SchlafkrankheitWie Bayer mit einem Medikament Deutschlands Kolonien zurückgewinnen wollte

Lesezeit 4 Minuten
Historische Dokumente.

Der Bergische Geschichtsverein, Abteilung Leverkusen Niederwupper, beschäfigt sich mit dem Präparat Bayer 205.

Mit dem Präparat „Bayer 205“ erhoffte sich Carl Duisberg, andere europäische Mächte an die Wichtigkeit Deutschlands erinnern zu können.

Namentlich ist nur eine der 150 Testpersonen bekannt, an denen Anfang des 20. Jahrhunderts in der Kolonie Belgisch-Kongo das Präparat „Bayer 205“ auf seine Wirksamkeit geprüft wurde: Ulimengo. Und wie Tamara Mansary in einem Aufsatz im aktuellen Heft des Bergischen Geschichtsvereins, Abteilung Leverkusen Niederwupper, berichtet, sei die Behandlung wohl erfolgreich gewesen: „Es sei einer der Fälle gewesen, der von der tatsächlichen Wirksamkeit von Bayer 205 (Germanin) und dessen Überlegenheit gegenüber anderen Medikamenten gegen die afrikanische Schlafkrankheit berichtet“, schreibt die Autorin des Aufsatzes.

Neben dem medizinischen Aspekt haben Mansarys Ausführungen aber eine weitere Dimension, eine kolonial-historische. Denn das Medikament hieß wohl nicht aus Zufall „Germanin“.

Die Puderversion des Präparates Bayer 205.

Die Puderversion des Präparates Bayer 205.

Aber von Anfang an: Die (Westafrikanische) Schlafkrankheit (Humane Afrikanische Trypanosomiasis) ist eine infektiöse Tropenerkrankung, deren Erreger durch einen Stich der Tsetsefliege übertragen werden. Sie betrifft das Lymph- und Nervensystem, unbehandelt endet sie tödlich. Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen schreibt über die Krankheit: „Die Schlafkrankheit gehört zu den vernachlässigten Krankheiten, in deren Erforschung unzureichend investiert wird, da sie hauptsächlich Menschen in Ländern mit mittlerem und niedrigem Einkommen betrifft.“

Die Forscher um Friedrich-Karl Kleine hatten mit Bayer 205 1916 in den Laboren der Farbenfabriken vorm. Friedrich Bayer & Co in Elberfeld ein Präparat gegen die Krankheit entwickelt. Erste Wirkungen gegen den Erreger der Schlafkrankheit hätten sich schon damals gezeigt, berichtet Mansary. Man wollte das Medikament nicht nur an Menschen, sondern auch an Tieren einsetzen, auch habe man erwogen, Bayer 205 gegen andere Krankheiten einzusetzen. Erprobt wurde das Medikament an verschiedenen Stellen, in afrikanischen und nicht-afrikanischen Gebieten.

Friedrich-Karl Kleine während der Afrikaexpedition

Friedrich-Karl Kleine während der Afrikaexpedition

Im Juni 1921 beschlossen das Unternehmen und Carl Duisberg, 1,5 Millionen Mark in die Hand zu nehmen, um eine Afrika-Expedition zur Erprobung von Bayer 205 zu finanzieren. Eigene Kolonien hatte Deutschland seit dem Ersten Weltkrieg nicht mehr, die anderen europäischen Mächte mussten die Einreise in die afrikanischen Länder genehmigen. Hauptlaborstandort der Expedition war Mpika im heutigen Sambia, außerdem führte die Route nach Südafrika und in den Kongo.

Dort sollten die Forscher das Medikament in Form von Infusionen verabreichen. Sie sollten das Präparat auch an Tieren testen und Tsetsefliegen für weitere Versuche sammeln. 1923 endete die Expedition und wurde für erfolgreich erklärt. Und das versuchte man damals, politisch zu nutzen. In einem Schreiben an die Reichstagsabgeordnete Clara Mende (DVP) hieß es: „Wir sind ganz damit einverstanden, dass man sie [die Erfindung Bayer 205] dazu benutzt, auf die kulturellen Verdienste Deutschlands hinzuweisen und zu zeigen, wie ungerechtfertigt es ist, Deutschland von kolonisatorischer Betätigung auszuschließen. Wir würden es aber für ganz verfehlt halten, wenn man, wie es von verschiedenen Seiten geschehen ist, Bayer 205 als Druckmittel benutzen und die Abgabe des Präparates von der Rückgabe der Kolonien abhängig machen wollte.“

Route der Bayer-Expedition in die Schlafkrankheitsgebiete 1921/22.

Route der Bayer-Expedition in die Schlafkrankheitsgebiete 1921/22.

Das, so Mansary, wollte man stattdessen durch Propaganda erreichen. Carl Duisberg habe sich erhofft, durch Berichte über das Mittel, andere europäische Mächte an die Wichtigkeit Deutschlands in einem kulturellen Kontext erinnern zu können und sie so dazu zu bewegen, die ehemaligen Kolonien wieder in deutsche Hand zu übergeben.

Mansaray ordnet die Bestrebungen der Expedition ein: „Während die Schlafkrankheit für die erkrankten Menschen im Brutgebiet der Tsetsefliege eine echte Lebensbedrohung darstellte, wurde sie von Bayer als ein Mittel zum Zweck gesehen.“ Vielmehr sei es um den europäischen Nutzen gegangen als um die Heilung von Kranken. Bayer profitierte davon nicht nur finanziell, sondern auch mit Blick auf den Ruf des Unternehmens.

In den Jahren nach der Expedition seien die Zahlen der an Schlafkrankheit gestorbenen Menschen in den afrikanischen Epidemiegebieten durch Bayer 205 zurückgegangen. Auch das trug zur steigenden Anerkennung von Bayer bei. Als in den 1960er-Jahren immer mehr afrikanische Staaten ihre Unabhängigkeit erklärten, sei ihnen jedoch dadurch der Zugang zu Bayer 205 (Germanin) eingeschränkt worden.

Seit 1979 steht das Medikament unter dem Namen Suramin auf der Liste der WHO (World Health Organisation – Weltgesundheitsorganisation) für essenzielle Medikamente.


Hinweis

Alle Angaben und mehr sowie die zugehörigen Quellenangaben finden sich im aktuellen Abteilungsheft des Bergischen Geschichtsvereins, Abteilung Leverkusen Niederwupper. Das Heft hat 284 Seiten und kostet zwölf Euro. Zu haben ist es im Büro des Vereins in der Villa Römer, Haus-Vorster-Straße 6, mittwochs 11 bis 13 Uhr, sowie in folgenden Buchhandlungen:  Buchhandlung Hentschel in Burscheid, Gottschalk in Schlebusch, Noworzyn in Opladen, Langen in Leichlingen und Langendfeld, Pavlik in Leichlingen, Rossbach in Monheim, Bücher-Scheune in Bergisch Gladbach-Schildgen,.

KStA abonnieren