Leverkusen und die IG FarbenWie Bayer mit Zwangsarbeit und Arisierung umgeht

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Dr. Hans Finkelstein (links) im Gespräch. Laboransicht aus dem Werk Uerdingen, 1932

Dr. Hans Finkelstein (links) im Gespräch. Laboransicht aus dem Werk Uerdingen, 1932

Die Finkelstein-Stiftung und der Erinnerungsort des Künstlers Jussi Ängeslevä an der Kaiser-Wilhelm-Allee lässt Kritiker nicht verstummen. Bis heute tut sich der Konzern schwer mit dem Thema Zwangsarbeit. 

Der am Montag – am 78. Jahrestag des Kriegsendes – enthüllte Erinnerungsort passt zur gerade erst gegründeten Stiftung, deren Namensgeber Hans und Berthold Finkelstein in der IG-Farben-Phase unter den Verhältnissen bei Bayer zu leiden hatten: Hans Finkelstein war Forschungsleiter in Uerdingen, musste das Unternehmen 1938 verlassen und nahm sich ein Jahr später das Leben. Sein Sohn Berthold musste Zwangsarbeit leisten.

Zuletzt wurde die Schuld des Unternehmens auf der Hauptversammlung in der Zeit des Nationalsozialismus thematisiert. Aus der „Coordination gegen Bayer-Gefahren“ kam der Vorwurf, Bayer habe sich bis heute nicht bei den Zwangsarbeitern formell entschuldigt. Eine entsprechende Äußerung, die der damalige US-Chef von Bayer, Helge Wehmeier, 1995 gegenüber dem Schriftsteller Elie Wiesel machte, sei umgehend von der Konzernspitze in Leverkusen als „persönliche Äußerung“ des Leitenden Angestellten etikettiert und damit kassiert worden. Daran erinnerte Jan Pehrke, Sprecher der „Coordination“, auf dem wiederum virtuellen Aktionärstreffen am letzten Freitag im April.   

Carl Duisberg und die I.G. Farben

Die Gründung der Stiftung sei zwar zu begrüßen – aber sie komme viel zu spät, lautet die Kritik. Schließlich habe Bayers Übervater Carl Duisberg 1925 mit der I.G. Farben „einen der größten Verbrecher-Konzerne der Welt aus der Taufe gehoben“. Der Zusammenschluss der großen deutschen Chemieunternehmen, die seinerzeit eine überragende wirtschaftliche Bedeutung im Deutschen Reich hatten, sei „maßgeblich“  dafür verantwortlich gewesen, „den Hitler-Faschismus an die Macht zu bringen“ und den Zweiten Weltkrieg erst zu ermöglichen. 

Wenn die neue Initiative wirklich ernst gemeint sei, müsse sich Bayer „zu allererst öffentlich bei allen Opfern der I.G.-Farben-Verbrechen beziehungsweise deren Hinterbliebenen entschuldigen und die gerechte Entschädigung der betroffenen Familien sicherstellen“, lautet die Forderung der organisierten Konzernkritiker. Bisher habe der Konzern das stets abgelehnt. „Die Hauptversammlung am 28. April wäre der richtig Ort, wo genau das stattfinden könnte", sagte CBG-Gründungsmitglied Axel Köhler-Schnura im Vorfeld des Treffens.

Baumanns Worte des Bedauerns

Allerdings geschah das nicht. Werner Baumann fand zwar Worte des Bedauerns. Aber auf seinem letzten Auftritt vor großer Öffentlichkeit verließ der Vorstandschef Ende April die Konzernlinie nicht: Eine ausdrückliche Entschuldigung vermied Baumann. 

Aber es fällt auf, dass der „Fall Finkelstein“ in Uerdingen spielt. Also dort, wo Fritz ter Meer das Sagen hatte. Der Mann, der 1948 im I.G.-Farben-Prozess als Kriegsverbrecher verurteilt und – freilich kurz – inhaftiert wurde. Unter anderem, weil er 1941 den Aufbau des Buna-Zweigwerkes der I.G.-Farben bei Auschwitz verantwortete. Im angeschlossenen KZ Auschwitz III Monowitz wurden Menschenversuche gemacht. Beim Bau und Betrieb der Fabrik verloren nach Schätzungen 20.000 bis 25.000 Zwangsarbeiter ihr Leben.

Uerdingen – und Auschwitz

Mit dem Urteil gegen ter Meer hatte es Bayer schwarz auf weiß, dass der frühere I.G.-Farben-Vorstand ein Kriegsverbrecher war. Trotzdem berief das Unternehmen ihn 1956 an die Spitze seines Aufsichtsrats. Er blieb es bis 1964. Zu ter Meers Erbe gehört indes auch der Aufbau von Bayers Studienstiftung. Sie bestand bis 2007, als Bayer sein gesamtes Stiftungswesen umorganisierte und die „Science & Education Foundation“ ins Leben rief.  

Die „Hans-und-Berthold-Finkelstein-Stiftung“ ist dennoch nicht Bayers erster finanzieller Beitrag zur Zwangsarbeiter-Frage: 2000 machte der Konzern bei der Gründung der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ mit, die von der damaligen Bundesregierung ins Leben gerufen und mit zehn Milliarden D-Mark ausgestattet wurde. Die Hälfte davon kam von Unternehmen. Nachdem der Deutsche Bundestag am 30. Mai 2001 ihre „Rechtssicherheit“ festgestellt hatte, bekamen Zwangsarbeiter Einmalbeträge ausbezahlt. Sie lagen zwischen 500 und 7700 Euro. Kriegsgefangene sowie westeuropäische zivile Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter blieben dabei allerdings außen vor.  

Bayer und die Zwangsarbeit – das bleibt auch mit dem neuen Erinnerungsort ein Kapitel, in dem noch viel aufzuarbeiten ist.

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