Tanja Nepute hat ihre Hochbegabung zu ihrem Beruf gemacht. Vorher litt sie lange darunter.
„Ich verstelle mich nicht mehr“Leverkusenerin mit IQ von 145 berät und coacht Hochbegabte

Tanja Nepute hat ihre Hochbegabung zu ihrem Beruf gemacht. Vorher litt sie lange darunter.
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„Ich bin“, steht in schwarzen Buchstaben auf Tanja Neputes rechtem Unterarm. Es ist ihr erstes Tattoo, vor drei Jahren hat sich die Leverkusenerin den Schriftzug stechen lassen. Damals habe sie aufgehört, sich „zu verbiegen“ – um zu akzeptieren, wer sie ist: eine hochbegabte Frau. Nepute ist neurodivergent anstatt neurotypisch, ihr Gehirn funktioniert anders als das der meisten Menschen. Ihr Intelligenzwert, so steht es im Testergebnis, liegt mit 145 Punkten deutlich über dem Durchschnittswert von 100. Doch das weiß die 53-Jährige erst seit acht Jahren. „Vorher dachte ich immer, dass mit mir irgendwas nicht stimmt.“
Heute berät Nepute andere Hochbegabte. Denn Betroffene zweifeln laut der Leverkusenerin häufig stark an sich selbst. Ständig sei da dieses Gefühl, nichts im Leben leisten zu können, persönliche Erfolge hielten Hochbegabte oft für Glück oder Zufall. „Man erlebt viele Projekte nicht als Herausforderung, weil sie leicht von der Hand gehen.“ Gleichzeitig könnten Hochbegabte redundante, monotone Aufgaben meist nicht gut lösen und seien dann davon überfordert. Tanja Nepute sagt, sie sei schon oft für arrogant gehalten worden. Dabei funktioniere das Gehirn von Hochbegabten einfach so: Es fange erst an zu arbeiten, wenn es etwas Komplexes zu lösen habe. „Bei anderen Aufgaben habe ich eine relativ hohe Fehlerquote“, erklärt Nepute.
Tanja Nepute passte sich an, um nicht aufzufallen
In der Schule habe die Leverkusenerin bereits nach einer Stunde verstanden, wofür im Curriculum drei oder vier Stunden vorgesehen waren. Doch weil die anderen Schülerinnen und Schüler länger für die Aufgaben gebraucht hätten, habe sie sich immer eingeredet, wohl etwas übersehen zu haben. Dass sie hochbegabt sein könnte, kam Nepute lange nicht in den Sinn. Stattdessen habe sie sich angepasst, um nicht aufzufallen. „Ich lernte, vorherzusagen, was die Menschen um mich herum in bestimmten Momenten tun oder sagen würden. Und dann habe ich auch so gehandelt.“
Aufgewachsen als Kind einer Putzfrau und eines Tankstellenwarts, machte Nepute zunächst eine Ausbildung zur Biologielaborantin und begann eine Karriere bei Bayer. Nebenberuflich absolvierte sie eine zweite Ausbildung zur pädagogisch-therapeutischen Beraterin. Als ihre Kinder in die weiterführende Schule kamen, erzählt Nepute, habe die Schwierigkeiten mit der älteren Tochter begonnen. Sie sei respektlos gegenüber Lehrern und psychisch schwer krank geworden. Ein Intelligenztest habe befunden, dass die Tochter hochbegabt sei. „Aber weil sie in der Schule keine Leistung zeigte, wurde uns nicht geglaubt“, sagt Nepute. Nach einem Schulwechsel sei es der Tochter besser gegangen und Tanja Nepute habe sich selbst auf Hochbegabung testen lassen.
Seit dem Testergebnis ist die Hochbegabung kein Hindernis mehr
Mit ihrem Testergebnis, sagt Nepute, habe sich ihr Leben verändert. Damals habe sie gemerkt: „Ich bin gar nicht falsch. Ich habe erkannt, dass meine Hochbegabung mein ‚normal‘ ist.“ Seitdem könne Nepute mit sich selbst viel wohlwollender umgehen. „Ich verstelle oder verstecke mich nicht mehr.“ Und aus dem Grund, so sagt es die Leverkusenerin, „ist meine Hochbegabung heutzutage kein Problem mehr für mich“. Um ihre Erfahrungen weitergeben zu können, fing sie zunächst an, Eltern hochbegabter Kinder psychologisch zu beraten. Dann begann Nepute, hochbegabte Erwachsene zu coachen. Irgendwann seien hauptsächlich Selbstständige oder Unternehmer in ihre Stunden gekommen, sodass sie nun hochbegabte Führungskräfte berät.
„Durch meinen Job“, sagt Nepute, „habe ich zum ersten Mal in meinem Leben das Gefühl, wirklich etwas geleistet zu haben“. Ein Unternehmen zu führen, habe sie nie gelernt. „Das ist für mich eine Herausforderung.“ Und die falle ihr ohne Vorerfahrung nicht leicht. Genau deshalb fühle sich ihr Job so „stark“ an. Und, weil sie etwas bewegen könne: „Ich bin wirksam mit meinem verdrehten Denken und dem, was mich ausmacht als Mensch“, sagt Nepute. „Das macht mich sehr glücklich.“