Leverkusener Erzieherin schreibt Wutbrief„Es reicht, wir können nicht mehr!“

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Lollitest Kind

Coronatest in einer Kita. 

Leverkusen – „Es ist Freitag Vormittag. Ich sitze zwischen niesenden, hustenden Kindern in der Kita und höre zufällig im Radio, wie Herr Lauterbach davon spricht, dass es »uns gut gelungen ist, die Älteren zu schützen.«“ Mit diesen Worten beginnt ein Brief, den die Erzieherin in eben jenem Moment entschlossen hat, zu schreiben. Am Tag zuvor war ein PCR-Pool in der von 130 Kindern besuchten Leverkusener Kita positiv. Das Ergebnis der Einzelauswertung lag am kommenden Tag noch nicht vor. Dennoch dürfen die betroffenen Kinder in die Kita kommen, sofern ihre Eltern unterschreiben, dass sie zuhause einen Antigentest gemacht haben und dieser negativ ausgefallen ist.

Entscheidung über Nacht

So hat es die Landesregierung quasi über Nacht beschlossen, weil die Testauswertung teilweise mehrere Tage dauern. Das bringe vor allem berufstätige Eltern in Not, die mehr Planbarkeit brauchen, argumentierte die Politik. Was das für sie bedeutet, schildert die Erzieherin, die der Redaktion namentlich bekannt ist, in ihrem Wutbrief. Veröffentlichen will sie ihren Namen nicht, aus Sorge vor beruflichen Konsequenzen.

„Ich muss schlucken und vor allem: Ich muss meine Wut runterschlucken. Es wird nicht überprüft, ob das Kind wirklich negativ getestet ist, die Unterschrift alleine reicht aus. Ein gewisses Misstrauen schwingt mit, denn wir haben uns bereits etliche Wochen mit unzufriedenen Eltern und üblen Beschimpfungen auseinandersetzen müssen, weil es ständig neue Verordnungen gibt, welche inzwischen kaum noch jemand nachvollziehen kann. Können wir sicher sein, dass die Eltern tatsächlich den Test gemacht haben mit ihren Kindern? Wo doch so viele von ihnen vorher das Testen so rigoros abgelehnt haben?“

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Zwar werden in Leverkusener Kitas im Gegensatz zu den Grundschulen weiterhin auch sogenannte Rückstellproben genommen, die dem Labor zur Einzelauswertung mitgegeben werden. Eben für den Fall, dass der Pool der gesammelten Proben positiv ist. Nur dauert die Ermittlung des infizierten Kindes per PCR-Methode viel länger als über einen Antigentest, der aber bekanntermaßen deutlich weniger aussagekräftig ist.

„Und so können alle Kinder des positiven Pools noch munter durch die Kita flitzen, husten, niesen, spucken und sehr viele andere Menschen anstecken. Wenn der positive Einzelbefund dann irgendwann vorliegt, können wir nur hoffen, dass die Eltern sehr zeitnah das Kind aus der Kita abholen – aber im Grunde ist es dann schon zu spät. Der nächste Pooltest wird mit Sicherheit wieder positiv sein und der nächste und der nächste und der nächste.“

So sind also die anderen Kinder gefährdet, die zum allergrößten Teil ungeimpft sind, da es für Unter-Fünfjährige noch keinen Impfstoff gibt. Und die Mitarbeitenden, ob jung oder alt, ebenso.

Windeln wechseln mit der Kneifzange?

„Wir Mitarbeiter können uns nicht schützen! Wir können keinen Abstand einhalten, aus der ferne Tränen trocknen, mit Kneifzangen Windeln wechseln, darauf bestehen, dass Dreijährige nicht quer durch den Raum niesen oder gar Spielsachen in den Mund nehmen. Wir können nicht bei winterlichen Temperaturen alle 20 Minuten die Fenster und Türen aufreißen, weil es alleine 20 Minuten bräuchte, bis alle Kinder ihre Jacke angezogen haben. Teströhrchen beschriften, testen, desinfizieren, mit Eltern die Vorgaben diskutieren, das alles macht uns müde und nimmt uns die Freude an der Arbeit mit den Kindern.“

Und auch Erzieherinnen, die zum allergrößten Teil geimpft sind, haben möglicherweise ungeimpfte Kinder oder alte und vorerkrankte Angehörige zu Hause. Die Inzidenz in der Altersklasse der Null- bis Vierjährigen liegt aktuell bei 1754, bei den fünf- bis 14-Jährigen bei 3617. Tendenz: deutlich steigend.

Abwarten, bis alle infiziert sind

„Während also allerorts Homeoffice und Kontaktbeschränkungen, 2G, 3G und 2G+, gilt, dürfen nun auch potenziell positive Kinder in die Kita. Und alles nur, weil es nicht ausreichend Kapazitäten für die Auswertung von PCR-Tests gibt?“

Wenn schon die Politik nicht den Rahmen setzt, kann man nur an die Vernunft der Eltern appellieren, das Kind freiwillig so lange zu Hause zu lassen, bis das Einzelergebnis vorliegen.

„Oder man wartet einfach ab, bis sämtliche Mitarbeiter in den Kitas durch diese fahrlässige Entscheidung infiziert und in Quarantäne sind. Vielleicht wird dann endlich deutlich, dass es ohne uns nicht geht? Ich bin müde, erschöpft, verängstigt und ich resigniere allmählich. Und so wie mir geht es den meisten Kollegen und Kolleginnen, die ihre Arbeit lieben und ihren Job nicht als Beruf, sondern als Berufung sehen. Aber es reicht, wir können nicht mehr!“

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