Fachtag in LeverkusenPornografie ist ein wachsendes Problem auf Schulhöfen

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Experten für Mediensucht in der Bay-Arena: Rudolf Stark, Julia Klauke, Andreas Pauly und Alexander Freise.

Experten für Mediensucht in der Bay-Arena: Rudolf Stark, Julia Klauke, Andreas Pauly und Alexander Freise.

Auf einem Fachtag in der Bay-Arena zur Prävention im Bereich Pornokonsum von Jugendlichen berichtet auch ein ehemals Betroffener.

Angefangen hat es bei Alexander Freise mit dem Verlust eines Elternteils mit nur elf Jahren. „Dann habe ich mich in Dinge geflüchtet, die mir ein gutes Gefühl geben“, erzählt Freise. Das war zum einen die Musik, aber eben auch Pornografie. Zuerst mit Heftchen, dann mit CD-Roms, die man Anfang der 2000er auf dem Schulhof tauschte. Und dann das Internet mit allen seinen Möglichkeiten, die sich gerade erst entfalteten. „Zum echte Problem wurde das aber erst zehn Jahre später“, berichtet Freise. Immer tiefer tauchte er ein, nicht nur in die Welt der immer härter werdenden Videos, sondern auch in Sexchats und Swingerseiten. „Ich habe wenig geschlafen und irgendwann auch Möglichkeiten gesucht, bei der Arbeit meine Seiten zu checken.“ Freise ist süchtig nach Pornokonsum. 

Heute ist er erfolgreicher Podcast Berater für Unternehmer, Einzelpersonen und Medien wie den WDR. Und er spricht offen über das tiefe Loch, in das er durch seine Porno-Sucht gefallen ist. Auch auf einem Fachtag zum Thema, den die Bergische Krankenkasse am Montag in der Bay-Arena organisiert hat. Rund 100 Fachkräfte, vor allem Lehrerinnen, Sozialpädagogen und Psychologinnen sind gekommen, es wurden Vorträge von Experten und Workshops in Kleingruppen angeboten.„Unser Ziel ist, hier die Multiplikatoren zu erreichen“, erklärt Julia Klauke, Gesundheitsexpertin bei der Bergischen. Für Eltern, die sich für das Thema interessieren, wird es am 14. Mai um 18 Uhr einen Online-Elternabend geben.

Dünne Datenlage

Dass die Sucht ihren Ursprung in traumatischen Kindheitserlebnissen hat, hört Prof. Dr. Rudolf Stark häufiger, allerdings nicht ausschließlich. „Die Gründe können individuell ganz unterschiedlich sein“, sagt der Professor der Universität Gießen, die eine Studie zu Pornografie-Nutzungsstörungen erstellt hat. Denn die Datenlage sei sehr dünn. „Die Befragung in diesem Bereich ist extrem schwierig. Wenn ich Zehnjährige frage: Warst du schon mal auf dieser Internetseite? - Dann wird er sie sich wohl spätestens dann ansehen“, erklärt Stark. Deswegen werde bislang zumeist rückwirkend analysiert, wenn Probleme bei jungen Erwachsenen auftreten. Eindeutig scheint aber, dass bei Jugendlichen größere Probleme auftreten, wenn sie sehr früh mit dem Konsum beginnen. „Wir sprechen hier von Zehn- bis Elf-Jährigen“, sagt Stark.

Deswegen arbeitet Stark mit einem Team an Ideen, wie eine große Längsschnittuntersuchung möglich gemacht werden kann. „Wir wollen wissen: Wann fangen Jugendliche an zu konsumieren und welche Probleme sind damit verbunden.“ Denn dass es Probleme gebe, werde auch auf den Schulhöfen immer sichtbarer. Im Alter von 14 Jahren haben die meisten Jungen und ein Großteil der Mädchen bereits Pornos im Internet gesehen, besagt eine Studie. Die Probleme, die damit einhergehen: falsche Erwartungshaltungen an sich selbst oder reale Sexualpartner, Rückzug aus dem gesellschaftlichen Leben, Vereinsamung, körperliche und psychische Erkrankungen.

Ich war extrem unglücklich, habe mit immer härteren Methoden versucht, die Leere in mir zu stopfen.
Alexander Freise

Davon kann auch Diplompsychologe Kai Müller berichten. Vor 16 Jahren gründete er die Ambulanz der Spielsucht an der Universität Mainz, mehr als 2000 Patienten hat er seitdem gesehen, vor allem in den Feldern Glücksspiel und Internetnutzungsstörungen.  „6,3 Prozent der Zehn- bis 17-Jährigen erfüllen Kriterien für Internetsucht“, erzählt Müller dem Fachpublikum. „Das ist eine verdammt hohe Fallzahl.“

Wie sehr dies das Leben der Jugendlichen beeinflussen kann, verdeutlicht er mit einem Zitat eines 17-Jährigen mit Computerspielstörung. Dieser sagte auf die Frage, warum er in die Ambulanz gekommen sei: „Von früher weiß ich noch gut, wie sich ein gesundes Leben mit Freundeskreis, Freude und Interessen anfühlt. An genau diesen Punkt möchte ich wieder zurückfinden. Ich möchte wieder leben.“

Ähnlich war es auch bei Alexander Freise: „Ich war extrem unglücklich, habe mit immer härteren Methoden versucht, die Leere in mir zu stopfen.“ Eines Tages habe er auf seine Gitarren geschaut und dabei nichts empfunden. „Ich habe nicht einmal mehr gewusst, wofür man Musik machen sollte. Und ich habe Musik studiert, die Musik war immer der positive Anker in meinem Leben. Da wusste ich, dass etwas gewaltig schiefläuft.“ Heute ist er froh, offen darüber sprechen zu können und damit anderen Betroffenen zu helfen.


Für den kostenlosen Online-Elternabend am 14. Mai können sich interessierte Eltern im Internet anmelden.

www.bergische-krankenkasse.de/events

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