Der Angeklagte lebt in den Niederlanden. Eine Frau wurde lebensgefährlich verletzt.
LeverkusenVerfolgungsfahrt von Rheindorf nach Langenfeld – Angeklagter vor Gericht

Die Verfolgungsfahrt am 13. September 2024 hatte in Rheindorf begonnen, mit einem Unfall endete sie in Langenfeld.
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Auch für Polizisten ist eine Verfolgungsfahrt wie in einem Videospiel oder Krimi eine Seltenheit. Eine Leverkusener Streifenbesatzung schaffte es, am Auto eines Mannes dranzubleiben, obwohl der ohne Rücksicht auf Verkehrsregeln und Menschen erst durch Rheindorf und dann durch Langenfeld gerast ist.
Die Verfolgungsfahrt, die am 13. September 2024 um 7 Uhr morgens in Rheindorf an der Baumberger Straße beginnt, endet zwölf Minuten später auf der Kölner Straße in Langenfeld mit einem schweren Unfall an einer Ampel, die der Flüchtige bei Rot überfahren hatte. Eine 59-jährige Frau in einem Kleinwagen, die zur Arbeit wollte, wäre fast zu Tode gekommen. Der Fall wird vor dem Schöffengericht am Leverkusener Amtsgericht verhandelt. Mehrere Delikte sind angeklagt, unter anderem das verbotene Kraftfahrzeugrennen.
Die Probleme mit dem Niederländer Kamil Ben J. (Name geändert) beginnen am Morgen auf dem Parkplatz der Gesamtschule an der Deichtorstraße. Dort fragt er einen Mann in einem Auto nach einer Zigarette. Als der keine hat, schlägt ihn der Angeklagte ohne Vorwarnung mit der Faust ins Gesicht. Er soll einen Sandhandschuh getragen haben. Was der Angeklagte auf dem Parkplatz wollte und ob er sein erstes Opfer des Tages kannte, ist nicht bekannt. Kamil Ben J. soll mit seinem Peugeot mit niederländischem Autokennzeichen laut Beobachtung eines Hausmeisters schon öfter im Stadtbild in der Schulumgebung gesehen worden sein.
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Nach diesem Wutausbruch fährt Ben J. in die Baumberger Straße, wo er sich an mehreren Autos vergreift. Mit einer Flasche in einem Beutel schlägt er eine Heckscheibe ein; als die Polizei in der Straße einfährt, um nachzusehen, beginnt die Verfolgung.
Was ihn geritten hat, ist nicht bekannt
Was Ben J. geritten haben mag, ist nicht bekannt. Mit seinem Auto rast er über Felderstraße und Yitzhak-Rabin-Straße erst auf die A 59 und gibt Gas, fährt Schlangenlinien, kurvt auf die Standspur, dann wieder nach links, wechselt im Kreuz Monheim-Süd auf die A542, fährt in Reusrath ab.
Auf der Kölner Straße Richtung Langenfeld-Zentrum rast er mit Tempo 120 über mehrere roten Ampeln, erlaubt sind 50, dann biegt er in das Wohngebiet nach rechts ab. Der zur Tatzeit 33-Jährige kennt offenbar Tricks bei Fluchtfahrten, zum Beispiel blinkt er links und biegt rechts ab. Die Polizei immer hinterher. Ben J. rast gefährlich durchs Wohngebiet und fährt sich im Rotkehlchenweg fest, eine Sackgasse mit Wendekreis. Beim Wendemanöver beschädigt er den Opladener Polizeiwagen, der von einem Beamten gefahren wird. Die Kollegin auf dem Beifahrersitz gibt einen Livebericht in den Polizeifunk durch.
Richtig rücksichtslos wird der Angeklagte, als er bei der weiteren Flucht über den Langenfelder Wochenmarkt brettert, der gerade aufgebaut wird. Rote Ampeln sind ihm bei der Fahrt durch die Stadt weiterhin egal, zwischendurch rammt er einen Kastenwagen. Irgendwann platzt ihm ein Reifen, aber Ben J. fährt weiter. Zurück auf der Kölner Straße rast er schließlich mit 105 Kilometern pro Stunde über Rot in einen VW-Up und bleibt auf der Seite liegen, sein Motor ist aus dem Auto herausgerissen. Die Frau in dem VW muss von der Feuerwehr herausgeholt werden.
Die Frau ist lebensgefährlich verletzt, hat mehrere Knochenbrüche und gefährliche Wunden.
Polizei wollte gerade die Todesnachricht überbringen, als das Telefon klingelte
Ihre Schwester sagt, die Polizei ging zuerst davon aus, dass sie nicht überleben werde. Man habe damals bei ihr geklingelt, um die Todesnachricht zu überbringen. Genau in dem Augenblick hätten die Beamten einen Anruf bekommen, dass die Schwester doch noch lebe. „Die waren total erleichtert“, sagt sie. Sechs- oder siebenmal sei die Schwester operiert worden. Sie lebe jetzt unter anderem mit einer kaputten Schulter.
Kamil Ben J. hat mehr Glück: Obwohl nicht angeschnallt, ist er im Vergleich kaum verletzt. Aber er weiß offenbar genau, was man zur Polizei sagen muss: „I’m drunk, I’m drunk“ („Ich habe getrunken“). Das stimmt auch, man misst 0,95 Promille Alkohol in seinem Blut. Um strafmildernd zu wirken, dürfte das zu wenig gewesen sein. Und er sagt unvermittelt noch etwas: Die Mocro-Mafia habe ihm befohlen, zu flüchten. Mit der Mafia will er noch während seiner Verfolgungsfahrt telefoniert haben.
Als er das sagt, liegt er unten im Innenraum seines Autos, das auf der Seite liegt. Die Polizisten bedrohen ihn durchs Seitenfenster mit einem Elektro-Taser und nehmen ihn fest.
„Es besteht großes Bedauern bei meinem Mandanten“, sagt sein Verteidiger in der Verhandlung. Einen ernsthaften Versuch, sich bei der 59-jährigen Schwerverletzten zu melden, kann er nicht gestartet haben, sie hat nichts von ihm gehört. Der Angeklagte hat seine Meldeadresse im niederländischen Tilburg und befindet sich auf freiem Fuß.
Der Prozess wird fortgesetzt.

