Heimat-Check„Wiesdorf hat eine fantastische Entwicklung durchgemacht“

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Leverkusen ist ohne Bayer nicht vorstellbar.

Leverkusen ist ohne Bayer nicht vorstellbar.

  • In unserem Heimat-Check schauen wir uns diesmal Wiesdorf an. Wir haben uns mit Leuten unterhalten, die seit Jahrzehnten hier wohnen und den Stadtteil ins Herz geschlossen haben.
  • Wiesdorf profitiert von der zentralen Lage und bietet guten Wohnraum, leidet aber an mangelnder Sauberkeit und Sicherheit.

Leverkusen-Wiesdorf – Für viele Besucher, die nach Leverkusen kommen, ist Wiesdorf und sein Bahnhof das Tor in die Stadt. Dass Wiesdorf aber mehr ist als nur Einkaufszentrum, Bahnhof und Bayer, weiß Adolf Staffe nur zu gut. Der gebürtige Wiener ist Chef der Leverkusener Tafel und wohnt seit fast 50 Jahren in Wiesdorf. Ein Job in der Chemiefabrik hatte ihn ins Rheinland gelockt. „Donnerwetter, wo hat es dich hinverschlagen“, habe er am Anfang gedacht, räumt Staffe lachend ein.

Wiesdorf, das bedeutete damals noch Schwefeldämpfe und saurer Regen. „Da wurden noch Gutscheine an Autobesitzer für eine Autowäsche verteilt, Damen haben Gutscheine für neue Nylonstrümpfe bekommen, die durch den Regen Löcher bekommen hatten“, erinnert er sich. Doch den Sprung nach Leverkusen hat er nie bereut: „Ich liebe Wiesdorf, das ist ein herzlicher Stadtteil. Ich habe mich hier immer sehr wohlgefühlt.“

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Die Häuser in der Kolonie

Was Umweltverschmutzung angeht, habe sich „Zug um Zug“ auch sehr viel getan, sagt Staffe. Er kenne wenig Regionen, die sich so stark gemausert habe, fügt er fast ein wenig stolz an. „Eine fantastische Entwicklung.“ Adolf Staffe ist tief verwurzelt in Wiesdorf: Mit dem evangelischen Pfarrer Detlev Prößdorf von der Christuskirche trifft er sich regelmäßig zum Mittagessen und besucht Nachbarschaftsfeste. Lieblingsort? „Ich gehe sehr gerne zur Wacht am Rhein“, bekennt der 82-Jährige. Auch an der Hauptstraße ist er gerne unterwegs oder isst italienisch in der Altstadt. Im Laufe der Jahrzehnte hat er beobachtet, wie sich Wiesdorf entwickelt. Die „neue“ Rathaus-Galerie mag er nicht besonders. Er hat dort ein, zwei Läden, in die er geht, aber für „kleine Gewerbetreibende“ sei es jetzt schwerer, vermutet er.

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Die Wiesdorfer scheinen aber mit der Rathaus-Galerie ganz zufrieden zu sein: Zumindest bewerten sie die Einkaufsmöglichkeiten bei unserem Heimat-Check mit der Note 2,9. Was den Wiesdorfern sauer aufstößt, ist das Thema Sauberkeit – regelmäßig steht das Thema Rattenplage auf der Tagesordnung – und das Thema Sicherheit. Um die sorgt sich auch Adolf Staffe. Die „gefühlte Unsicherheit“ in Wiesdorf ist seiner Ansicht nach gestiegen, das bekommt er auch in seinem Bekanntenkreis mit. Man hört von Überfällen. Dennoch wohnt Staffe weiterhin sehr gern in Wiesdorf. Gemeinsam mit seiner mittlerweile verstorbenen Frau war er an den östlichen Rand von Wiesdorf, an die Grenze zu Manfort gezogen. Und dort wohnt er immer noch – in einem der letzten Holzhäuser, die es im Stadtteil gibt.

