Leverkusener JazztageWie der Lockdown das Tingvall Trio verändert hat

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Stammgäste mit Geschenken im Gepäck: Das Tingvall Trio im Erholungshaus.

Stammgästen ist zu eigen, dass sie nicht nur gerne immer wieder an einen Ort zurückkehren, an den sie schon häufiger eingeladen wurden – schließlich sind sie ja Stammgäste, weil sie sich eben dort stets wohlgefühlt haben. Nein: Stammgäste sind den Gastgebenden auch durch und durch derart bekannt, dass man nichts Überraschendes von ihnen erwartet. Man weiß, wer da kommt, was er oder sie mitbringt und freut sich einfach über die Zeit des gemütlichen Beisammenseins.

Ein gutes halbes Dutzend Auftritte

Das Tingvall Trio nun ist Stammgast - oder besser gesagt: eine Gruppe von drei Stammgästen – bei den Leverkusener Jazztagen. Ein gutes halbes Dutzend mal, so schätzt Bandleader, Songschreiber, Pianist und Namensgeber Martin Tingvall, seien sie bereist hier in dieser Stadt aufgetreten. Es sei jedes Mal wundervoll gewesen. Und die Tatsache, dass das Erholungshaus an diesem zweiten Abend des diesjährigen Festivals nahezu ausverkauft ist, belegt dieses Stammgast-Dasein ja auch: Wenn das Tingvall Trio ruft wieder einmal ruft, dann kommen sie, die Menschen. Und freuen sich.

Und: Sind auf einmal doch so ein bisschen überrascht über diese Gäste, die sie doch so aus dem Effeff kennen, denn: Der Lockdown scheint sie verändert zu haben.

Der typische Tingvall-Sound

Natürlich: Dass das Tingvall Trio – neben dem schwedischen Frontmann bestehend aus dem kubanischen Kontrabassisten Omar Rodriguez Calvo und dem deutschen Schlagzeuger Jürgen Spiegel – immer schon diesen typischen Tingvall-Sound zwischen nie zu verkopft klingendem, nie zu oft um die Ecke denkendem, skandinavisch angehauchtem Jazz sowie Pop-Anleihen draufhatte, ist kein Geheimnis. Es ist sattsam bekannt. Aber nun, da sie bei der Rückkehr auf die Bühne mit Publikum ihr neues Album „Dance“ – aufgenommen während des Lockdowns – präsentieren, haben die Stammgäste plötzlich neue, aufregende Geschenke mit im Gepäck auf ihrer Reise, die sie den Menschen in Leverkusen quasi als ersten überhaupt servieren.

Das Tingvall Trio spielt heuer mit einem wahren Ausbund an Facetten. Es gibt mit perlenden Klavierläufen versehene Ausflüge in den Reggae. Wenn Calvo orientalische Klänge anschlägt und seinen Bogen titschend über die Basssaiten gleiten lässt, dann brechen auf einmal experimentelle Weltmusikklänge in die Stille des Saales hinein. Per Hand die Saiten seines Flügels anschlagend scheint Martin Tingvall Pseudo-Gitarren zum Band-Gemenge hinzuzufügen.

Schlagzeuger mit Rock-Wurzeln

Und Spiegel hat nun mehr als einmal Gelegenheit sein bekanntermaßen im Rock wurzelndes Schlagzeugspiel anzubringen. Er ist ja ohnehin ein Individualist unter den Jazz-Drummern – mit diesem an Kargheit kaum zu überbietenden Drumset bestehend aus Snare, gerade mal zwei dumpfen Tom-Toms, einer Basstrommel, Hi-Hat und einer kleinen Hand voll Becken. Andere Schlagwerker der Szene sind umstellt mit Dutzenden Fellen und hinter ihrer Instrumentenmauer verschanzt mitunter gar nicht zu erkennen.

Spiegel dagegen ist – überspitzt gesagt – der Bela B. des Genres und kann dies in den neuen Songs, aus denen das Tingvall-Programm an diesem Abend zu gut 80 Prozent besteht, voll auskosten. Voll im Sinne von: Mehr als je zuvor bei den bisherigen Besuchen in Leverkusen.

Vorher groß, jetzt riesig

Das Weggeschlossensein, die Funkstille, das Corona-Aus hat dem Tingvall Trio unheimlich gut getan. Es war zuvor schon groß. Jetzt ist es riesig. Und die Spielfreude überträgt sich postwendend auf die Menschen im Saal, die zwar ob der Bestuhlung brav sitzen bleiben. Von denen aber viele sitzend tanzen. Mit Kopfschütteln, Hin- und Her-Schaukeln und Fußtrippeln. Nur bei den alten Songs oder dem traditionell gehaltenen Titelstück des neuen Albums kehrt wieder diese – ebenfalls und nach wie vor willkommene – „Das kennen wir“-Ruhe dieser Combo ein.

Dann werden wieder nordische Landschaften musikalisch ausgemalt – mit rumpelndem Bass-Gestein, niederprasselndem Schlagzeugregen im Becken-Wind und der überall sprießenden, rauen aber dennoch wunderschönen Klavier-Vegetation.

Und jedem Menschen, der an diesem Abend im Erholungshaus zuhört, ist es jetzt schon wieder so warm ums Herz, dass gleich die Einladung für den nächsten Besuch ausgesprochen werden will. Tingvall? Auf jeden Fall!

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