen können – also den entscheidenden Energieträger in einem Chemiewerk. Steilemann nannte das „Oma-Technologie“, aber das war offenkundig nicht despektierlich gemeint.
Volksfest statt Schwertransport
Zu bürokratischen Hemmnissen fiel dem Manager viel ein. Ein besonders delikates Beispiel: Ein Schwertransport, mit dem an einem Freitagabend ein Reaktor angeliefert werden sollte, musste das Wochenende über auf der Straße bleiben. Die Polizisten, die den Konvoi begleiten sollten, seien kurzfristig abgezogen worden: Sie mussten auf einem Volksfest Dienst tun. „Den Beamten ist nichts vorzuwerfen“, unterstrich Steilemann. Das sei einfach ein Systemfehler, ein Standort-Problem.
An den Fehlern will Reiche arbeiten. Die Bundeswirtschaftsministerin weiß: „Europa ist unter Druck.“ Und die EU-Kommission reagiere darauf nicht adäquat. „Europa muss wieder von einer Regulierungsmacht zu einer Wirtschaftsmacht werden“, formulierte Reiche. Derzeit agiere der Kontinent aus einer Position der Schwäche. Das habe sich im Zoll-Deal mit US-Präsident Donald Trump erwiesen. Unter den herrschenden Bedingungen „war er das Beste, was rauszuholen war“. Und trotzdem eine weitere Belastung für die deutsche Industrie.
Umsatz und Ergebnis von Covestro sind im zweiten Quartal deutlich zurückgegangen. Das Geschäftsvolumen ging um gut acht Prozent auf 3,4 Milliarden Euro zurück, das Vorsteuer-Ergebnis (Ebitda) sank um 50 Millionen oder 15,6 Prozent auf 270 Millionen Euro.
„Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen bleiben herausfordernd: geopolitische Spannungen und neue Handelsbarrieren haben den Druck im zweiten Quartal unerwartet weiter erhöht“, kommentierte Vorstandschef Markus Steilemann die Zahlen. „Auch wir sehen die Folgen: Überkapazitäten, verschärfte Preisentwicklungen, kaum konjunkturelle Impulse.“
Vor drei Wochen hatte das Unternehmen seine Prognose für 2025 nach unten korrigiert. „Im zweiten Quartal haben sich die fortgesetzten Belastungen aus schwacher Nachfrage, Überangebot und neuen Handelszöllen deutlich auf unsere Margen ausgewirkt“, so Finanzvorstand Christian Baier. Eine kurzfristige Erholung sehe er nicht – insofern sei die Korrektur richtig gewesen.