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Adolf Staffe, Leiter der Leverkusener Tafel

Als ehemaliger Bayer-Mitarbeiter verfolgt er die aktuellen Entwicklungen aufmerksam. Bayer und Wiesdorf, das war quasi immer eins. Die Mitarbeiter zogen in die Wohnungen und Häuser, die Bayer bereitgestellt hatte. Nachdem Bayer fast alle Immobilien verkauft hatte – „es war nicht mehr Bayer“, versucht Adolf Staffe die emotionale Bindung zu beschreiben, die bei vielen Mitarbeitern immer weiter nachgelassen hat. Dennoch, für Staffe ist Bayer immer noch „die Mutter“, betont er. „Meine Seele ist eine Bayer-Seele“, sagt er und schmunzelt.

Dass Bayer untrennbar mit Wiesdorf verbunden ist, merkt man auch in den Kolonien I und II. Ursprünglich von Carls Duisberg für Mitarbeiter errichtet, erfreuen sich die Siedlungen immer noch größter Beliebtheit. „Die Wohnqualität ist sehr hoch“, bestätigt Maria Rubeque. Die Vorsitzende des Kolonie-Vereins wohnt selbst in der Kolonie. Wer da einmal ein Häuschen bekommen habe, ziehe da auch nicht mehr aus, meint sie. Die Gärten, viel Grün, ruhige Straßen („hier können Sie Ihre Kinder noch auf der Straße spielen lassen“), regelmäßige Treffen und ein jährliches Kolonie-Fest steigern Wohlbefinden und Zusammenhalt der Bewohner, die mittlerweile ganz gemischt sind. Rubeque freut sich, dass einige Flüchtlinge aus Syrien Wohnungen gemietet haben, mittlerweile übernehmen auch viele Jüngere die Häuser ihre Eltern: Es tut sich einiges.

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Maria Rubeque, Vorsitzende des Kolonie-Vereins

Ende des 19. Jahrhunderts sind die ersten Häuser der Kolonien entstanden. Anregungen für die Architektur hatte sich Carl Duisberg noch in England geholt, berichtet Egon Morsch, weiterer Vorsitzender des Kolonie-Vereins. „Mit den Kolonien hat Duisberg den Baustein für Bayer gelegt.“ 1969 kam die Idee des „Lindwurms“ auf. Für eine riesige Wohnanlage mit bis zu 5000 Wohnungen und Platz für bis zu 15 000 Menschen sollte die Kolonie II abgerissen werden. Viele Wiesdorfer empörte das damals, engagierte Bürger verhinderten das Projekt. So konnte die Siedlung gerettet werden. Doch Wiesdorf nur auf die Kolonien zu reduzieren, kommt für Maria Rubeque nicht in Frage. „Wiesdorf ist so viel mehr“, findet die 63-Jährige und fängt an zu schwärmen: Der Neulandpark. Der Erholungshauspark, in dem uralte Bäume stehen. Die Rathausgalerie – „Eine Bereicherung für Wiesdorf, sie belebt die Innenstadt.“ Der Japanische Garten – „Dort treffe ich mich immer noch mit ehemaligen Kollegen.“ Auch die Antoniuskirche mag die Vereinsvorsitzende. Unheimlich schön sei sie, sehr familiär und heimelig. Ein bisschen spiegelt das auch die Mentalität der Wiesdorfer wieder: „Die Wiesdorfer achten aufeinander“, hat Rubeque, die aus Dinslaken stammt, in ihrer Zeit in Leverkusen beobachtet. Bevor sie 1980 wegen ihrer Arbeit bei Bayer hierhin zog, war sie immer am alten Rathaus vorbeigefahren und hatte sich gedacht: „Hier ziehst du niemals hin.“ Doch als es soweit war, fühlte sich Rubeque sehr wohl – inmitten der vielen Gründerzeithäuser.

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