NS-Überlebende aus Köln rührt Landtag„Finde erst Frieden, wenn ich tot bin“

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Theresia Neger ist im Porträt zu sehen; sie berichtet über die grausamen Kindheitserinnerungen in einem NS-Lager.

Theresia Neger berichtet über die grausamen Kindheitserinnerungen aus ihrer Zeit in einem NS-Lager.

Beim Gedenken an die Opfer des NS-Regimes stehen in diesem Jahr Verbrechen an Sinti und Roma im Mittelpunkt.  

Die Frau in der hellen Strickjacke ist hochbetagt, aber sie wirkt hellwach, als sie erzählt, was sie als kleines Mädchen erlebt hat. In Siedlce, einem Lager bei Warschau, musste Theresia Neger mit ansehen, wie ihr Onkel und seine Familie von SS-Männern erschossen wurde. Die Wachleute hatten einen perversen Spaß daran, regelmäßig Gräueltaten vor den Augen der Kinder zu verüben. Die grausamen Erinnerungen wird die Holocaust-Überlebende aus Köln nicht los. „Richtig Frieden findet man nicht. Da muss ich mit leben. Ich habe nur Frieden, wenn ich tot bin“, sagt Theresia Neger.

Ein bewegender Moment. Der Bericht der heute 91-Jährigen wurde als Video im Düsseldorfer Landtag abgespielt. Eigentlich sollte die Zeitzeugin an der Gedenkstunde im Plenarsaal persönlich teilnehmen, aber dann musste sie aus gesundheitlichen Gründen kurzfristig absagen.

Kinder erlebten Gräueltaten der SS

Theresia Neger wuchs in dem von den Nationalsozialisten 1935 errichteten „Zigeunerlager“ in Köln-Bickendorf auf. Im Mai 1940 wurde ihre Familie nach Warschau und dann in das Ghetto Siedlce deportiert. Dort waren bis zu 17.000 Jüdinnen und Juden sowie Sinti und Roma eingesperrt. Auch die Kinder wurden grausam misshandelt, viele starben. Die Sinta gehört zu den wenigen Überlebenden, die heute noch aus eigenem Erleben über die verübten Gräueltaten berichten können.

Am 27. Januar 1945 wurde das Vernichtungslager Auschwitz von der sowjetischen Armee befreit. An dem Jahrestag gedenkt der Landtag in Düsseldorf den Opfern des NS-Regimes. Parlamentspräsident André Kuper dankte Theresia Neger dafür, dass sie dazu beiträgt, die Erinnerung wach zu halten.  „Als Kind haben Sie den Horror der NS-Zeit am eigenen Leib erfahren“, sagte Kuper. Über die schier unerträgliche Schwere des eigenen Erlittenen zu sprechen koste nicht nur Kraft und Mut: „Es ist zugleich eine Ansage an die Feinde der Demokratie“, so der Landtagspräsident.

26.01.2024, Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf: Andre Kuper, Präsident des Landtags von Nordrhein-Westfalen, spricht im Plenum. Der Landtag und die Landesregierung in Nordrhein-Westfalen haben mit einer Gedenkstunde gemeinsam an die Opfer des Nationalsozialismus erinnert.

„Ansage an die Feinde der Demokratie“ - André Kuper, Präsident des Landtags von Nordrhein-Westfalen, würdigte im Plenum den Beitrag der Zeitzeugin Theresia Neger. Der Landtag und die Landesregierung in Nordrhein-Westfalen erinnerten mit einer Gedenkstunde gemeinsam an die Opfer des Nationalsozialismus.

Zu der Gedenkstunde im Plenarsaal kamen neben den Abgeordneten und den Mitgliedern der Landesregierung auch die Vertreter der jüdischen Verbände und der Landesverband Deutscher Sinti und Roma NRW zusammen. In den Reden gab es viele Bezüge zum aktuellen Engagement vieler Menschen gegen Rechtsextremismus und für die Bewahrung der Demokratie. „Allein das Nachdenken über Deportationen, oder wie immer man sie bezeichnet, ist eine Schande, eine Ungeheuerlichkeit“, sagte Landtagspräsident Kuper unter langem Beifall. Das Erinnern an die Befreiung von Auschwitz sei angesichts der aktuellen Entwicklungen „notwendiger denn je“.

Klassenfahrten gegen Antisemitismus

NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst erklärte, das Land werde die von den Nationalsozialisten Verfolgten und Ermordeten niemals vergessen. „Wir stellen uns jeder Art von Diskriminierung, Menschenfeindlichkeit und Antisemitismus mit der ganzen Kraft von Demokratie und Rechtsstaat entgegen“, bekräftigte Wüst.

26.01.2024, Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf: Michael Rado, Vorstandsmitglied der Synagogengemeinde Köln, spricht im Plenum.

Michael Rado, Vorstandsmitglied der Synagogengemeinde Köln, wies auf die Bedeutung einer fundierten Lehrerausbildung gegen Antisemitismus hin. Er stelle immer wieder fest, dass Lehrer nicht gut auf antisemitische Bemerkungen in den Klassen und auf Schulhöfen vorbereitet seien. „Die unmittelbare, richtige Stellungnahme des Lehrers ist ein Teil des Schutzes der Demokratie.“

Dabei komme auch den Klassenfahrten zu NS-Gedenkstätten eine wichtige Bedeutung zu. „Wer als Jugendlicher einmal ein Konzentrationslager besucht hat, wer die Baracken und Krematorien, die zehntausenden Schuhe, die vielen Koffer, Brillen und Haare der Ermordeten gesehen hat, der sieht die Welt danach mit völlig anderen Augen“, sagte Wüst. Mit den Mahnmal-Besuchen müssten „auch und vor allem“ die Kinder und Jugendlichen erreicht werden, „die mit einem israelfeindlichen und antisemitischen Geschichtsbild aufgewachsen“.

Der Vorstand der Synagogengemeinde Köln, Michael Rado, forderte die Landesregierung auf, Lehrer besser darauf vorzubereiten, wie mit Antisemitismus an den Schulen umzugehen sei. „Wer als Lehrer da nicht unmittelbar eingreift, hat seine Chance vertan“, mahnte er. Die unmittelbare, richtige Stellungnahme des Lehrers sei „ein Teil des Schutzes der Demokratie“.

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