StadtpolitikWie ein einziger Politiker Leverkusens Rat in Geiselhaft nehmen kann

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Blick auf das erleuchtete Rathaus in Wiesdorf

Ratssitzungen bis Mitternacht? Für einen wäre das kein Problem. Sagt er jedenfalls.

Erneut hat das Gremium Stunden mit Abstimmungsvorgängen verbracht, statt politische Debatten zu führen.

Der Plan war ein anderer: Entscheidungen über die Entsendung politischen Personals in städtische Gremien – das sind reine Formalien, weil in und unter den Fraktionen vorher abgesprochen – sollten diesmal ans Ende der Tagesordnung der Stadtratssitzung rutschen. So wollte die erdrückende Mehrheit am Montag eigentlich eine erneute stundenlange Lähmung verhindern.

Das misslang: So stimmte etwa die SPD ebensowenig wie die CDU für die Anträge von Karl Schweiger (Bürgerliste) und Stephan Adams (Opladen Plus), den Ablaufplan entsprechend zu ändern. Mit dem Ergebnis, dass diesmal zweieinhalb Stunden vergingen, bevor der Stadtrat die erste politische Debatte führen konnte.

Erstmals hatte es dieses Phänomen in der August-Sitzung gegeben. Markus Beisicht vom rechten „Aufbruch Leverkusen“ hatte zur allgemeinen Überraschung beantragt, über fällige Umbesetzungen in politischen Gremien geheim abstimmen zu lassen. Die Geschäftsordnung des Rates und die politischen Gepflogenheiten sehen vor, dass es reicht, wenn ein Ratsmitglied dies verlangt: „Anträge zum Verfahren, insbesondere Anträge auf ein bestimmtes Abstimmungsverfahren, namentlich auf geheime oder namentliche Abstimmung, können in einer Sitzung von einem Mitglied des Rates gestellt werden“, steht in Paragraf 9 der Geschäftsordnung.

Diese orientiert sich an der nordrhein-westfälischen Gemeindeordnung. Dort heißt es in Paragraf 50:  „Wahlen werden, wenn das Gesetz nichts anderes bestimmt oder wenn niemand widerspricht, durch offene Abstimmung, sonst durch Abgabe von Stimmzetteln, vollzogen.“ Das bedeute im Umkehrschluss, hieß es am Mittwoch auf Anfrage: „Es genügt also der Widerspruch eines einzigen Ratsmitglieds, um eine geheime Abstimmung zu erzwingen. Dieser Rechtsgrundsatz ist nicht verhandelbar.“ Und: „Die Verwaltung hat rechtlich keinerlei Handhabe, Anzahl, Dauer und Art (offen/geheim) von Wahlen zu beeinflussen.“

Quälend langwierige Prozeduren

Was am 21. August folgte, waren stundenlange, ermüdende Abstimmungsprozeduren. Stimmzettel mussten angefertigt werden; jedes der 53 Ratsmitglieder musste nach Aufruf zur Wahlkabine gehen, ein Kreuzchen machen und das Papier in die Urne werfen. Danach galt es, die Stimmen auszuzählen. Auch das dauerte.

Diesmal hatte sich die Stadtverwaltung zwar auf den Vorgang eingerichtet und Stimmzettel in verschiedenen Farben vorbereitet, um die vielen Wahlgänge etwas schneller über die Bühne zu bringen. Der Zeitvorteil hielt sich dennoch in Grenzen. Was aber nicht verwundern konnte. Am Montag standen 41 Umbesetzungen an, die in sechs Wahlgängen abgewickelt wurden. Das kann trotzdem nicht schnell gehen. Am 21. August waren es übrigens nur acht.

Es soll immer so weitergehen

Und schon jetzt ist klar, dass Leverkusens Stadtrat das zeitraubende, geheime Abwickeln von Umbesetzungen in den politischen Gremien noch häufiger wird üben können. Markus Beisicht hat angekündigt, geheime Abstimmung zu beantragen, „wo immer es rechtlich möglich ist“. Es mache ihm „nichts aus, hier bis Mitternacht zu sitzen“. Womit sein Ziel beschrieben ist: den Stadtrat phasenweise zu lähmen. Das ist eine neue Variante des zweifelhaften Umgangs der politischen Kräfte miteinander.

Tatsächlich ist das Gremium am Montag nicht fertig geworden; die Tagesordnung wurde in fünf Stunden und 42 Minuten nicht komplett abgearbeitet. 16 Punkte sollen nun erst in der nächsten Sitzung beraten werden. Die ist am Montag, 23. Oktober. In der FDP-Fraktion ist man sauer, von einer „Herabsetzung des Rates als oberstes Beschlussgremium“ war dort am Mittwoch die Rede.

SPD-Fraktionschefin Milanie Kreutz sieht das nicht ganz so. Auf Anfrage legte sie am Mittwoch ihre Beweggründe offen, die Personalwahlen nicht ans Ende der Tagesordnung zu verlegen und stattdessen den quälenden Marathon an der Urne in Kauf zu nehmen: „Ich wollte nicht riskieren, dass wir nächstes Mal nicht arbeitsfähig sind.“

SPD: Die Wahlen mussten sein

Hintergrund: Die Umbesetzungen in den Gremien waren in den meisten Fällen eine Folge des politischen Umzugs von Sven Tahiri von der SPD zur CDU-Fraktion. Bei einer Verschiebung der Wahlen hätte die Gefahr bestanden, sie nicht komplett abwickeln zu können, so Kreutz: Denn der Stadtrat hat sich nach vielen extrem langen Sitzungen dazu entschlossen, zu festen Zeiten aufzuhören. Am Montag sollte das um 19.30 Uhr sein. Danach musste noch der nichtöffentliche Teil absolviert werden. Da gab es Punkte, die man aus terminlichen Gründen nicht verschieben konnte. Mit Blick auf die langwierigen Wahlvorgänge sei sie den sicheren Weg gegangen, erklärte die SPD-Fraktionschefin.  

Beim nächsten Mal könnte das anders aussehen. Kreutz zeigte sich dessen bewusst, dass stundenlange Wahlvorgänge, die dann auch nicht im Rats-TV zu sehen sind, ein überaus schlechtes Bild abgeben. Erst recht, wenn dem politische Debatten zum Opfer fallen. Am Montag traf es zum Beispiel jene, die in Leverkusen einen Seniorenrat haben möchten. Viele im Stadtrat sehen das kritisch, die Generaldebatte darüber kann nun erst im Oktober sein. Sofern dann nicht der nächste Abstimmungsmarathon dem Stadtrat die Zeit für seine eigentliche Arbeit raubt. 

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