In der Stadtratssitzung sollen ausreichend Stimmen zusammenkommen, um die Amtszeit von Andrea Deppe vorzeitig zu beenden. Auch die Grünen fordern Konsequenzen.
Skandal um RettungsdienstSPD will Leverkusens Baudezernentin abwählen lassen – Grüne wollen Disziplinarverfahren

Andrea Deppe, hier neben Stadtdirektor Marc Adomat, soll nicht mehr Dezernentin sein. Hintergrund ist die Affäre um die Rettungsdienstgebühren. Die Aufklärung soll in der Stadtverwaltung Sozialdezernent Alexander Lünenbach (rechts) leiten.
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Leverkusens Baudezernentin Andrea Deppe wird sich am Montag mit einem Antrag auf Abwahl konfrontiert sehen. Im Stadtrat will die noch amtierende Fraktionsvorsitzende der SPD, Milanie Kreutz, diese Initiative starten. Vor einigen Tagen hat sie damit begonnen, in ihrer und anderen Fraktionen und bei Einzelvertretern Stimmen zu sammeln für einen Abwahlantrag. Dafür ist zunächst mehr als die Hälfte der Voten erforderlich, das sind 27: Leverkusens Rat verfügt über 52 Mandate. Dazu kommt die Stimme von Oberbürgermeister Uwe Richrath, SPD. Ihre Attacke auf die Dezernentin erklärte Kreutz am Sonntag dem „Leverkusener Anzeiger“ so: „Entscheidend ist, dass die tatsächlich Verantwortlichen in der Verwaltung die Konsequenzen tragen. Ich lasse nicht zu, dass die Schuld nach unten auf die Mitarbeiterebene transportiert wird.“
Hintergrund ist die Affäre um nicht eingetriebene Gebühren für den Rettungsdienst. Derzeit hat sich bei der Stadt Leverkusen ein Verlust von gut 78 Millionen Euro aufgehäuft. Das liegt daran, dass mit den Krankenkassen jahrelang nicht abgerechnet wurde. Zuletzt fehlte es schlicht an einer Satzung, auf deren Grundlage diese Abrechnung erfolgt. Seit geraumer Zeit war die Rettungsdienstgebühr nicht mehr Sache der Kämmerei, sondern der Feuerwehr. Und die fällt in den Zuständigkeitsbereich der Baudezernentin Andrea Deppe.

Die noch bis Oktober amtierende SPD-Fraktionschefin Milanie Kreutz sammelt Stimmen für den Abwahlantrag.
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Kreutz hält Deppe für nicht mehr tragbar. Nicht nur wegen des immensen finanziellen Schadens, der die Stadt in der tiefgreifenden Haushaltskrise noch weiter in Bedrängnis bringt. Nach Kreutz’ Meinung hat die Dezernentin die Aufklärung der Sache sogar aktiv hintertrieben. „Ich habe Hinweise erhalten, die meinen Verdacht auf mögliche Manipulationen, Vertuschungen und Amtsmissbrauch bekräftigen“, sagte sie am Sonntag. Die chronologische Darstellung der Verwaltungsspitze weise „eklatante Lücken“ auf. „Diese Hinweise wiegen so schwer, dass ich nicht länger zusehen kann.“
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Als Vorsitzende der SPD-Fraktion im Rat der Stadt Leverkusen sei sie „den Bürgerinnen und Bürger gegenüber verpflichtet und muss jetzt handeln“. Alle Betroffenen hätten in der vergangenen Woche, die mit einer Sitzung des Rechnungsprüfungsausschusses begann, deren Vorsitzende Kreutz ist, „genügend Zeit zu handeln, Führung zu zeigen und Verantwortung zu beweisen“ gehabt. „Das ist leider ausgeblieben.“ Der Antrag auf Abwahl der Beigeordneten Andrea Deppe sei nun die Konsequenz.
OB Uwe Richrath warnt vor „Vorverurteilungen“
Noch am Donnerstagnachmittag hatte sich Oberbürgermeister Uwe Richrath faktisch vor Deppe gestellt, die auf dem Ticket der Grünen vor zwölf Jahren nach Leverkusen kam und bisher einmal wiedergewählt wurde. Im Zusammenhang mit Vorwürfen, die Dezernentin habe in der Sache jahrelang nicht gehandelt, sagte der OB im Finanzausschuss: „Öffentliche Vorverurteilungen sind nicht akzeptabel.“
Der Verwaltungschef hatte allerdings eingeräumt, dass „definitiv Fehler passiert sind, die wir aufarbeiten“. Dafür seien „jetzt alle Weichen gestellt“. Die Aufarbeitung der Gebühren-Affäre solle „zügig, transparent“ geschehen – und „neutral“, betonte der Sozialdemokrat. Deshalb werde nach einer entsprechenden Aufforderung der SPD-Fraktion vom vorigen Dienstag nicht Deppe mit der Sache betraut, sondern der Sozialdezernent Alexander Lünenbach (SPD).
