Sorgenkind der RegionDie wechselhafte Geschichte der Leverkusener Rheinbrücke

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Eröffnung der Rheinbrücke, unter anderem mit dem damaligen Bundesverkehrsminister Hans-Christoph Seebohm (M.).

  • Die achte der Kölner Rheinbrücken hat Leverkusen verändert und geprägt: 1965 wurde das Bauwerk eröffnet und ist heute Sorgenkind der Region.
  • Ein „gigantisches Erlebnis“ war der Bau, erinnern sich Zeitzeugen.
  • Wir lassen die Geschichte Revue passieren, von der Anfangszeit über die Eröffnung am 5. Juli 1965 bis in die Gegenwart.
  • Dazu haben wir viele spannende Fotos aus unterschiedlichen Archiven zusammengetragen. Kommen Sie mit auf eine Zeitreise!

Leverkusen – „Häß du uns Bröck gesinn, Wenn die em Sonnesching su herrlich glänz un sich em Wasserspegel sieht!? Du beß stolz dodrop, dat et en Leverkusen su jet Schönes gitt“, sang Bernd Klösgen, Leverkusener Karnevalssänger Anfang der 60er Jahre über die Rheinbrücke. Das Entstehen eines solchen Bauwerkes habe man hier noch nie erlebt, schrieben damals die Medien.

Karlheinz Beeres vom Verein „Wir für Leverkusen“ ist in Leverkusen aufgewachsen. Er erinnert sich noch gut an die Planung und den Bau der Brücke. Es sei ein „gigantisches Erlebnis“ gewesen, sagt der heute 71-Jährige. Oft stiegen er und seine Freunde nach der Schule auf die Fahrräder und fuhren an dem Bauwerk vorbei. Die achte der Kölner Rheinbrücken hat Leverkusen verändert und geprägt, sagt Beeres heute.

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Vier Jahre wurde an ihr gebaut.

Ihr Entstehen war Produkt des deutschen Wirtschaftswunders. Die erste der Rheinbrücken, die der Landschaftsverband Rheinland im Auftrag der Bundesregierung nach dem Krieg neu gebaut hat. Eine Gigantin, die es an Größe mit internationaler Konkurrenz aufnehmen kann. Heute ist die Lever-kusener Autobahnbrücke ein chronisch krankes Sorgenkind, an dem gezerrt und über das gezetert wird. Und es ist noch lange kein Ende in Sicht. Der Glanz ist längst verblichen.

Hans-Christoph Seebohms Blick ging am 5. Juli 1965 hinauf zu den über 45 Meter hohen Pylonen, an denen die Seile der Schrägseilbrücke verankert sind. An der Seite des damaligen Bundesverkehrsministers standen weitere Mitglieder des Kabinetts Erhard, Vertreter des Bundes, des nordrhein-westfälischen Landtages und des Landschaftsverbandes Rheinland, um die ersten Schritte auf der Rheinbrücke zu gehen. Hunderte drängten sich um Joseph Kardinal Frings, der den Segen sprach.

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So sah die Rheinbrücke beim Bau aus.

Vier Jahre Bauzeit und 43 Millionen D-Mark hatte das Bauwerk gekostet. Die achte Brücke schließt den Ring, titelte 1965 der „Kölner Stadt-Anzeiger“ in roten Lettern. Mit der parallel errichteten Zoobrücke ist die Brücke über die A1 das jüngste Kind – und fast von Beginn an das launischste. Nur acht Jahre nach der Fertigstellung, 1973, tauchten in der Fahrbahn erste Risse auf. 1977 wurde der Brückenbelag komplett erneuert. „Damals hat man Neuland betreten. Auf der Rheinbrücke wurde eine »autotrope« Platte aufgebracht, eine Leichtbauweise mit der man damals noch keine Erfahrungen hatte“, erklärte der damalige Leiter der Autobahnmeisterei Leverkusen, Gerhard Holzhüter, 1977 dem „Leverkusener Anzeiger“. Später erkannte man, dass der Belag anfällig für extreme Temperaturen ist und stark schwingt. Der Grund für die Risse. Und die Geschichte nimmt bis heute kein Ende. Im Jahr 2020 sind minderwertige Baumaterialien wieder Thema.

Schub für die Stadt

Für die Stadt Leverkusen bedeutete der Bau der Autobahnbrücke einen echten Schub, erzählt Karlheinz Beeres. Erst danach habe sich ein richtiges Stadtzentrum entwickelt.

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Viele Projekte seien angegangen, viele Gebäude neu gebaut worden. Wirtschaftlich leitete die Verbindung nach Köln für Leverkusen eine neue Zeit ein und nutzte Unternehmen wie Bayer enorm.

