Leverkusener KonzernDer Krieg zwingt Bayer in den Krisenmodus

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2021 ist für Bayer besser gelaufen als gedacht.

Leverkusen – Der russische Angriff auf die Ukraine hat auch Bayer kalt erwischt. Im Konzern seien mehrere Krisenstäbe eingerichtet worden, dem zentralen sitze er selbst vor, berichtete am Dienstag Vorstandschef Werner Baumann, als er die 2021er Bilanz mit seinen Kollegen erläuterte. „Wir sind erschüttert und blicken mit großer Sorge auf die Lage der Menschen in der Ukraine“, unterstrich er. Der Angriff sei „ein schwerer Schlag für die universellen Werte der Freiheit und der Demokratie“.

Dabei lenkte Baumann den Blick immer wieder auf die Bevölkerung – auch der in Russland. Es sei jetzt wichtig, die Versorgung mit Bayers Produkten sicherzustellen, um Notlagen möglichst zu verhindern. Sicherstellen könne man das womöglich auf Dauer nicht. Allein der Transport sei viel schwieriger geworden: Es fehle „akut“ an Lkw-Fahrern, erste Mitarbeiter seien zu den Streitkräften beordert worden. Medikamente und Geld seien auf dem Weg, in der Bayer-Belegschaft laufe eine Sammelaktion, man habe auch Unterkünfte für Flüchtlinge vorbereitet, sagte Baumann.

Das Geld fließt noch

Der Zahlungsverkehr mit Russland funktioniere trotz der Sanktionen im Moment noch, ergänzte Bayers Finanzchef Wolfgang Nickl. Der Ausschluss vom Internationalen Zahlungssystem Swift erstrecke sich nicht auf Versorgungsgüter, auch der Energiesektor sei davon ausgeklammert. Im Moment sei auch die Bezahlung der Angestellten von Bayer gesichert. 700 seien das in der Ukraine, wo der Konzern kürzlich noch ein größeres Saatgut-Werk angefahren hatte. In Russland beschäftige Bayer 1800 Menschen; produziert wird dort nicht, das Geschäft umfasse vor allem den Pharma-Sektor.

In den Lieferbeziehungen zur Ukraine spiele hingegen das Agrar-Geschäft eine überragende Rolle. Dass es weniger als ein Prozent des Konzern-Umsatzes ausmache, relativierte Baumann sogleich: Für das Agrarland sei es ein großer Faktor. Glücklicherweise sei das Saatgut schon vor dem Angriff auf den Feldern gewesen. Den Umsatz-Anteil des russischen Marktes bezifferte Baumann auf etwa zwei Prozent.

Folgen noch nicht „eingepreist“

Wie sich der Krieg sonst auf das Geschäft auswirken wird, vermag man bei Bayer noch nicht abzusehen. Das sei nicht „eingepreist“. Die absehbar weiter steigenden Energiepreise schrecken Werner Baumann nicht allzu sehr: „Wir sind nicht mehr ein so energieintensives Unternehmen, wie wir es mal waren.“

Unterdessen zeigt die Bilanz für 2021, dass sich der Konzern vom recht schwierigen Jahr 2020 weitgehend erholt hat. Beim Umsatz hat das Unternehmen um knapp neun Prozent zugelegt und bilanziert nun währungs- und portfoliobereinigt ein Geschäftsvolumen von reichlich 44 Milliarden Euro. Das Vorsteuerergebnis ist indes um zweieinhalb Prozent auf knapp 11,2 Milliarden Euro zurückgegangen. Hervorgehoben wurde von Baumann der zweistellige Zuwachs in der Agrochemie-Sparte auf gut 20 Milliarden Euro Umsatz bei einem Ergebnis von knapp 4,7 Milliarden. Das entspricht einer Marge von 23,2 Prozent.

Landwirtschaft wird immer digitaler

Rodrigo Santos, der neue Chef der Sparte, nannte einige Besonderheiten: Im vorigen Jahr habe Bayer mehr als 500 neue Saatgut-Sorten auf den Markt gebracht und über 300 Neuzulassungen von Pflanzenschutzmitteln erreicht. Die Sparte sei auch digital sehr gut unterwegs. Seinen digitalen Agrarmarktplatz in Lateinamerika habe Bayer ausgebaut, es gebe eine neue Zusammenarbeit mit Microsoft, um die Infrastruktur zu verbessern. Das verschaffe Landwirten neue Möglichkeiten, an Daten von ihren Feldern zu kommen und effizienter zu werden.

Digitalisierung helfe auch bei der Umsetzung eines Programms, mit dem Bauern Kohlenstoff im Boden binden und so zur Bekämpfung des Klimawandels beitragen könnten. Bisher nähmen gut 2600 Landwirte in zehn Ländern an dem Programm teil, „was ein großer Erfolg ist“, so Santos. In den USA sei zudem ein Projekt angelaufen, das Bauern erstmals einen Überblick über die gesamte CO2-Bilanz ihrer Mais-Produktion geben soll. Mit an Bord: Amazon.

Bei den Rechtsstreitigkeiten um Glyphosat ist Finanzchef Wolfgang Nickl guten Mutes: Der zentrale Fall Hardeman wird womöglich vor dem Obersten Gerichtshof der USA neu aufgerollt. Bayer glaubt, dass dies die Wende sein könnte. Gewissheit werde es aber frühestens in der zweiten Jahreshälfte geben, präzisierte Werner Baumann.

Neue Blockbuster in Entwicklung

Gut unterwegs sieht Stefan Oelrich seine Sparte für verschreibungspflichtige Arzneien. Der Umsatz legte um gut sieben Prozent auf gut 18,3 Milliarden Euro zu. Dass das Ergebnis um fast vier Prozent auf knapp 5,8 Milliarden Euro sank, schreibt Oelrich den hohen Investitionen in neue Medikamente zu. Bayer sieht neues Blockbuster-Potenzial im Wert von fünf Milliarden Euro Umsatz. Für Kerendia, das Nierenkranken mit Diabetes helfen soll, habe Bayer gerade die Europa-Zulassung erhalten. In den USA gibt es das Präparat schon. Gut auf dem Weg sei man auch mit einem Nachfolger für das erfolgreichste Medikament der jüngeren Bayer-Geschichte, Xarelto. Ein neuer Gerinnungshemmer soll dieses Jahr in Phase III erprobt werden.

Das in der Vergangenheit nicht so gut laufende Geschäft mit rezeptfreien Medikamenten hat sich weiter erholt. Spartenchef Heiko Schipper konnte auf ein „breit angelegtes Umsatzwachstum“ verweisen. Das Geschäftsvolumen stieg um sechseinhalb Prozent auf knapp 5,3 Milliarden Euro. Die Delle, die durch die Corona-Pandemie ausgelöst worden war, habe die Sparte mehr als ausgleichen können. Mit einer Marge von 22,5 Prozent liegt das Segment zwar um neun Prozent hinter der Sparte für verschreibungspflichtige Arzneien. Aber dort sind die Marktverhältnisse auch ganz andere.

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„Wir sind deutlich gewachsen. Wir haben unsere Innovationspipeline gestärkt. Und wir machen Fortschritte bei unseren Nachhaltigkeitszielen“, fasste Werner Baumann zusammen. In diesem Jahr will Bayer den Umsatz um fünf Prozent steigern. Das Ziel: 46 Milliarden Euro. Der Ausblick gehe allerdings von einem „stabilen geopolitischen Umfeld in Osteuropa aus“. Davon kann seit knapp einer Woche keine Rede mehr sein.

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