Eine Chronologie, die Jahre zu spät ansetzt
Die Chronologie, mit der Richrath nach seinen Worten zur Transparenz in der Sache beitragen wollte, beginnt freilich erst in diesem März. Die vier Jahre davor, in denen die SPD in Sachen Gebühren regelmäßig nachgefragt hatte, klammerte der Oberbürgermeister aus. Damit zog sich der Sozialdemokrat erneut den Zorn der Fraktionsführerin zu. Zwischen Richrath und Kreutz ist das Tischtuch zerschnitten, seitdem es bei der Kandidatenaufstellung der SPD für die Kommunalwahl am 14. September zu einer Revolte gekommen und Kreutz von ihrer Partei abserviert worden war.
Erstmals ist in der Sache allerdings auch eine kleine Absetzbewegung des OB von seiner Baudezernentin zu erkennen, die er noch vor ein paar Wochen zur Interims-Kämmerin gemacht hatte: „Für eine lückenlose Aufklärung und zum Schutz derjenigen, die im Fokus der Kritik stehen, wird darüber hinaus geprüft, ob tatsächliche Anhaltspunkte für mögliche Dienstvergehen im Rahmen dieses Sachverhalts vorliegen.“
Seit 2021 hat die SPD nachgefragt
Für Milanie Kreutz ist längst klar, dass die Baudezernentin in Sachen Rettungsdienstgebühren ihre Pflichten verletzt hat. Die SPD-Fraktionschefin beschäftigt sich seit 2021 mit dem komplexen Thema und hatte sich zuletzt, weil sie in der Stadtverwaltung keinerlei Willen verspürte, die Angelegenheit aufzuklären, selbst durch die Akten gearbeitet. Mit Blick auf diesen Vorgang sieht sie sich sogar aktiv von der Stadtverwaltung behindert: Die von der Verwaltung verlangte Unterzeichnung einer eigenen Verschwiegenheitserklärung, mit der Kreutz gehindert werden sollte, Details öffentlich zu machen, sei ein Unding. Vor allem mit Blick darauf, dass der Skandal bisher vertuscht worden sei.
Am Montag will Kreutz ihre Akteneinsicht fortsetzen. „Ich erwarte, dass alle relevanten Unterlagen vollständig vorgelegt werden. Darüber hinaus werde ich zu einer kurzfristigen Sondersitzung des Rechnungsprüfungsausschusses einladen. Nur so kann die notwendige Aufklärung gelingen.“ Die Öffentlichkeit und der Stadtrat „haben Anspruch auf Wahrheit und Klarheit“. Inzwischen, das sagte die Sozialdemokratin am Sonntag, mehrten sich die Hinweise, dass auch andere Gebühren der Stadt Leverkusen nicht ordnungsgemäß erhoben würden.
Keine Abwahl, aber ein Disziplinarverfahren gegen Andrea Deppe forderte am Sonntag Sven Weiss, OB-Kandidat der Grünen. Das sei auch die Haltung von Fraktion und Partei. „Wir wollen Transparenz“, sagte er im Gespräch mit dem „Leverkusener Anzeiger“. Die Grünen hatten in der Sitzung des Rechnungsprüfungsausschusses, in dem die 78-Millionen-Euro-Nachricht eingeschlagen war, noch dagegen gestimmt, den Tagesordnungspunkt in den öffentlichen Teil der Sitzung zu holen. Das hätte Deppe geschützt. „Im Rechnungsprüfungsausschuss ist das alles unglücklich gelaufen“, sagte er dazu.
Den Vorwurf, Transparenz in der Sache zu behindern, will sich Weiss offenbar nicht gefallen lassen und geht jetzt in die Offensive. Gerade er als OB-Kandidat stehe dafür. Er wolle wissen: „Wer hat von wem wann was gewusst und wer hat Schuld“, wurde der OB-Kandidat deutlich. Und da sei es egal, wer demnächst im Rathaus sitze.
Weiss forderte, dass die Angelegenheit vollständig und Stück für Stück aufgearbeitet wird. Und dann, so findet er, könne man diese Krise auch als Chance nutzen. Nach Kämmerer Michael Molitor wäre nach Vorstellung der Grünen Andrea Deppe dann die zweite von fünf Dezernenten, inklusive OB in Personalunion, gegen die ein Disziplinarverfahren laufe. „Die Stadt braucht unbedingt einen Neustart“, sagte dazu der Grünen-OB-Kandidat. Von der Abwahl hält Weiss derzeit nichts, „denn damit wäre der Vorgang ja nicht abgeschlossen“.