Mit der Wirtschaft wuchs auch das Verkehrsaufkommen auf den deutschen Straßen. „Brummis ein Problem“, schrieb 1992 die Rheinische Post. Die Mobilität in der Republik war eine andere, als die Ingenieure in den 50er Jahren den Plan entwarfen, nach dem die Rheinbrücke dann gebaut wurde. Mit 40 000 Autos pro Tag planten die Bauleiter. Auf vier Spuren plus zwei Standstreifen. Doch seit der Verkehrsfreigabe 1965 hat sich der Schwerverkehr auf den Straßen vervierfacht. Nach einer Zählung der Bundesanstalt für Straßenwesen aus dem Jahr 2015 liegt die durchschnittliche tägliche Verkehrsstärke beider Richtungen heute bei fast 160 000 Fahrzeugen pro Tag.

Ab 1986 wurde die Standspur der Leverkusener Rheinbrücke von Lastwagen als dritte Fahrbahn genutzt. Die zartesten Bande des Baus hatten jetzt die größte Last zu schultern. Die Überbeanspruchung führte zu noch mehr Rissen. 2012 offenbarte eine Routinekontrolle, dass auch der Stahl im Seilkasten Risse aufweist. Im Juli 2012 zitierte der „Kölner Stadt-Anzeiger“ erstmals einen Sprecher des Landesbetriebes Straßen NRW mit der Aussage, dass es Erwägungen gebe, die Leverkusener Brücke neu zu bauen.

Lkw mit einem Gewicht über 3,5 Tonnen durften die Brücke bald nicht mehr befahren. Ein immenser Schaden für die umliegenden Unternehmen. Um die Brücke zu entlasten, wurden die Fahrbahnen 2012 nach innen gelegt und verengt. Die erlaubte Höchstgeschwindigkeit ab jetzt: 80 Kilometer pro Stunde. Schweißer, Techniker und Ingenieure sind permanent im Einsatz, flicken Risse und bringen Verstärkungen an, um den Koloss aufrecht zu halten. Und so ist es bis heute.

Neubau? Tunnel? Ringen um Varianten

Das Ringen um eine Lösung für den Neubau begann. Rund 200 Millionen Euro veranschlagte 2012 ein Experte gegenüber der Rundschau an aufkommenden Kosten. Bis 2025 sollte die neue Brücke stehen, so der Plan der Landesregierung. Acht Fahrstreifen und Abbiegespuren zur und von der A 59. Doch wie? Den Bau ersetzen? Verschieben? Ein Tunnel unter dem Rhein? Bis heute sprechen sich Bürgerinitiativen für eine Tunnel-Lösung aus. Doch die Verantwortlichen entschieden sich für den Bau einer neuen Schrägseilbrücke. Zwölf Spuren über den Rhein. Die neue Brücke sollte neben dem alten Bau errichtet werden, während dort der Verkehr weiterfließt. Anschließend, wenn das neue Brückenteil den Verkehr aufnimmt, wird die alte Brücke abgebrochen und durch eine zweite neue ersetzt.

Es begann das Kapitel der Diskussion um die Dhünnaue. „Wir haben mit den Abfällen gespielt und uns daraus ein Floß gebaut“, erzählt Karlheinz Beeres über die Giftmülldeponie unter der Erde.

Lesen Sie hier die Geschichte über die Dhünnaue, Europas größte Giftmülldeponie.

Dass der Müll auf der Deponie gefährlich ist, habe niemand gewusst. „Hauptsache weg damit“, das sei die Devise gewesen. Bayer hat hier – nahe am Ufer des Rheins – jahrzehntelang seine Produktionsabfälle entsorgt und die Stadt hat dabei mitgemacht. Auch weil das Aufbohren der Altlast überaus gefährlich ist, zogen Leverkusener Bürger gegen den Bau der neuen Autobahn durch die Dhünnaue vor das Bundesverwaltungsgericht. Und verloren.

Vor kurzem kündigte Straßen NRW die Verträge mit dem Baukonzern Porr. Der Grund: schwerwiegende Mängel an 22 Stahlbauteilen, die in China produziert und bereits ausgeliefert wurden. Straßen NRW forderte, dass diese ausgetauscht werden. Der Baukonzern weigerte sich. Der Auftrag zur Fertigstellung der A 1 ist nun neu ausgeschrieben. Die Brücke wird deutlich mehr kosten. Und Jahre später fertig werden. Die einst stolze Riesin geht weiter an Krücken.

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