Das dreiwöchige Projekt „Zukunft braucht Erinnerung“ fand mit einem denkwürdigen Abend im Forum seinen vorläufigen Abschluss.
80. Jahrestag des KriegsendesLeverkusener Projekt schließt mit Hoffnung auf Zukunft

Das Markus-Reinhardt-Ensemble spielte auf der Finissage des Projekts "Zukunft braucht Erinnerung" im Forum.
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Zweieinhalb Stunden lang ist es still im Publikum, das im Agam-Saal des Forums sitzt. Konzentriert, andächtig und still an diesem Dienstagabend. Still, wenn der Kölner Musiker Markus Reinhardt sagt: „Meine Tante hat beim Auschwitz-Lagerarzt Mengele sauber gemacht. Sie brauchte 80 Jahre, um uns diese Geschichte zu erzählen.“ Still, wenn Angel Neger einen kurzen Text ihrer 92 Jahre alten Oma Theresia Neger verliest, die als Siebenjährige aus Köln nach Polen verschleppt wurde und fünf Ghettos und KZs der Nazis überlebt hat.
Und still, wenn der Trierer Gastronom und Holocaust-Überlebende Christian Pfeil, dessen Restaurant in den 1990er-Jahren zweimal von Neonazis zerstört wurde, erzählt: „Der Bürgermeister von Trier rief mich danach an und lud mich in sein Büro ein. Ich hatte mich noch nicht gesetzt, da sagte er: 'Herr Pfeil, wir haben hier in Trier keine Rechtsradikalen.' Da bin ich gegangen. Was soll man mit so jemanden reden, wenn einem Neonazis gerade das Restaurant kaputt gehauen haben?“
Der beeindruckende Abend im Forum war die Abschluss-Veranstaltung für das dreiwöchige Projekt „Zukunft braucht Erinnerung“, das die Hans und Berthold Finkelstein Stiftung, der Caritasverband Leverkusen und die Volkshochschule (VHS) gemeinsam organisiert hatten, weil sich in diesem Jahr das Ende des Zweiten Weltkriegs zum 80. Mal jährt. Mit einer großen Vielfalt an Veranstaltungsformen und zwei großen Ausstellungen auf dem Forum-Vorplatz, im Erholungshaus und vor dem Kasino der Bayer AG richteten die Organisatoren den Blick erinnernd in die Vergangenheit – um des Erinnerns willen, aber auch, „um im Kampf gegen Menschenfeindlichkeit den gesellschaftlichen Zusammenhalt in der Stadt zu stärken“, wie VHS-Leiter Günter Hinken formulierte. Bürgermeisterin Heike Bunde plädierte dafür, die mit dem Projekt so fantasievoll mit neuem Schwung ausgestattete Erinnerungsarbeit in den Schulen fortzuführen: „Denn es sind so viele Dinge wieder gesellschaftsfähig geworden, die wir eigentlich überwunden geglaubt haben“, so Bunde.

Luigi Toscano vor dem Forum Leverkusen
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Der Wunsch, dass das dreiwöchige Projekt keine einmalige Aktion gewesen sein möge, drückte sich in vielen Äußerungen aus. Die frühere SPD-Bundestagsabgeordnete und Psychologin Lale Akgün aus Köln, ebenfalls zu Gast an diesem Abend, sagte etwa: „Erinnerung ist nicht neutral. Sie ist eine Entscheidung. Wer sich erinnert, stellt sich gegen Antisemitismus und Ausgrenzung.“
Die Kölner Künstlerin Krystiane Vajda, die als Moderatorin durch den Abend leitete, lenkte den Blick auf die Erinnerungskultur bei den Sinti und Roma,„ eine Gruppe von Opfern der Nazis, die oft ein bisschen hinten über fällt“, so Vajda. Vajda und ihr Mann Markus Reinhardt leiten gemeinsam den Kölner Verein „Maro Drom - Kölner Sinte und Freunde“, der sich unter anderem zum Ziel gesetzt hat, die Erinnerungen älterer Sinti und Roma unter dem Motto „Klänge des Lebens“ zu bewahren, in dem sie aufgezeichnet werden. So wie die Erinnerungen von Reinhardts Tante oder die einer Frau, die Reinhardt kürzlich per Telefon kontaktierte: „Sie rief an und sagte, sie möchte an dem Projekt teilnehmen und sie begründete das: Damit ich besser gehen kann.“
Das Markus-Reinhardt-Ensemble brachte an diesem Abend den Zuhörern im leider nicht voll besetzten Agamsaal tsiganische Kultur auch musikalisch näher. Reinhardt ist Großneffe des legendären Gitarristen Django Reinhardt; in dessen Stil und in der „traditionellen osteuropäischen Zigeunermusik“, wie es auf der Webseite der Band heißt, liegen die Wurzeln ihrer Kompositionen.

Christian Pfeil berichtete eindrucksvoll aus seinem Leben.
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Auch der Trierer Christian Pfeil setzt sich für Erinnerungskultur ein, begleitet zum Beispiel regelmäßig Schulklassen bei deren Besuch im Vernichtungslager Auschwitz. Der Sinto kam 1944 im Lubliner Ghetto in Polen zur Welt, wohin seine gesamte Familie 1940 von den Nazis aus Trier verschleppt worden war. In der aktuellen Debatte über einen Pflichtbesuch für Schülerinnen und Schüler in einem Arbeitslager oder KZ der Nazis positioniert sich der 81-Jährige klar: Er ist dafür. Pfeil berichtet, dass die Angst vor Verfolgung immer noch tief sitze und jedes Mal wieder hervorgeholt werde, wenn Rechtsextreme schlimme Dinge an Wände schmierten. Pfeil: „Es ist beschämend, dass man immer noch Angst haben muss, dass irgendwas passiert. Meine Familie lebt seit 1810 in Trier.“
Immerhin hat Trier ihm 2024 für seine Verdienste um die Erinnerungskultur den Ehrenbrief der Stadt verliehen, mit einstimmigem Beschluss des Rates, wie Pfeil betont. „Das hat mich sehr gefreut.“ Optimismus verbreitete auch der Fotograf Luigi Toscano, für dessen Ausstellung großformatiger Fotos auf dem Forum-Vorplatz der Abend auch die Finissage war. Toscano berichtete von dem Vertrauen, das alle von ihm porträtierten Holocaust-Opfer ihm entgegengebracht hätten. „Ich bin ein positiver Mensch: Ich habe das Vertrauen, dass unsere Demokratie siegen wird.“
Familientag bei „Deine Anne“
Am Samstag, 30. Mai, laden die Finkelstein-Stiftung und Bayer-Kultur zu einem Familientag in die Ausstellung „Deine Anne“ im Erholungshaus ein. Die Ausstellung ist von 10 bis 16 Uhr geöffnet, Führungen durch die Ausstellung sind um 11 bis 14 Uhr. Der Besuch ist kostenfrei. Am Freitag, 13. Juni, 19.30 Uhr, laden das Leverkusener Bündnis gegen Antisemitismus, das Junge Theater Leverkusen und der Rat der Religionen zu einem Chor-Konzert für Toleranz und Frieden in die Christuskirche, Dönhoffstraße 2, ein. (ps)