Leverkusener JazztageInterview mit Milow: „Auch im Chaos liegt eine Chance“

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Superstar mit Superstimme: Milow kann Konzerte auch ohne Publikum vor der Bühne – und hat sogar Spaß dabei.

Superstar mit Superstimme: Milow kann Konzerte auch ohne Publikum vor der Bühne – und hat sogar Spaß dabei.

  • Die 41. Leverkusener Jazztage enden mit einem Auftritt des belgischen Musikers Milow.
  • Er zeigt, dass auch Stream-Konzerten ohne Fans gute Konzerte sein können.
  • Wie er das anstellt, zeigt er nicht nur auf der Bühne, sondern erklärt er auch im Interview.

Leverkusen  – Er beschloss die 41. Leverkusener Jazztage mit einem auch ohne Live-Publikum berührenden Akustikkonzert und verteilte des nachts noch Autogramm an vor dem Erholungshaus wartende Fans: Milow. Ehe es für ihn auf die Bühne ging, erzählte uns der belgische Weltstar im Exklusivinterview sein Sicht der Dinge: Welchen Silberstreif sieht er am Horizont? Wie fühlt sich ein Vogel ohne Flügel? Und was haben Jazzfestivalauftritte, was andere Auftritte nicht haben?

Milow, Sie veröffentlichten 2014 ein Album mit dem Titel „Silver Linings“. Silberstreifen. Ich würde sagen: Das war sechs Jahre zu früh. Den Titel hätten Sie sich mal besser aufgehoben, denn: Er passt doch viel besser auf 2020. Das Jahr, in dem wir alle mehr als je zuvor nach Silberstreifen am Horizont suchen.

Das, was Sie sagen, stimmt. Dieser Name trifft es derzeit genau. Aber ich habe ja eben deswegen zuletzt versucht, auch neue optimistische Songs zu schreiben. „First day of my life“ zum Beispiel, den ich auch in Leverkusen spiele. Ich will dadurch jedem Menschen zeigen: Du wirst es schaffen. Auch im Chaos liegt eine Chance. Natürlich bin ich jemand, der auch schwankt. Gerade beim Songwriting. Halb Optimismus. Halb Pessimismus und Düsternis. So ist das. Aber in Situationen wie der jetzigen, zwinge ich mich stets zur hellen Seite hin. Denn: Das ist die Art und Weise, wie ich als Musiker die jetzige Situation beeinflussen kann. So kann auch ich einen Beitrag dazu leisten, dass sich die Menschen besser fühlen. Als Songwriter will ich am Ende immer eine Perspektive haben und aufzeigen.

Die Perspektive für Leverkusen: kein Publikum. Wie bereiten Sie sich auf so ein Konzert vor?

Ich fühle mich ohne Publikum wie ein Vogel, dem man die Flügel abgeschnitten hat. Denn Livemusik stimuliert normalerweise alle Sinne. Sinne, die jetzt eben wie abgeschnitten, wie ausgeschaltet sind. Was allerdings noch problematischer ist: Ich spreche gerne zwischen den Songs. Und es ist verdammt schwer, das jetzt nur vor einer Kamera zu tun, weil ich das Publikum, wenn man so will, ja nicht lesen kann – eigentlich eine Eigenschaft, in der ich nach Jahren der Bühnenerfahrung ganz gut bin. Ich versuche nun, das auszugleichen, indem ich mit meinen beiden Begleitmusikern spreche. Wir stehen auf der Bühne extra in einem Dreieck zueinander und können uns nun gegenseitig jederzeit sehen. Was darüber hinaus gerade in Leverkusen noch dazu- und uns entgegenkommt: Der Saal im Erholungshaus ist wundervoll! Ich habe zuletzt schon ein paar Stream-Konzerte in kleinen Räumen, so genannten Black Boxes, gespielt. Das klang seltsam. Hier dagegen vibriert der Sound richtig! Und ich freue mich jetzt schon darauf, 2021 wiederzukommen. Am 6. November. Der Termin steht ja schon. Und bis dahin ist die Lage hoffentlich wieder ganz anders.

Was kann man eventuell an Positivem aus der Corona-Zeit mitnehmen?

Ich versuche, immer eine tiefere Bedeutung in meine Songs zu packen. Aber es gibt seit ein paar Jahren tatsächlich viele Menschen, die glauben, dass Songs kein bestimmtes Thema haben müssen. Sich nicht um irgendetwas Bestimmtes drehen müssen. Dass nur Musik genügt. Und vielleicht ändert die derzeitige Lage etwas daran – weil sich viele Künstler nun in ihren Songs auf die Situation einlassen. Einlassen müssen und wollen.

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Heute sind Sie bei den Jazztagen. Aber spulen wir mal vor: Corona ist vorbei. Sie geben ihr erstes Konzert „danach“, gehen auf die Bühne – und spielen welchen Song?

Das ist eine gute Frage. Jetzt kann ich sie noch nicht beantworten. Wir wissen ja noch nicht einmal, ob dann, wenn wieder Konzerte stattfinden dürfen, auch die Menschen zurückkommen. Vielleicht haben viele dann noch Angst. Und darüber spricht niemand. Doch wie auch immer: Ich werde definitiv sehr lange und intensiv über diese Frage nachdenken, wenn es soweit ist. Es wird ein Song sein müssen, der ein Statement ist. Der sagt: „Wir sind alle wieder da!“ Und vielleicht ist es ein Song, den ich noch schreiben muss.

Welche Erfahrungen hat Milow eigentlich mit Jazz?

Ich habe schon bei mehreren Jazzfestivals gespielt – in Marokko, Tunesien und in Montreux. Ich trete dort mit meinen Mitmusikern immer rein akustisch auf. Und es ist genau das, was einer Jazz-Show einen ganz anderen Flow gibt. Man ist lockerer, freier, kann sich mehr dem gemeinsamen Musizieren hingeben. Hinzu kommt: Die Menschen, die zu Jazzfestivals kommen, sind wirklich Musikfans. Sie klatschen nicht während des Konzertes – was ja auch manchmal sein muss. Aber diese Leute hören sehr konzentriert zu.

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